Griechenland

Verzweifelt an der Grenze

Sichtlich bewegt steht Omar vor dem Grenzübergang in Idomeni, zusammen mit anderen syrischen Flüchtlingen. Der 40-jährige Zahnarzt aus Aleppo ist gerade aus dem Lager in der Nähe an die Grenze gekommen, um die Situation einzuschätzen. Auf dem schlammigen Boden sitzen erschöpft Mütter mit ihren Säuglingen in den Armen. Es rührt sich nichts.

Es ist 10 Uhr morgens und bis jetzt konnten nur wenige Flüchtlinge die Grenze überqueren. Omar ist verzweifelt: „Wir haben keine Information über den Stand der Dinge. Wir sind verwirrt. Wir wissen nicht was wir machen sollen“, sagt er. Am Wochenende haben die mazedonischen Grenzbehörden die Einreiseregeln weiter verschärft. Es werden nur noch Schutzsuchende durchgelassen, die aus Städten kommen, in denen Krieg herrscht.

Omar hat einen Mann aus Damaskus getroffen, der soeben an der Grenze abgewiesen wurde. Neben ihm: ein junger Familienvater im Rollstuhl, ebenfalls mit seinen Kindern abgewiesen. „Wir rennen alle vor Bomben, vor Kriegsflugzeugen weg. Europa hätte vor einem Monat sagen sollen, dass wir in Syrien bleiben sollen. Dass es den Europäern egal ist, was mit uns passiert“, sagt Omar.


Aus Dresden nach Aleppo

Ein paar Meter weiter versucht Taisir auf einem Feld einen Platz zu finden, um ein kleines Zelt für seine Familie aufzubauen. Der 47-jährige Mann hat in Dresden studiert und gearbeitet. Er ist im Jahr 2006 nach Aleppo zurückgekehrt und hat dort einen Schuhladen eröffnet. Nun ist alles Geschichte. Taisir will jetzt seine Familie in Sicherheit bringen.

„Nur nach Deutschland. In Österreich will ich mich keine Minute aufhalten“, sagt er. Neben ihm steht eine lange Schlange von Flüchtlingen, die schon seit Stunden auf ein Sandwich warten. Das Lager in Idomeni war eigentlich für 2.000 Personen ausgelegt, die sich hier vor der Grenzüberquerung kurzfristig aufhalten sollten. Seitdem die Balkanroute quasi dicht gemacht wurde, harren über 14.000 Schutzsuchende in Idomeni aus – in der Hoffnung, durchzukommen. Unter den Flüchtlingen sind etwa 4.000 Kinder. Viele sind schon seit mehr als zwei Wochen im Lager.

Flüchtlinge schlafen bei niedrigen Temperaturen unter freiem Himmel, Kinder laufen barfuß in Urinschlamm herum, manche haben sichtbare Verletzungen von den tagelangen Strapazen. Die Sanitäranlagen reichen nicht aus, die Lebensmittel auch nicht. Immer wieder starten Aktivisten und internationale Hilfsorganisationen Spendenaufrufe, um warme Mahlzeiten, Zelte und saubere Kleidung zu organisieren.


Hoffen auf neue Route

Taisir macht sich große Sorgen um seine Familie. „Wenn ich allein wäre, würde ich irgendwo schlafen. Aber die Kinder – das ist das Problem. Jetzt regnet es, was passiert mit den Kindern?“, fragt er. Vor dem Zelt der Hilfsorganisation „Ärzte ohne Grenzen“ warten mehrere Menschen, darunter Mütter mit ihren kranken Kindern. Ein Krankenwagen holt ein Baby mit schweren Atemproblemen ab.

Christian Reynders, stellvertretender Koordinator der Organisation, betont, wie gefährlich die Situation insbesondere für die Kinder ist. Einer der vielen Gründe seien die improvisierten Feuer, die die Menschen entzünden, um sich zu wärmen. „Oft verbrennen sie Plastikabfall, was sehr toxisch ist. Jeden Tag haben wir Fälle von Kindern mit Atemproblemen. Auch Neugeborene müssen wir oft mit Sauerstoff versorgen oder ins Krankenhaus schicken“, sagt Reynders.

Am Sonntag hatte die griechische Regierung angekündigt, bis Ende der Woche 14 weitere Hotspots mit Kapazitäten für rund 17.400 Personen einzurichten. Beobachter schließen nicht aus, dass die Flüchtlinge in den kommenden Tagen von der Polizei aus Idomeni in die neuen Lager gebracht werden.

Laut Angaben des UN-Flüchtlingsrats sind mehr als 90 Prozent aller Menschen, die von der Türkei aus mit Booten nach Griechenland kommen, Flüchtlinge aus Kriegsregionen. Der griechische Premierminister Alexis Tsipras drängt auf eine rasche Umsiedlung der Flüchtlinge in die EU. Omar, der Zahnarzt aus Aleppo, hält nicht viel von dem Umsiedlungsprogramm. Er fürchtet, dass er dann nicht in sein Zielland Deutschland kommt. „Wir hoffen, dass sich eine andere Route für uns öffnet. Durch Albanien, oder Bulgarien“, sagt Omar. „Nichts ist wichtiger als die Sicherheit meiner Kinder. Nur in Deutschland können wir in Sicherheit leben.“


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