Ukraine

Donezker Oper im Kreuzfeuer

Früher fanden um diese Uhrzeit nur Kindervorführungen statt. Heute stehen kurz vor 14 Uhr sorgfältig frisierte Damen und Herren in Anzügen vor dem Donezker Opernhaus. Ein Kavalier wartet mit Blumen in seiner Hand auf seine Angebetete, junge Frauen in kurzen Röcken stolzieren die steinernen Stufen hoch. In ein paar Minuten beginnt „Jewgenij Onegin“. Theater- und Opernaufführungen sind selten geworden in Donezk, und wenn, dann finden sie aus Sicherheitsgründen am helllichten Tag statt.


Die Geldspende ist noch nicht angekommen

Tatjana Iwanowna ist mit ihren drei Enkelkindern gekommen. Die Rentnerin freut sich auf den Familiennachmittag im Opernhaus, auch wenn sie dafür drei Stunden Sonnenschein versäumt. Viel zu lange war sie schon nicht mehr da, sagt sie, der unruhigen Zeiten wegen, erst seit dem Waffenstillstand seit Dienstag vor einer Woche ist wieder an Ausgehen zu denken. „Hoffentlich bleibt es weiterhin friedlich“, sagt sie. „Bloß keine Granaten mehr.“ Ob sie nun innerhalb der Ukraine lebe oder als Bürgerin der so genannten Donezker Volksrepublik, das sei ihr herzlich egal, sagt Iwanowna, Hauptsache es kehre wieder Ruhe ein. So wie sie sehen das mittlerweile viele kriegsmüde Bewohner des Donbass.

Oberhalb des Eingangs des Opernhauses, einem mächtigen, hellgelben Bau im Stalin-Barock, liegt das geräumige Arbeitszimmer von Jewgeni Denisenko. Seit kurzem ist er Direktor der „Donbass Opera“, der frühere langjährige Leiter ist überraschend verstorben. Seit der Spende der Star-Sängerin Anna Netrebo an sein Haus vor einer Woche klingelt in seinem Büro unaufhörlich das Telefon.

Denisenko kann die Aufregung um den 15.000 Euro-Scheck, den Netrebko dem Donezker Separatisten-Politiker Oleg Zarjow in Sankt Petersburg in die Hand drückte, nicht verstehen. Die Spende habe „nichts Politisches“ an sich, ist der 70-Jährige überzeugt. „Frau Netrebko hat von den Schwierigkeiten unseres Theaters erfahren und sich entschieden zu helfen“, sagt er mit ruhiger Stimme. Aber natürlich sei man hocherfreut über ihre hehre Geste gewesen. Nun hofft er auf den baldigen Erhalt der Geldspende, ein paar technische Details seien noch zu regeln, sagt er.


Keine Gagen mehr für die Sänger

Netrebkos Scheck ist Denisenkos geringstes Problem. Seit Juli hat die Belegschaft keine Löhne, die früheren Mitarbeiter keine Renten mehr erhalten. „Dieses Finanzembargo ist nicht klug“, kommentiert Denisenko die Einstellung der Zahlungen aus Kiew. Er fühlt sich wie so viele hier von der Regierung im Stich gelassen. Er steht unter Druck, die verbliebene Belegschaft arbeitet unentgeltlich, die Frage ist, wie lange noch. Mit Beginn des Konflikts hat fast ein Drittel der Mitarbeiter die Stadt verlassen. Sie sind nunmehr verstreut zwischen Minsk, Kiew und Moskau. Niemand weiß, ob und wann sie wiederkommen. Geblieben ist Denisenko ein einziger Tenor, der müsse heute auch den Jewgenij Onegin bestreiten. „Sehen Sie es ihm nach, wenn seine Stimme nicht ganz perfekt ist“, sagt der Direktor. Er sei überanstrengt.

Von den Geldnöten und der unklaren Zukunft abgesehen kommt der materielle Schaden: Im September wurde das Lager des Opernhauses, das sich in einem anderen Bezirk befindet, von Granaten getroffen. Es brannte ab, mitsamt den wertvollen Requisiten des Stücks „Der fliegende Holländer“. Ausgerechnet mit ihm hat das Donezker Opernhaus viele Gastspiele im In- und Ausland absolviert. Diese Zeiten scheinen nun weit weg. Die Spende von Anna Netrebko soll dazu verwendet werden, das Bühnenbild wieder anzufertigen. Auch andere Mitarbeiter im Arbeitstrakt, fernab von den pompösen Balustraden des Hauses, zeigen sich dankbar.


Die Kultur steht außerhalb der Politik

Um seine Geschäfte auch unter den neuen Donezker Machthabern in Ruhe führen zu können, hat der Operndirektor sich darauf verlegt, nicht mit der Politik anzuecken. Was für Netrebkos Spende gilt, soll auch für seine künstlerische Arbeit gelten: „Die Kultur steht immer außerhalb der Politik“, sagt Denisenko, und wenigstens für den klassischen Spielplan des Theaters mag das gelten: auf dem stehen Operetten-Abende, viele Werke von Verdi, und heute eben „Jewgenij Onegin“, Alexander Puschkins Versepos in der Bühnenfassung von Tschaikowski.

Die meisten Sitze im Saal sind besetzt, als sich der rote Vorhang lüftet. Von Neurussland, wie die Separatisten das Donezker Gebiet nun nennen, geht es ins alte Russland. Auf der Bühne erscheinen ein Landhaus und ein Birkenhain. Das Stück über einen selbstsüchtigen jungen Mann, der die Liebe eines Mädchens verschmäht, wird in Donezk als gefühlsbetonte Inszenierung mit prächtigen Kostümen und viel Personal auf der Bühne gezeigt. Drei Stunden entführt es das Publikum in eine Welt voller sanfter Andeutungen, verletzter Ehre und einem tödlichen Duell. Der Moment, in dem Onegin die Waffe gegen seinen besten Freund erhebt, dürfte der einzige sein, in dem sich die Zuschauer an die Gegenwart erinnert fühlen.


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