Ukraine

Zehn Tage im Februar

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„Eigentlich wollte ich mich nur mit Freunden in Kiew treffen“, sagt der italienische Fotograf Jacob Lööv. Ende November 2014 war er dann plötzlich mittendrin in den Kundgebungen und Protesten auf dem Unabhängigkeitsplatz in Kiew. Es habe Aufbruchsstimmung geherrscht, die Menschen waren im Großen und Ganzen friedlich, sagt der 37-Jährige.

Das änderte sich mit der Zeit. Statt Europafahnen hielten viele Demonstranten nun Knüppel in den Händen, die Menschen vermummten und bewaffneten sich spätestens seit dem „Marsch der Millionen“ am 8. Dezember 2013, als Sicherheitskräfte repressiver gegen sie vorgingen. Lööv, der sich neben Osteuropa auch sehr für Umweltthemen interessiert, fuhr kurz nach Neujahr wieder nach Kiew.


Die Atmosphäre war angespannt

Am 10. Februar 2014 protestierten Maidan-Aktivisten vor einem Polizeigebäude gegen die Verhaftung von Mitstreitern. Lööv sah eine rothaarige junge Frau, die sich die Maske vom Kopf zog und sprach sie an. Für die nächsten Tage verabredete sich der Fotograf mit der damals 19-jährigen Journalismusstudentin Olesja Goryainova aus Kiew. „Es hat etwas gedauert, aber irgendwann ließen sie mich zur Gruppe“, sagt Lööv.

Die Gruppe – das ist der 14. Sotnia, eine der sogenannten Selbstverteidigungseinheiten vom Maidan, die sich wegen der zunehmenden Polizeigewalt gründeten. Die Hauptforderung der Gruppe sei eine unabhängige Ukraine ohne Janukowitsch gewesen, sagt Lööv. Die Mitglieder hätten sich oft darüber geärgert, dass in der Zeitung nur vom geopolitischen Interesse der USA oder Russlands die Rede sei, als ob die Ukrainer kein Mitspracherecht hätten.


Veränderungen sind aufgeschoben

Die Atmosphäre in diesen Tagen empfand der Fotograf als angespannt. „Es schien keineswegs ausgeschlossen, dass die Polizei in das Hauptquartier des 14. Sotnias käme und ein Massaker veranstaltet“, erinnert sich Lööv. Zum Schutz der Gruppe gab Fotograf Lööv den Aktivisten das Versprechen, Bilder, auf denen sie unmaskiert waren, nur zu veröffentlichen, wenn die Revolution erfolgreich wäre und ihnen keine Gefahr mehr drohe. Die unmittelbare Gefahr für die Aktivisten ist heute vorbei. Doch ob die Revolution tatsächlich erfolgreich war, ist hingegen weit weniger klar. Ein Jahr nach dem Maidan hat Jacob Lööv die Aktivistin Olesja Goryainova jetzt wiedergetroffen und mit ihr über die Folgen der Proteste gesprochen.

Olesja ist in ihre Heimatstadt Sumy, rund 300 Kilometer östlich von Kiew, umgezogen. Sie studiert wieder, aber auch sie kann nicht komplett in ihr altes Leben zurückkehren. „Sie sammelt Geld und Material für die Kämpfer in der Anti-Terror-Operation im Osten der Ukraine“, erzählt Lööv von ihrem erneuten Treffen. Sie sei aber auch Mitglied des Young Nationalist Movements, einer Organisation, die den „patriotischen Geist“ der Jugend stärken will und dazu beispielsweise martialisch anmutende Kampf- und Kriegsspiele im Wald veranstaltet.
Olesja bedauere den Maidan nicht. „Wir konnten einfach nicht so weiterleben“, sagt sie – und doch spricht Enttäuschung aus ihrer Stimme. Janukowitsch ist weg, aber die gewünschten Reformen blieben aus. Nach wie vor gebe es viel Korruption im Land und der Krieg im Osten des Landes überschatte alles. Tiefgreifende Veränderungen? Aufgeschoben.


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