Polen

Deutsche Kritik weckt Ressentiments

Von einer „gelenkten Demokratie nach Putins Art“ in Warschau spricht EU-Parlamentspräsident Martin Schulz. Mögliche Sanktionen gegen Polen erwägt CDU-Fraktionschef Volker Kauder. Und von einer Überprüfung Polens durch die EU-Kommission spricht der Kommissar für Digitales Günther Oettinger.

Doch diese Kritik könnte das Gegenteil dessen bewirken, was sie soll. Zzum einen sind Vergleiche zwischen dem Parteichef der in Polen regierenden Recht und Gerechtigkeit (PiS), Jaroslaw Kaczynski, und Russlands Präsident Putin hanebüchen – in Russland werden unabhängige Medien und Opposition drangsaliert, Journalisten und Politiker ermordet, Russland ist in der Ukraine ein militärischer Aggressor. Von solchen Verhältnissen ist Polen zu weit entfernt, als dass Analogien adäquat oder hilfreich wären.


Nur eine Bestätigung deutscher Dominanz

Zum anderen aber kommt die Kritik an Polen bislang vor allem von zwei Seiten: Aus Berlin und Brüssel. Dies aber schweißt die PiS und ihre Anhänger zusammen. Und selbst Kaczynski-kritische Polinnen und Polen könnten im Duo Brüssel-Berlin nur eine Bestätigung der deutschen Dominanz in der EU sehen.

Martin Schulz oder EU-Kommissar Günther Oettinger sind für die PiS in erster Linie eben eines: deutsche Politiker. Entsprechend titelt das in nationalkonservativen Kreisen einflussreiche Magazin „wSieci“ am Montag mit einem Bild von Schulz und Kanzlerin Angela Merkel, die sich gemeinsam mit Zarin Katharina offenbar über Polens erneute Aufteilung verschwören.

Natürlich sind diese Bilder übertrieben. Doch sie geben die Wahrnehmung vieler Menschen im Land wider, die Kaczynski am Sonntag bei einer Kundgebung so zusammenfasste: „Kein Druck, keine Worte, die nie hätten fallen sollen, insbesondere aus deutschen Mündern, werden uns von unserem Weg abbringen.“ Geschichtliche Ressentiments zu wecken ist in Polen leicht. De facto sind die Geister aus der Vergangenheit nun wieder erwacht.


Gegenwind aus den USA

Wenn Polens Regierung in Fragen wie Medienpolitik oder der Situation des Verfassungsgerichts einlenken soll, muss der Gegenwind für Warschau notwendig aus einer anderen Richtung blasen als (nur) aus Brüssel und Berlin. Der britische Historiker Timothy Garton Ash hat jüngst zu Recht darauf hingewiesen, dass insbesondere Polens traditionelle Freunde, etwa Frankreich und Italien, Druck ausüben müssten.

Noch effektiver wäre konkrete Kritik aus den USA, die aus Sicht der polnischen Nationalkonservativen der unumstrittene sicherheitspolitische Schutzpatron Polens sind. Doch Kritik aus Washington würde nicht nur auf die PiS, sondern vor allem auf große Teile der Bevölkerung, die anders als viele Menschen im EU-Westen weniger USA-skeptisch ist, Eindruck machen.

Sollten sich keine weiteren, bedeutenden EU-Staaten auch jenseits der Brüsseler Einbettung vehement zur Situation in Polen äußern, wird die PiS eventuelle Brüsseler Maßnahmen, etwa den angekündigten Rechtsstaatsmechanismus gegen Polen, daheim als Berliner Diktat verkaufen – und damit den Konflikt weiter eskalieren und die Anhängerschaft mobilisieren.

Denn tatsächlich hat Berlin im Sanktions-Kräftemessen auch jenseits der deutsch-polnischen Geschichte derzeit nicht die günstigste Ausgangslage. In Polen beäugen selbst scharfe PiS-Kritiker überaus skeptisch etwa die Pläne Deutschland und Russlands über den Bau der deutsch-russischen Ostseegaspipeline Northstream II. Berlin verkauft die geplante Gasleitung, die faktisch eine Schwächung Polens und der Ukraine als Gastransitländer bedeuten könnte, bislang als „rein wirtschaftliches Projekt“. Eine bessere Steilvorlage, Berlin der Doppelmoral zu bezichtigen, kann es für die PiS kaum geben.


Kaczynski ist irrationaler als Orban

Und noch eines sollten Polen-Kritiker trotz aller berechtigten Schelte bedenken: Kaczynski ist nicht Orban. Dem Handeln des 66-jährigen Polen wohnt neben allem rationalen Machtkalkül ein irrationales Element inne. Es ist mitunter schwer einzuschätzen, an welche seiner national-katholisch-autoritären Eckpfeiler seiner Politik er tatsächlich glaubt und welche er nur kalkuliert einsetzt: Etwa die Verschwörungstheorien über den Flugzeugabsturz von Smolensk 2010, seine Position zu den postkommunistischen Seilschaften, durch die Polen zersetzt sein soll und die er beseitigen will, und nicht zuletzt eine angebliche deutsch-russische Interessengemeinschaft, in der Polen bislang nur Spielball, aber kein Akteur sei.

Wenn sie dies nicht berücksichtigen, könnten deutsche Politiker in Brüssel und Berlin Hardliner Kaczynski gegenüber eher moderaten PiS-Politikern, die es durchaus gibt, stärken. Und daran kann niemanden gelegen sein.


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