Polen

Überraschung bei Regierungsbildung in Warschau

Lachend hält Polens Premierministerin Ewa Kopacz beim Gruppenfoto ihres neuen Kabinetts die Hände von Grzegorz Schetyna, dem künftigen Außenminister, und Cezary Grabarczyk, der das Justizressort übernimmt. Beobachter im Land stellen sich gleich die Frage, ob die 57-Jährige diese beiden mächtigen Strippenzieher der regierenden Bürgerplattform (PO) auch in der Regierung an der kurzen Leine halten kann.

„Wir müssen ein Jahr vor der Parlamentswahl alle Mann ins Boot holen“, sagte Kopacz am vergangenen Freitag bei der Vorstellung ihrer Regierung, die am Montag vereidigt wurde. Damit begründete sie vor allem die Berufung Schetynas zum Außenamtschef, die als große Überraschung gilt. Der ehemalige Innenminister und Parlamentspräsident war von Ex-Premier Donald Tusk bereits vor Jahren kaltgestellt worden. Nach Tusks Ernennung zum EU-Ratspräsidenten witterte der 51-Jährige jedoch Morgenluft. Noch vor der Berufung der engen Tusk-Vertrauten Kopacz zur Premierministerin stellte er sich als Kandidat für den ebenfalls vakanten Posten des Parteichefs vor – eine Kampfansage an Kopacz.


Wer wird das Sagen haben in der neuen polnischen Regierung?

Kopacz, bislang Präsidentin der ersten Parlamentskammer Sejm, dürfte indes darauf hoffen, dass ihr Widersacher erst einmal mit dem schwierigen Ressort beschäftigt sein wird und nicht mit Querschüssen gegen sie. „In der Partei wird gerade die Hackordnung festgelegt, und es wird sich zeigen, ob Kopacz eine polnische Angela Merkel wird oder eher ein John Major“, kommentiert der einflussreiche Publizist Jacek Zakowski unter Verweis auf den fehlenden Rückhalt, den der einstige britische Premier Major in seiner konservativen Partei hatte. Schetyna und Kopacz würden zwar zwangsläufig rivalisieren, schränkt Zakowski ein, „aber sie haben beide die Fähigkeit, dies auf nicht destruktive Weise zu tun“.

Klar scheint, dass die Ex-Gesundheitsministerin Kopacz bei ihrer Kabinettsbildung eher dem Machtproporz in der Partei als inhaltlichen Schwerpunkten gefolgt ist. Die Ministerriege sei Ausdruck zu vieler Kompromisse gegenüber den einzelnen Parteifraktionen, urteilt etwa die konservative Tageszeitung „Rzeczpospolita“.

Auch die Handschrift von Präsident Bronislaw Komorowski ist deutlich erkennbar. Die Aufwertung von Verteidigungsminister Tomasz Siemoniak zum Vize-Premier geht laut Beobachtern zum großen Teil ebenso auf sein Einwirken zurück wie die Entlassung von Außenminister Radoslaw Sikorski, der dafür Kopaczs Nachfolger als Sejmpräsident wird.


Ewa Kopacz als das soziale Gesicht der Regierung

Komorowski dürfte künftig mehr als bisher und im Verbund mit dem neuen Duo im Außen- und Verteidigungsministerium die außenpolitische Linie im Ukraine-Konflikt bestimmen. Der gelernten Kinderärztin Kopacz wird parteiintern eine andere Rolle zugeschrieben. „Sie wird das soziale Gesicht der Regierung“, so ein führender PO-Politiker. Tatsächlich unterstrich Kopacz vergangene Woche, dass sie als Frau etwa in der Frage möglicher Waffenlieferungen an die Ukraine vorsichtiger agieren werde, als Männer dies täten.

Kopacz nannte bislang keine inhaltlichen Eckpunkte ihrer Arbeit und verwies auf den 1. Oktober. Dann wird sie die Regierungserklärung vorstellen und im Sejm um Vertrauen für das Kabinett ersuchen. Dies dürfte eine reine Formalität sein: Die Regierungsparteien sehen sich gestärkt, die Umfragewerte der PO sind, seit Tusks Wechsel nach Brüssel bekannt wurde, deutlich gestiegen.


Weitere Artikel