Bosnien-Herzegowina

Von allen guten Grenzen verlassen

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Acht Kurven im Norden, sieben Kurven im Süden, und schon steht man an der Grenze. Nirgendwo in der europäischen Union liegen zwei Außengrenzen so nah beieinander wie in Neum, einem kleinen Ort in Bosnien-Herzegowina. Entlang der Adriaautobahn durchschneidet die 5000-Seelen-Gemeinde das Staatsgebiet von Kroatien auf gerade einmal neun Kilometern und ist damit der einzige bosnische Küstenort überhaupt. Jenseits bosnischer Badefreuden ist die exklusive Lage seit dem EU-Beitritt des Nachbarn im vergangenen Juli eine Bürde für Neum geworden. Ein Besuch in einem Ort, in dem die Bewohner für die touristische Existenz ihres Städtchens kämpfen, obwohl kaum Hoffnung auf Erfolg besteht.


10.000 Touristen pro Tag

Neum ist ein friedlicher Ort, der sich auf den ersten Blick nicht von anderen Städtchen an der Adriaküste unterscheidet. Entlang der Durchgangsstraße reihen sich Tabakstände, dalmatinische Restaurants und eine Pizzeria aneinander, die den schönen Namen „Turist No.3“ trägt. Familienhunde wuseln ohne Leine durch die steilen Treppengassen zwischen den Häusern. Das Leben verläuft so unaufgeregt wie die Meereswellen, die sich sanft am Strand brechen.

Nur im Sommer wird es voll. In der Hauptsaison verdreifacht sich die Einwohnerzahl. Zwischen Mai und September verdienen die Neumer das Geld für den Winter, wenn 10.000 Touristen pro Tag in den Ort strömen und alle privaten Pensionen ausgebucht sind. Doch es sind nicht nur die Übernachtungsgäste, die Neums Existenz sichern: Die Jadranska Magistrala, die zweispurige Adriaautobahn, ist gleichzeitig Neums Hauptstraße. Jeder, der die kroatischen Hotspots Split und Dubrovnik besuchen möchte, muss durch Neum fahren. Hier halten selbst im November noch Reisebusse voller Japaner, die in die kleinen Supermärkte stürzen, um sich günstig mit Spekulatius und dalmatinischem Wein einzudecken. Hier machen Volleyballteams aus Dubrovnik ebenso Station, um zu frühstücken, wie deutsche Rentner, um zu tanken.


Kroaten aus Herzegowina

Schon vor dem Krieg lebten hier gut neunzig Prozent kroatische Katholiken; die letzte Volkszählung liegt erst einen Monat zurück und man geht davon aus, dass es mittlerweile noch mehr geworden sind. Beinahe jeder hat die bosnische und die kroatische Staatsbürgerschaft. „Um sich den Papierkram zu ersparen“, entbinden angehende Mütter im nahen kroatischen Metkovicc oder gleich in Dubrovnik. Konflikte zwischen dem kroatisch-katholischen und dem bosnisch-muslimischen Selbstverständnis gibt es hier nicht, „weil die wenigen Muslime, die in Neum gemeldet, sind ohnehin nur im Sommer kommen, um den Urlaub in ihren Strandhäusern zu verbringen“, sagt Darko Putic. Er ist gebürtiger Neumer und betreibt einen kleinen CD-Shop an der Hauptstraße. Der Ort ist so homogen wie seine Gotteshäuser: Es gibt zwei Kirchen, aber keine Moschee.

„Wir sind Kroaten aus Herzegowina“, daran lässt auch die 32-jährige Nikolina Putic keinen Zweifel und setzt unmissverständlich nach: „Wir sind Kroaten, wir fühlen uns nicht nur so!“ Bald wird sie Ihr drittes Kind zur Welt bringen, natürlich in Kroatien. Ihr Gynäkologe heißt Zivko Matusko und hat in Metkovicc eine Praxis – gleichzeitig ist er Neums Bürgermeister.

Bosnien, das lernt man schnell in Neum, ist sehr weit weg, dabei ist die Hauptstadt Sarajewo nur drei Zugstunden entfernt.
Von der großen Politik verschont bleibt der kleine Ort deswegen nicht, ganz im Gegenteil. Durch die Lage als Keil in kroatischem Staatsgebiet ist er seit Jahren das Sorgenkind von Zagreb und Sarajewo, seit Sommer 2013 auch das von Brüssel.
Mit dem Eintritt Kroatiens in die europäische Staatengemeinschaft sind aus den kleinen Grenzhäuschen an der Adria passable EU-Außengrenzposten geworden. Wer sich im Sommer mit dem Auto auf den Weg von Kroatiens Norden in den Süden macht, der verlässt bei Neum das Unionsgebiet und steht erst einmal im Stau.


