Polen

Neue Kampfzonen in Osteuropa

INHALT

POLEN: Die neuen Wachtürme
An der Grenze zu Kaliningrad stehen vier neue Wachtürme. Wozu sie dienen, weiß keiner so genau.

LITAUEN: Lernen, stark zu sein

Viele junge Litauer melden sich freiwillig zum wieder eingeführten Wehrdienst.

POLEN: „Kiegerisches Verhalten ist etwas Normales”

Warum trainieren zehntausende Polen in ihrer Freizeit für den Kriegsfall?

LITAUEN: Der Tartarenleutnant ist zurück

Ein ukrainischer Leutnant nimmt an US- und Nato-Trainings im Baltikum teil.

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POLEN


Der polnischen Regierung nach sollen die Wachtürmean der polnisch-russischen Grenze vor Zigarettenschmuggel und illegaler Einwanderung schützen. Ihr wahrer Zweck ist jedoch vielen unklar. / Foto: Jan Zappner, n-ost

An der Grenze zu Kaliningrad stehen seit einem Jahr vier neue Wachtürme - wozu sie dienen, weiß keiner so genau.

Wegorzewo - Vor der „Straz Graniczna“, dem pastellfarbenen Zollgebäude am Eingang der Stadt Wegorzewo, stützt Zollbeamtin Miroslawa Aleksandrowicz die Arme in die Hüften und schaut böse. Tags zuvor haben ihre Kollegen uns in flagranti ertappt, als wir die vier neuen Wachtürme entlang der 200 Kilometer langen Grenze zwischen Polen und Russland auf dem GPS ausfindig machen wollten. „Ist Ihnen bewusst, dass Sie fast russisches Gebiet betreten hätten. Ich kenne Leute, die hätte man unter Beschuss genommen!“, sagt Aleksandrowicz.


Checkpoints an der russischen Grenze

Die Zollbeamtin trägt ihre Pistole deutlich sichtbar. Sie wirft uns einen unmissverständlichen Blick zu. „Jetzt kommen Sie mit für die offizielle Besichtigung, okay?“ Sie dreht sich um und geht in die Zollstation zurück, um ihren Truppen Bescheid zu geben.

Unser Treffen mit den Grenzwächtern in Wegorzewo, einem Städtchen rund zehn Kilometer vor Kaliningrad, wird vom Außenministerium in Warschau organisiert und für die „ausländischen Journalisten“ überwacht. Zehn Uhr: Besichtigung eines der Türme. Halb elf: Fotoshooting und Fragen ausschließlich an Miroslawa Aleksandrowicz. Elf Uhr: Rückkehr zur Zollstation und Interview mit dem Korporal.


Mehr Technologie durch den EU-Beitritt

Der Jeep des Zolls gleitet über den sonnengetränkten Asphalt, vorbei an joggenden Soldaten und zwei enormen Panzern, die in die Gegenrichtung fahren. Die Garnisonstadt Wegorzewo im Herzen der Woiwodschaft Ermland-Masuren, einem Landstrich mit vielen Seen und Störchen, ist auch ein Touristenziel. In der Stadt findet eines der bekanntesten Rock- und Poesie-Festivals Polens statt. An den Fenstern erscheinen Schilder mit der Aufschrift „Zimmer frei“, die darauf hindeuten, dass die Region bei Urlaubern, vor allem bei Deutschen, beliebt ist.

„Der EU-Beitritt 2004 hat Vorteile gebracht“, erzählt Miroslawa Aleksandrowicz. „Innerhalb von zehn Jahren hat sich vieles zum Besseren entwickelt, vor allem finanziell: Wir haben mehr Geld, neue Technologien, neue Autos und Computer.“ Andererseits habe sich der Schmuggel aller Art verschlimmert: „Zigaretten, Alkohol, Benzin. Die Russen sind genauso gut dabei wie die Polen.“

Die Nato rüstet auf

Seit der Krim-Annexion und dem Krieg in der Ukraine hat die Nato ihre Truppen in Osteuropa erheblich aufgestockt. In Polen und dem Baltikum steigt die antirussische Stimmung, sowohl in den Medien als auch im öffentlichen Diskurs. Vorfälle mit russischen Jagdflugzeugen über der Ostsee schüren zusätzlich Ängste vor einer Eskalation.

Auf ihrem Gipfel am 8./9. Juli 2016 in Warschau wird sich die Nato voraussichtlich mit der Umsetzung eines „Abschreckungsprogramms“ befassen. Russland seinerseits warnt weiter vor jeglicher Einmischung in seiner unmittelbaren Nachbarschaft.

Das Auto rüttelt kräftig, als es die Landstraße verlässt und in einen schmalen Weg einbiegt, der sich durch den Wald schlängelt. „In der Zollstation arbeiten 36 Personen, aufgeteilt auf mehrere Abteilungen: die Umweltaufsicht, die Ranger, die sich um die Pflege der Wälder kümmern, die Wasserpolizei und die Wachen, die die Checkpoints an der russischen Grenze kontrollieren.“ Halbherzig gesteht Miroslawa Aleksandrowicz, dass ihre „ausgezeichneten“ Beziehungen zu den russischen „Kollegen“ sich nicht geändert haben. „Seit der Ukraine, meine ich“, fügt sie noch hinzu.

