Ungarn

„EU soll Ungarn zurück in Richtung Europa bewegen“

n-ost: Was für eine Entscheidung wünschen Sie sich von der Abstimmung im Europäischen Parlament?

Peter Juhasz: Wir hoffen auf eine Entscheidung des Europäischen Parlaments, aus der zunächst eindeutig klar wird, dass Europa kein Problem mit dem Land Ungarn und seinen Menschen hat, sondern – im Gegenteil – sich um die Rechte der ungarischen Staatsbürger sorgt und sich die Kritik ganz spezifisch an die Politik der Orban-Regierung richtet. Diese Kritik sollte die Bereiche ansprechen, die auch wir, die demokratische Opposition in Ungarn, täglich anprangern: Dass sich die Regierung das Parlament unter den Nagel reißt, die Unabhängigkeit der Medien mit Füßen tritt, den sauberen Ablauf von Wahlen gefährdet und noch vieles mehr. Ich würde es daher begrüßen, wenn wir einem Monitoring-Verfahren unterzogen würden, wenn Europa genau hinsähe, was in Ungarn passiert, und auch Einfluss auf die Politik Orbans nähme.

n-ost: Hat sich die Europäische Union bisher gegenüber Ungarn zu lasch verhalten?

Peter Juhasz: Wir müssen uns vergegenwärtigen, dass ein Großteil der ungarischen Bürger den EU-Beitritt Ungarns unterstützt hat. Nach der kommunistischen und sozialistischen Phase sehnten sich über 80 Prozent nach einer Wiederannäherung an Europa, nach einer langfristigen Bindung an einen institutionellen, Demokratie garantierenden Rahmen. Orbans Politik der vergangenen drei Jahre, also die tiefgreifenden Verfassungsänderungen, die Eingriffe in die Gewaltenteilung, die Zentralisierung der Macht bei seiner Partei Fidesz, sprich die sukzessive Zerstörung der Rechtstaatlichkeit weist genau in die entgegengesetzte Richtung. Deshalb würde ich mich freuen, wenn die EU hier Instrumente finden würde, um diesen Prozess aufzuhalten, damit Ungarn sich wieder in Richtung Europa zurückbewegt.

n-ost: Der Debatte im Europäischen Parlament liegt ein Bericht des Abgeordneten Rui Tavares zugrunde, der eine lange Liste von Grundrechtsverletzungen in den verschiedensten politischen und gesellschaftlichen Bereichen in Ungarn aufzählt. Wo sehen Sie die problematischsten Verstöße?

Peter Juhasz: Am gewichtigsten sind die grundsätzlichen Eingriffe in das politische System: Dass der Fidesz Ungarn unter Ausschluss aller anderen Parteien und ohne gesellschaftliche Konsultationen eine neue Verfassung auferlegt hat. Dass er die Rechte des Verfassungsgerichts bis zur Machtlosigkeit beschnitten und damit den Einfluss des Gerichts auf den politischen Prozess so massiv vermindert hat, dass keine übergeordnete und unabhängige Kontrollinstanz mehr existiert. Die Abschaffung der Pressefreiheit ist ein weiteres Riesenproblem. Das, was heute im staatlichen Fernsehen in Ungarn läuft, kann nur mit dem Wort Propaganda beschrieben werden, das ist sehr beschämend und bezeichnend für alles andere. Die vom Fidesz beeinflusste Presse verzerrt systematisch die politischen Prozesse, berichtet nicht über Veranstaltungen oder Positionen der Opposition und verbreitet eiskalt Lügen. Das ist reine Propaganda und hat mit freier Presse nichts mehr zu tun.


Zur Person:

Peter Juhasz gründete die ungarische Menschenrechts-NGO „TASZ“ und startete 2010 als Antwort auf das Mediengesetz Orbans die Facebook-Seite „Eine Million für die ungarische Pressefreiheit“, aus der in der Folge die größte außerparlamentarische Oppositionsbewegung „Milla“ hervorgegangen ist, die in mehreren Demonstrationen zehntausende von Menschen auf die Straße bringen konnte. Mittlerweile engagiert sich Juhasz nicht mehr bei TASZ, sondern hat sich mit Milla dem Wahlbündnis „Gemeinsam 2014“ des Orban-Herausforderers und ehemaligen Ministerpräsidenten Gordon Bajnai angeschlossen.


Weitere Artikel