Wahl zwischen Pest und Cholera

Im Orka, dem letzten Hotel vor der Grenze, kennen sie den Warterekord ziemlich genau: „Er liegt bei sechs Stunden“, erfährt man an der Bar. Soeben wurde das Hotel komplett renoviert - die Nachfrage schafft hier das Angebot.

Doch solche Investitionen sind wie die meisten Häuser an der Küste auf sandigen Grund gebaut. Denn: Ginge es nach dem Willen der Regierung in Zagreb, dann gehörten die lästigen Grenzkontrollen schon längst der Vergangenheit an. Und genau hier liegt das Problem. Für die Bürger Neums ähneln alle bisherigen Vorschläge einer Wahl zwischen Pest und Cholera, jeder dazu geeignet, den kleinen Ort und seine Bewohner in den Ruin zu treiben.

Die Lücke im kroatischen Straßennetz bei Neum soll nämlich endlich geschlossen werden, wahlweise per Brücke oder per Tunnel. Neum soll in Zukunft umfahren werden, so der Plan. Der stete Strom der Adriatouristen, die Neum alljährlich passieren, läuft Gefahr, schon bald zu versiegen.
Wie ein Damoklesschwert über der Stadt ragt ein verlassener Baukran in die Adria. Schon im Oktober 2007 haben die Bauarbeiten an der Peljesac-Brücke begonnen. Die 2,4 km lange Schrägseilkonstruktion soll die Passage vom kroatischen Komarna auf die Halbinsel Peljesac ermöglichen. Zwar hat die kroatische Regierung im Dezember 2012 alle Verträge mit dem ausführenden Baukonsortium gekündigt, als eklatante Finanzierungslücken auftraten, doch die Zeichen stehen eher auf Aufschub, denn auf Abbruch. Mit 200.000 Euro hat die EU-Kommission zuletzt eine Machbarkeitsstudie finanziert, um dem Hickhack an der Adria endlich Herr zu werden.


„Komplett abgeschnitten“

Ohne eine saftige Beteiligung aus Brüssel wird der Brückenbau für Kroatien nicht zu stemmen sein. Aber was wird aus Neum, wenn die Brücke kommt? Das fragt sich nicht nur Nikola Prkaccin. Der 32-jährige ist Marketingdirektor im Hotel Neum, dem größten Hotel von Bosnien-Herzegowina und einem Schmuckstück jugoslawischer Hotelarchitektur. Nikola ist in Neum geboren, hat in Dubrovnik Betriebswirtschaft studiert und ist in seinen Heimatort zurückgekehrt. Nebenbei betreibt er mit seiner Familie noch eine eigene Pension. Wenn jemandem an der touristischen Zukunft von Neum gelegen ist, dann Leuten wie ihm. Diese jedoch sieht alles andere als rosig aus: „Alles, was wir wollen, ist eine befahrbare Straße ins bosnische Hinterland, sonst sind wir bald komplett abgeschnitten“, schimpft er, während er in der opulenten Lobby empfängt.

Von draußen dringt Baulärm herein, der ganze Hotelkomplex wird gerade kernsaniert. Ein Investor aus Zagreb hat das in die Jahre gekommene Hotel gekauft und will es wieder an die Spitze führen – mit einem Investitionsvolumen von mehr als 10 Millionen Euro in der ersten Bauphase. Das 4-Sterne Hotel soll wieder in altem Glanz erstrahlen, mit beheizbarem Meerwasserpool und Suiten der Luxusklasse. Macht eine Renovierung denn überhaupt noch Sinn? „Ja sicher, was bleibt uns anderes übrig?“, gestikuliert Prkačin. Die einzige Chance für Neum bestehe darin, „hier etwas aufzubauen, um damit Fakten zu schaffen, um die Regierung in Sarajewo zu zwingen, endlich etwas zu unternehmen.“ Er meint damit die dringend benötigte Straße, die Neum mit dem Rest Bosniens verbinden soll.