Nach den Tannenwäldern kommen wir in eine etwas erhöhte Ebene, in der sich Felder voller Gänseblümchen erstrecken, so weit das Auge reicht. „Da drüben ist Russland“, deutet Miroslawa Aleksandrowicz mit einem manikürten Finger. „Allerhöchstens drei Kilometer.“ Eine eingehende SMS ertönt: „Willkommen in Russland“, in kyrillischen Buchstaben.


Radargeräte und Stacheldraht

Inmitten der Waldlandschaft, die eine Höhe von 35 bis 50 Metern erreicht, erhebt sich kurz darauf ein Wachturm. Eine dicht mit Radargeräten bedeckte und durch Stacheldraht geschützte Eisensilhouette. „Dann können Sie jetzt Ihre Fotos machen.“ Die Zöllnerin zündet sich eine Zigarette an. Ihre Kollegen gehen ein paar Schritte weiter in den Schatten, um sich dort leise zu unterhalten. Außer dem Vogelgezwitscher gibt es kein Geräusch. Und zu sehen auch nicht viel.

„Da oben auf den Türmen, sind das Kameras und Bewegungsmelder?“

„Über die Technik kann ich nicht sprechen“, antwortet Aleksandrowicz mit verschränkten Armen.

„Alle Informationen werden an die Kommandozentrale weitergeleitet, richtig?“

„Ja. Drei Personen überwachen diesen Ort permanent. Entlang der Grenze gibt es sechs solcher Türme.“

„Bis auf welche Entfernung können Sie überwachen?“

„Das ist vertraulich.“


Seit 2014 steigen die Militärausgaben in den an Kaliningrad angrenzenden Gebieten an. / Infografik: Gil Skorwid


Niemand kennt den Zweck der Türme

Der Turm ist seit Juni 2015 in Betrieb und theoretisch mit Überwachungstechnik ausgestattet. Er soll dazu dienen, die Grenze rund um die Uhr zu sichern. Warum, vor wem? Ein Mysterium. „Viele Ihrer Kollegen, deutsche, englische und sogar japanische Journalisten sind hergekommen, um die Wachtürme zu sehen“, knüpft Aleksandrowicz an. „Sie haben berichtet, dass die Türme wegen der Ukraine gebaut worden seien, zu Spionagezwecken. Völliger Unsinn“, möchte sie klarstellen. Aleksandrowicz zufolge arbeitet Polen seit 2004 an diesem Überwachungsprojekt. „Wir müssen die illegale Einwanderung bekämpfen“, wiederholt sie nachdrücklich.

Rückblickend auf zwanzig Dienstjahre kann sich Miroslawa Aleksandrowicz nur an einen einzigen Einwanderer erinnern, den sie aufgehalten hat. Ohne Papiere, ohne Dokumente. „Er log ununterbrochen, also haben wir ihn in ein Auffanglager gesteckt. Die Migranten werden an Checkpoints erwischt, weil sie keine Pässe haben oder weil sie versuchen, rennend über die Felder zu gelangen“, sagt sie kopfschüttelnd. Viele kämen aus Tschetschenien, Aserbaidschan – aus früheren Sowjetrepubliken.

„Okay, sind Sie fertig mit Ihren Fotos? Wir fahren zum Stützpunkt zurück“, ordnet Aleksandrowicz in einem Ton an, der keinen Widerspruch duldet. Auf der Rückfahrt herrscht Stille. Laut einer Umfrage, die die polnische Wochenzeitung Wprost 2013 durchgeführt hat, haben die USA nach dem Fall der Mauer in einem Dorf in der Nähe von Wegorzewo eine Spionagestation errichtet. „Davon habe ich noch nie etwas gehört“, erwidert die Zollbeamtin trocken, bevor sie uns dem Kommandanten des Stützpunkts vorstellt, einem lächelnden Mann um die Dreißig, der ein Gähnen nicht unterdrücken kann. Es ist gleich Mittagszeit.

„Nun haben Sie die Türme gesehen. Sind Sie zufrieden?“, eröffnet er das Gespräch.

„Zu welchem Zweck wurden sie gebaut?“

„Die polnische Regierung will den Zigarettenschmuggel und die illegale Einwanderung bekämpfen.“

„Haben Sie genaue Zahlen? Wie viele Menschen wurden beispielsweise seit 2014 aufgehalten?“

„Wir haben kein Zahlenmaterial vorliegen.“
Hinter seinem Rücken gestikuliert Miroslawa Aleksandrowicz und flüstert, dass sie sie per Mail schicken werde.

„Und das, was die ausländischen Journalisten über die Spionage schreiben …“, antworte ich.

