Belarus

Aus für letzten kritischen Verlag

Wenn Ihar Lohvinau, der Verleger mit dem roten Kinnbart, von seiner Arbeit redet, spricht er gern vom „kulturellen Ghetto“. „Immer wieder versuchen wir, aus diesem Ghetto auszubrechen“, sagt er. „Aber wir schaffen es einfach nicht.“

Ein Gerichtsurteil trifft dieses kulturelle Ghetto jetzt mitten ins Herz: Am Freitag hat ein Gericht in der belarussischen Hauptstadt Minsk den Verlag Lohvinau zu einer Geldstrafe von einer Milliarde belarussischer Rubel, umgerechnet 60.000 Euro, verurteilt. Der wichtigste belarussische Verlag für zeitgenössische und kritische Literatur steht somit vor dem Aus. „Es ist klar, dass wir dieses Geld nicht aufbringen können – das würde unseren Konkurs bedeuten“, sagt Lohvinau. Er hat angekündigt, das Urteil innerhalb von zehn Tagen anzufechten.

Die Verurteilung ist der bisherige Höhepunkt in einer Reihe von Repressionen gegen den Verlag. Ein Fotoband mit preisgekrönten Pressefotos – unter anderem einer Fotostrecke über die Opfer des Anschlag auf die Minsker Metro im Jahr 2011 – wurde von einem Gericht als „extremistisch“ eingestuft. Vor drei Jahren wurde der Verlag Lohvinau aus dem staatlichen Buchverkauf ausgeschlossen. Im Herbst 2013 schließlich wurde dem Verlag die Lizenz entzogen – die Grundlage für die aktuelle Geldstrafe, da Lohvinau seither unautorisiert Bücher verkauft hat, so die offizielle Begründung.

Ihar Lohvinau hat den gleichnamigen Verlag bereits 2000 gegründet, als Projekt für experimentelle belarussische Literatur. Seither hat sich Lohvinau aber auch auf die Übersetzung ausländischer Literatur ins Belarussische spezialisiert. Der belarussischen Sprache hing lange Zeit das Makel des Provinziellen an, sie ist in den vergangenen Jahren allerdings zu einer Art Symbol der Opposition geworden. Zahlen zur Verwendung des Belarussischen gibt es wenige, laut offiziellen Angaben wird es nur von jedem vierten Belarussen gesprochen.


Alternative zu staatlichen Verlagen

Lohvinau ist zudem auch mit der Publikation von oppositioneller Literatur aufgefallen. So umfasst der Katalog des Verlages auch Schriften von Autoren, die sich immer wieder kritisch zur Staatsmacht geäußert haben – von Nationalisten bis hin zu politischen Gefangenen. Der Buchmarkt in Belarus wird von staatlichen Verlagen dominiert. „Autoren, die nicht loyal zum Staat sind, sind da unerwünscht“, sagt Ihar Lohvinau. „Genau mit ihnen arbeiten wir.“

In der Minsker Kulturszene sorgt die Verurteilung für große Besorgnis. „Lohvinau ist die wichtigste Lokomotive für die belarussische unabhängige Kulturszene“, sagt Tatjana Artimowitsch vom Künstermagazin pARTizan. „So hat er über Jahre nicht nur wichtige Bücher publiziert und die belarussische Sprache erhalten, sondern hat auch ein wichtiges Zentrum für Gleichgesinnte geschaffen“. Lohvinau betreibt auch einen Buchladen im Zentrum von Minsk – ein Treffpunkt für unabhängige Künstler und Intellektuelle. „Das ist unerhört“, sagt der Schriftsteller Viktor Martinowitsch. „Wenn auch der Buchladen schließen muss, wird es in der gesamten Hauptstadt nur noch staatliche Buchhandlungen geben.“

Für viele Beobachter geht das Urteil aber noch viel weiter. „Das ist ein weiterer Versuch, Andersdenkende in Belarus zu liquidieren“, sagt Ulad Wialatschka, Leiter des internationalen Konsortiums „Eurobelarus“. Oppositionelle und Bürgerrechtler werden schon seit Jahren stark unter Druck gesetzt und mit Gefängnisstrafen, Schikanen und Geldstrafen unterdrückt. „In letzter Zeit ist gerade die Kultur zu einem Feld für zivile Tätigkeiten und unabhängiges Engagement geworden“, sagt Wialatschka. Das Vorgehen der Behörden wurde auch international kritisiert, so vom deutschen PEN-Club.

Auch im Netz haben die belarussischen Behörden zuletzt die Daumenschrauben angelegt: So wurden Mitte Dezember einige unabhängige Online-Zeitungen blockiert, die über die zunehmenden wirtschaftlichen Turbulenzen – etwa die Panikkäufe aus Angst vor einer bevorstehenden Währungsabwertung – berichtet hatten. Belarus ist eng mit Russland verflochten, das unter dem niedrigen Ölpreis, Währungsverfall und den Sanktionen leidet. Beobachter gehen davon aus, dass der Druck auf unabhängige Medien weiter steigen wird, insbesondere vor den Präsidentschaftswahlen im November. Aljaksandr Lukaschenko, der „letzte Diktator Europas“, führt das Land bereits seit mehr als 20 Jahren. Ein kürzlich geändertes Mediengesetzt soll den Behörden jetzt noch mehr Handhabe geben, um unliebsame Medien zu kontrollieren.

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Quellen:

Persönliche Gespräche mit dem Verleger Ihor Lohvinau in Minsk, Januar 2015 und via Mail anlässlich der Verurteilung am 9. Januar 2015

Gespräche mit Künstlern

Bericht über die Verurteilung: http://nn.by/?c=ar&i=141967&lang=ru


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