Russland

„MOSKAU FREMDELT MIT DER EU“

(n-ost) Gernot Erler, Staatsminister im Auswärtigen Amt, ist  außenpolitischer Experte der SPD-Bundestagsfraktion und einer der führenden Köpfe des Petersburger Dialogs. Von 2002 bis 2006 war er Koordinator für die deutsch-russische gesellschaftliche Zusammenarbeit. Im n-ost-Interview erklärt Erler, warum Moskau immer noch mit der EU fremdelt und Deutschland der wichtigste Partner Russlands in Europa bleiben wird.
Staatsminister im Auswärtigen Amt Gernot Erler
FOTO: privat Frage: Worum geht es bei den Verhandlungen der EU mit Russland beim Gipfel in Westsibirien?Erler: Ganz oben auf der Themenliste steht ein Nachfolgeabkommen für den Partnerschaftsvertrag zwischen Russland und der EU. Auf dem Gipfel in Chanty-Mansijsk wird eine gemeinsame Erklärung zum Start der Verhandlungen angestrebt. Bereits am 4. Juli sollen dann die konkreten Verhandlungen beginnen. Zweitens soll ein Zwischenresümee über die Umsetzung der vier gemeinsamen Räume gezogen werden: Wirtschaft, Freiheit und Recht, äußere Sicherheit sowie Forschung und Bildung. Drittens werden aktuelle internationale Themen besprochen, wie der Nahost-Konflikt, der Irak und Afghanistan, der Atomkonflikt mit dem Iran und die brisante Situation in Abchasien.Frage: Wo sehen Sie die größten Hürden bei den Verhandlungen über den Partnerschaftsvertrag?Erler: Die EU wünscht sich ein umfangreiches Abkommen, in dem die Details möglichst genau geregelt sind. Die russische Seite strebt eher ein allgemeines Rahmenabkommen an, mit einzelnen Ergänzungen zu bestimmten Bereichen. Das Problem der unterschiedlichen generellen Konzeptionen erscheint mir aber durchaus lösbar. Inhaltliche Gespräche sind in Chanty-Mansijsk noch nicht zu erwarten.Frage: Rechnen Sie mit einem Abschluss des Vertrages noch in den nächsten 12 Monaten?Erler: Der Vertrag wurde während der deutschen EU-Ratspräsidentschaft 2007 bereits intensiv vorbereitet, beide Seiten haben sich mehrfach getroffen. Die französische Präsidentschaft will den Verhandlungsprozess nun möglichst schnell wieder aufnehmen und voranbringen, daher starten die Sachverhandlungen bereits am 4. Juli, also kurz nach Beginn der französischen Präsidentschaft. Eine konkrete Prognose über den Abschluss der Verhandlungen ist aber nicht möglich.Frage: Vertreten die EU-Staaten in den Verhandlungen mit Russland eine einheitliche Position? Oder ist eine Blockade, wie im Vorfeld der Verhandlungen durch Polen und Litauen, erneut möglich?Erler: Ein Vertragsdokument, das als Grundlage der Verhandlungen mit Russland gelten soll, wurde einstimmig von allen EU-Partnern gebilligt, daher sind keine weiteren Blockaden zu erwarten. Litauen hatte zuletzt noch Änderungswünsche eingebracht, die zum Teil berücksichtigt wurden. So wird beim Gipfel in Westsibirien zum Beispiel auch über die „eingefrorenen Konflikte“ in Abchasien und Transnistrien gesprochen. Insbesondere die Situation in der georgischen Teilrepublik Abchasien war in den letzten Wochen sehr angespannt.Frage: Über welche Fragen wird im Bereich der Energieversorgung und Energiesicherheit Europas gesprochen?Erler: Russland hat die Europäische Energie-Charta zwar nicht ratifiziert, aber es hat sich in seiner praktischen Politik an die Regeln und Prinzipien der Charta gehalten und sich kooperativ gezeigt. Fortschritte gibt es auch bei der Entwicklung eines Frühwarnsystems für die europäischen Energieempfängerländer im Fall von Konflikten Russlands mit Transitländern wie der Ukraine. Die EU-Staaten haben allerdings ein starkes Interesse daran,  eine verlässliche Energiepolitik Russlands auch im Partnerschaftsabkommen zu fixieren. Es ist allerdings noch unklar, ob sich Russland darauf einlassen wird.Frage: Deutschland will Russland durch eine Modernisierungspartnerschaft bei der Entwicklung seiner Wirtschaft unterstützen. Streben auch die EU und Russland ein vergleichbares Projekt an?Erler: Bisher ist die von Deutschland angeregte Modernisierungspartnerschaft ja noch kein konkretes Projekt zwischen Deutschland und Russland. Auf europäischer Ebene bestünde die Möglichkeit, einzelne Punkte des europäischen Wirtschaftsraums zu einer Modernisierungspartnerschaft auszubauen. Die Einbindung der Modernisierungspartnerschaft in europäische Prozesse liegt durchaus im Interesse Deutschlands.Frage: Unter Putin hat Russland den bilateralen Beziehungen zu großen Staaten wie Deutschland und Frankreich oft mehr Bedeutung zugemessen als dem Verhältnis zur EU. Wird Medwedew den Beziehungen zur Union zukünftig mehr Aufmerksamkeit schenken?Erler: In den Beziehungen Russlands mit der EU gibt es eine strukturelle Schwierigkeit. Die EU ist aus Moskauer Sicht sehr kompliziert, man weiß nicht genau, was die Verhandlungsmandate der Union sind. Russland fremdelt etwas. Präsident Medwedew hat noch keinen Besuch in Brüssel geplant. Es gibt eine russische Präferenz für bilaterale Beziehungen und ich kann nicht sehen, dass sich das zukünftig ändert.Frage: Dmitri Medwedew hat seine ersten Auslandsbesuche nach Kasachstan und China gemacht – Länder, mit denen Russland in der Shanghai-Organisation eng zusammen arbeitet. Besteht die Gefahr, dass sich Russland von Europa abwendet und den Beziehungen zu den asiatischen Staaten Priorität einräumt?Erler: Man sollte diese Reisen nicht überbewerten. Es war normal, dass Medwedew erst Kasachstan besucht hat, da dieses Land das wirtschaftlich wichtigste in Zentralasien ist und dort sehr viele Russen leben. China ist ohnehin ein sehr wichtiges Land, nicht nur für Russland. Daher ist mit der Reihenfolge der Auslandsbesuche Medwedews kein Signal verbunden, es sind eher sich anbietende Prioritätensetzungen. Dass er als drittes Land Deutschland bereist hat, ist aber zumindest ein sehr positives Zeichen. Deutschland bleibt der wichtigste Partner Russlands in der Europäischen Union.Frage: Wie wurde der Deutschlandbesuch Medwedews und seine Berliner Rede in der deutschen und europäischen Öffentlichkeit aufgenommen?Erler: Die Berliner Rede Medwedews wurde insgesamt sehr positiv aufgenommen. Der Wille zur Kooperation wurde in seinem Vortrag sehr deutlich. Medwedew hat bewusst den Ort genutzt, um eine Rede mit einem Bekenntnis zur Rechtsstaatlichkeit zu halten.ENDENachdruck und Weiterverwertung dieses Artikels sind kostenpflichtig. Informationen im n-ost-Büro unter (030) 259 32 83 - 0


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