Griechenland

Dramatische Lage im „Hotspot“

„Wir sind schockiert über die Umstände hier“, sagt eine junge, erschöpft wirkende Syrerin. Vor wenigen Tagen ist die Frau über das Mittelmeer nach Lesbos gekommen. Die Insel in der Ägäis ist ein Hauptankunftsort von Flüchtlingen: Von den über 550.000 Schutzsuchende, die allein in diesem Jahr nach Griechenland gelangten, strandete jeder fünfte auf Lesbos.

Wer die gefährliche Überfahrt überlebt hat und registriert worden ist, soll in dem ersten sogenannten „Hotspot“ Griechenlands untergebracht werden, der Mitte Oktober bei dem Dorf Moria auf Lesbos eröffnet wurde. Von dem Konzept, das derzeit in der Pilotphase ist, erhofft sich die EU viel: Ziel ist es, Flüchtlinge gleich an der EU-Außengrenze aufzunehmen und dann direkt in anderen EU-Ländern zu verteilen. Doch die Realität sieht anders aus.


Der Hotspot ist bis auf weiteres geschlossen

Mehr als 2.500 Menschen können in Moria binnen 24 Stunden registriert werden. Doch oft kommen mehr als 5.000 Flüchtlinge täglich an. Behörden und Hilfsorganisationen sind überfordert. „Alle bisherigen Erwartungen, dass jetzt im Herbst weniger Menschen ankommen, haben sich nicht bestätigt“, so Dimitris Amoutzias, stellvertretender Lagerleiter.

Auf dem Gelände der ehemaligen Kaserne warten Kinder, Schwangere, ältere Menschen, Kriegsverletzte und Menschen mit Behinderungen oft tagelang in der Kälte, in der Nässe und in Müllbergen auf ihre Registrierung. Doch ins eigentliche Hotspot-Lager gelangen die Flüchtlinge auch dann nicht. Weil der Staat sie dort derzeit nicht mit Essen versorgen kann, ist der Hotspot bis auf weiteres für die Menschen geschlossen. Sie müssen in der Regel außerhalb in Zelten, Containern oder Notunterkünften ausharren. Manche decken sich mit Kartons und Müllsäcken zu.

Einige verbrennen Plastik, um sich zu wärmen. Sie hoffen auf Mahlzeiten von Hilfsorganisationen, um nicht zu verhungern. Immer wieder gibt es Spannungen und Gedränge. Aktivisten berichten unter anderem von Flüchtlingen, die wegen der Tränengaseinsätze der Polizei Atemprobleme bekommen.


Die Menschen stehen im Dreck

Immer wieder besuchen hochrangige Politiker den Ort - am Donnerstag der EU-Parlamentspräsident Martin Schulz. Freiwillige versuchen Tag und Nacht, den Flüchtlingen zu helfen. Mehr als 80 Organisationen sind auf der Insel aktiv. Der UN-Flüchtlingsrat hat 62 Notunterkünfte vor dem Lager bereitgestellt, wo maximal acht Personen hineinpassen sowie ein großes Zelt.

Doch die Situation in Moria bleibt katastrophal, betonen Experten. „Die Menschen stehen im Dreck, das ist die Realität. Wenn dies ein Hotspot ist, dann will man hier praktisch Dritte-Welt-Verhältnisse schaffen, um die Leute abzuschrecken“, vermutet der Europareferent der Organisation Pro Asyl, Karl Kopp.

Derzeit sitzen seit Anfang der Woche tausende Flüchtlinge fest, weil sie wegen eines mehrtägigen Streiks der Seeleute nicht aufs Festland reisen können. Während täglich Tausende von Schutzsuchenden trotz der schlechten Wetterbedingungen auf Lesbos ankommen, spült das Meer immer wieder leblose Körper von den Opfern der letzten Schiffsunglücke an.

Allein am 28. Oktober starben bei dem wohl bislang größten Schiffsunglück auf der griechischen Seite der Ägäis, 42 Menschen. Nach Angaben von Amnesty International sind in den ersten zehn Monaten diesen Jahres schon mehr als 454 Menschen in der Ägäis ertrunken.


Weitere Artikel