Ukraine

Mein Odessa

Die große Treppe, die wunderbare Oper, der meist blaue Himmel, die Sonne und das Meer: Odessa ist einfach eine tolle Stadt. Mir geht es wie Fjodor Schaljapin: Der weltberühmte Bass schrieb 1899 nach seinen Auftritten in der Odessaer Oper begeistert an einen Freund in St. Petersburg, dass er vor allem der Oper wegen am liebsten in Odessa bleiben würde.


Legendäre Lebensfreude

Ich kann ihn gut verstehen. Diese Oper ist ohne Zweifel etwas Besonderes. Ja – auch ihretwegen bin ich seit zehn Jahren regelmäßig in der Stadt und habe sogar vier Jahre hier als Kultur- und Tourismusberaterin gearbeitet. Das Gebäude umgibt eine besondere Aura. Und die ist trotz vieler Probleme um Restaurierung, Finanzierung und Korruption geblieben.

Aber nicht nur die Oper, die ganze Stadt fesselt mich bis heute immer aufs Neue. Wenn ich nach Odessa komme, muss ich zuerst mal von meiner Wohnung in der uliza Puschkinskaja aus einen Rundgang durch die Straßen machen, mindestens bis zur Deribasowskaja und dem Primorskij-Boulevard, etwas aufsaugen von Odessas legendärer Internationalität und Lebensfreude.


Die Oper

Vorverkaufskassen gibt es in der Stadt. Man kann auch über das Internet Tickets bestellen und dann abholen. Funktioniert allerdings bisher nur bedingt.

prow. Tschajkowskoho 1
Tel. +380/ 48/ 780 15 09
+380/ 48/ 780 15 28
www.opera.odessa.ua

Restaurant

Die Juden kochen besonders gut in Odessa, im koscheren Restaurant „Rosmarin“, sehr lecker und immer frisch
wul. Mala Arnautska 46a
Tel. +380/ 482/ 344 644

Übernachten
Am besten bei meiner Freundin Anna, ganz zentrumsnah. Sie vermietet eine Souterrainwohnung. Und da ist man mittendrin in dem schrillen Odessa, in einem wunderschönen alten Hof und mit viel Lebensgefühl.

Wul. Mala Arnautska 57
E-Mail: Annasong@mail.ru
Tel. +380 (67) 417 98 79


Schon bei der Einfahrt in die Stadt bin ich stets begeistert vom weltoffenen, multikulturellen Flair, von den alten, faszinierenden Gebäuden europäischer Baumeister und Architekten. Viele der früheren Paläste sind heute Museen. Eindrucksvoll dokumentieren sie europäische Geschichte.

Dann die riesigen Platanen. Am liebsten würde ich jede einzelne von Ihnen umarmen und begrüßen, so mächtig und majestätisch stehen sie da und bilden mit ihren großen Ästen im Sommer ein Schatten spendendes Blätterdach über die Puschkinskaja und ihre überbreiten Bürgersteige. Ungewöhnlich schöne und kreativ zurechtgemachte Frauen balancieren auf ihren Stöckelschuhen dort entlang. Sie sehen häufig aus, als wären sie für eine Abendveranstaltung aufgemacht, obwohl sie vielleicht nur zur Arbeit gehen.


Glamourös und marode

Ja – Odessa ist glamourös und gleichzeitig marode, witzig, sinnlich und immer aufregend. Alltag und Theater, Realität und Illusion vermischen sich in dieser Stadt auf wunderbare Weise.
Über zwanzig Jahre schon bin ich in der Ukraine unterwegs, mit einem Rucksack voller Erfahrungen. In Odessa haben die aber nicht gepasst. Denn dort ist immer alles wieder ganz anders als sonst in der Ukraine. Die Stadt ist voller Überraschungen und leider auch sozialer Gegensätze. So hat Odessa die meisten HIV-Infizierten Europas – das ist die traurige Seite dieser Metropole.


Wie im vergangenen Jahrhhundert

Doch immer wieder bin ich erstaunt über die generelle Akzeptanz anderen Kulturen gegenüber. Denn in Odessa leben über hundert verschiedene ethnische Gruppen. Wenn ich mal einen Blick in die Hinterhöfe und die Eingangstüren ebenerdiger Wohnungen erhasche, fühle mich oft wie in ein vergangenes Jahrhundert versetzt. Das habe ich in der ganzen Ukraine noch nicht erlebt. Das Bunte, Grelle, oft auch Laute, Skurrile, Unerklärbare lässt Odessa auf mich wie ein Märchen aus Tausendundeiner Nacht wirken, aus dem man nicht mehr aufwachen möchte. Dort kursiert dieser einzigartige Odessa-Bazillus. Wer einmal da war, will immer wieder hin.

  





   Brigitte Schulze:
   Odessa
   236 Seiten, ca. 250 Farbfotos und Kartenausschnitte
   ISBN 9783981422542, 18,95 €


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