Doch die ist im Augenblick noch eine Huckelpiste namens M17.3. Ein Drangsal aus Kurven, Bodenwellen und Unbefahrbarkeit, die man weder den Bosniern und schon gar nicht den Touristen zumuten will. Sogar lokale Busunternehmen meiden die Straße konsequent. Mit dem Bau der ersehnten Alternative hat man zwar schon vor dem Krieg begonnen, doch in den letzten zwanzig Jahren wurden weniger als zehn Kilometer fertiggestellt. Rechts und links der Fahrbahn türmt sich das Baumaterial, von schwerem Gerät fehlt indes jede Spur. „Herzlich Willkommen auf einer bosnischen Baustelle“, brummt der Fahrer, während er im Slalom wäschetrocknergroßem Geröll ausweicht: „Man redet viel und macht dann doch nichts“.


Die Polizei ist bereit

Die Baustelle von Toni Bacic dagegen sieht vielversprechend aus. Seit drei Generationen besitzt seine Familie zahlreiche Olivenhaine. Einen davon baut er gerade zu einem Öko- Campingplatz um. Auto Kamp Mir (Frieden) heißt das 6.000-Quadratmeter-Areal, in dessen Mitte Esel Bruno grast, ein stattliches dalmatinisches Exemplar seiner Gattung und das einzige in Neum. Bacic geht es darum, „die Dinge etwas anders zu machen“. Er glaubt nicht, dass sich sein Projekt innerhalb des nächsten Jahres rentiert, aber er will es trotzdem versuchen. Ihm geht es um „dalmatinische Traditionen, nicht um Strandurlaub“. Selbstgepresstes Olivenöl, traditionelle Küche und der Olivenhain sollen Aktivurlauber anlocken. Als Zugpferde, pardon, -Esel werden dann Bruno und seine zukünftige Eselbraut dienen. Zur Eröffnungsfeier sollen die beiden vermählt werden, und weil BacicHumor hat, „wird der Bräutigam im Matrosenanzug vor den Altar treten“!
Ernster geht es dagegen in der Kommandantur der südlichen Grenzpolizei von Bosnien- Herzegowina in Čapljina zu.

In dem schmucklosen Bau neben den Bahngleisen wird der Grenzschutz für das Gebiet um Neum koordiniert. Hier arbeitet Senad Lizde, ein charismatischer Jugoslawe mit dunkler Raucherstimme. Der stellvertretende Kommandeur redet nicht gern über Politik, dafür aber umso lieber über die „hervorragende Kooperation mit der deutschen Polizei“. Am Fenster steht ein Wimpel vom Bundesgrenzschutz - Amt Chemnitz. Lizde lobt die Zusammenarbeit mit den Kollegen aus Europa, die seine Einheit auf den EU-Beitritt Kroatiens im Rahmen der European Police Mission vorbereitet haben. Auch deshalb habe sich zumindest für die Grenzpolizei seit Sommer 2013 nichts geändert: „Alles ist wie vorher, sogar die Zahl der Verhaftungen ist gleich geblieben.“ Entlang der grünen Grenze patrouillieren Bosnier und Kroaten gemeinsam und nutzen dasselbe technische Equipment, um illegale Grenzgänger zu fangen. Besonders stolz ist er darauf, dass seine Kollegen schon jetzt alle Schengenkriterien für die Grenzsicherung erfüllen: „Egal ob eine Brücke kommt, ein Tunnel oder ein Korridor – die bosnische Polizei ist bereit.“


„Für Neum gibt es keinen dritten Weg“

Zurück in Neum würde man gerne noch mit Bürgermeister Matusko über die Zukunft von Neum sprechen, doch der Arzt aus Metkovicc mach sich rar. Am Besuchstag ist er wieder nicht im Rathaus und auf die Frage, ob er denn in seiner Praxis anzutreffen wäre, erntet man eisiges Schweigen. Der Ort jedenfalls - und das ist alles, was man im Rathaus erfährt - hat „die letzte Saison überlebt“.

Wie es allerdings weitergeht, darauf hat bislang niemand eine Antwort. Die Menschen in Neum fühlen sich von den Politikern in Zagreb übergangen und von denen in Sarajewo im Stich gelassen. Alles, was ihnen bleibt, ist weiter an der ungewissen Zukunft ihrer Stadt zu arbeiten, das gilt für Einzelhändler wie für Hoteliers gleichermaßen. „Vielleicht“, sagt Darko Putic, „eröffne ich ja einen CD-Shop an der Brücke - wenn sie denn mal fertig wird“. Nikola Prkaccin dagegen hat diese Möglichkeit nicht: „Wir müssen weitermachen und das Beste hoffen, auch wenn wir darauf wenig Einfluss haben. „Für Neum“ sagt er, „gibt es keinen dritten Weg.“


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