„Das stimmt nicht. Sie lügen.“

„Können Sie mit Ihrer Anlage beobachten und hören, was in Russland passiert?“

„Nein.“

„Machen Sie sich seit dem Krieg in der Ukraine Sorgen über das Verhältnis zu Russland?“

„Militärische Fragen sind an das Verteidigungsministerium zu richten.“

„Ich frage ganz persönlich ...“

„Es ist unmöglich, die Zukunft vorherzusagen. Wir sind dazu verdammt, in der Gegenwart zu leben.“
Er steht auf und klackert mit den Stiefeln. Ein Zeichen dafür, dass wir am Ende des Gesprächs sind. Miroslawa Aleksandrowicz kann ihre Erleichterung nicht verbergen. Sie begleitet uns lächelnd hinaus, bevor sie sich noch eine Zigarette ansteckt. „Wir haben die Zahlen zur illegalen Einwanderung gefunden“, sagt sie. „Geben Sie mir Ihr Notizheft!“ Sie blickt auf ein gedrucktes Dokument und beginnt dann, in großen runden Buchstaben zu schreiben:

„6 (durchgestrichen), 5 PEOPLE IN 6 YEARS, LAST ONE IN 2013.

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LITAUEN


In Litauen herrscht seit der Einführung der Wehrpflicht ein wahrer Militär-Hype. Der Slogan des Bataillons in Klaipeda lautet übersetzt „Handeln oder Sterben“. / Foto: Jan Zappner, n-ost

Bei jungen Litauern ist es wieder angesagt, sich freiwillig zur Armee zu melden. Besuch in einer Kaserne in Klaipeda.

Klaipeda - Die Kaserne des „Drachenbataillons“ in der litauischen Hafenstadt Klaipeda ist zum Dienstantritt der neuen Rekruten frisch renoviert geworden. Laimonas Brazaitis, Presseattaché im Verteidigungsministerium, hatte weniger als vier Monate Zeit, um diesen Tag vorzubereiten. Jetzt reibt er sich die Hände. Im Mai 2015 hatte das litauische Parlament entschieden, die Wehrpflicht wiedereinzuführen, die 2008, vier Jahre nach dem Beitritt des Landes zur Nato, abgeschafft worden war.

In dem kleinen baltischen Land hat sich Angst breit gemacht: Seit der Annexion der Krim und dem Konflikt im Osten der Ukraine haben die Spannungen mit dem russischen Nachbarn wieder zugenommen. Die ausschließlich im Internet veröffentlichte Rekrutierungskampagne habe sich in sozialen Netzwerken und medial sehr stark verbreitet, erklärt Laimonas. „Als der Sohn eines berühmten litauischen Fußballers sich verpflichtet hat, ist es zum Hype geworden, sich zu melden“, fügt er hinzu.

Drei riesige Busse, an deren Fenster sich pausbäckige Gesichter mit Kopfhörern auf den Ohren drängen, passieren die Tore der Kaserne: Die jungen Leute steigen im Blitzlichtgewitter der Fotografen aus. Landesweit sind 3.000 neue Rekruten registriert worden. Allein das Drachenbataillon in Klaipeda wird dieses Jahr 495 Wehrdienstleistende aufnehmen, 480 Männer und 19 Frauen im Alter zwischen 20 und 30 Jahren.


Bittere Erinnungen

Die Rekruten stehen aufgereiht im Hof und warten darauf, dass ihr Name aufgerufen wird. Der Appell beginnt. Sobald die jungen Männer aufgerufen werden, versammeln sie sich hinter dem ausbildenden Unteroffizier. Nächster Schritt? Haareschneiden. Die Schlafsäle – neu gestrichene Würfel in Apfelgrün mit vergitterten Fenstern – verfügen über sechs regelkonforme Etagenbetten und Metallspinde. Künftige Soldaten lernen dort gerade vor laufenden Kameras, ihr Bett zu machen.

Linas, 20, schaut einem direkt in die Augen: „Ich will lernen, stärker zu sein“, sagt er schüchtern auf Englisch. „Mich körperlich und geistig testen, bis an meine Grenzen gehen. Mein Vater und mein Großvater waren in der russischen Armee, weil sie zu Sowjetzeiten keine Wahl hatten.“

In Litauen ist die bittere Erinnerung an die Invasion russischer Panzer 1945, am Tag nach dem Sieg der Alliierten im Zweiten Weltkrieg, immer noch eine klaffende Wunde, obwohl das Ereignis bereits drei Generationen zurückliegt. Die Balten haben das Gefühl, von den westlichen Mächten an Stalin ausgeliefert worden zu sein, nie vergessen. „Niemand glaubt, dass die Nato reagieren wird, sollte Russland uns heute angreifen. Wir können nur auf uns selbst zählen“, fährt Linas fort und deutet stolz auf ein Wappen. In goldenen Lettern steht dort der Slogan des Drachenbataillons: „Nugalesim arba zusim“, was so viel heißt wie „Handeln oder Sterben“.


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Kämpferischer Blick

Im Speisesaal: Nach einem schnell heruntergeschlungenen Essen aus Reis, Fisch und Bananen beantwortet Viktoria, 30, eine der wenigen anwesenden Frauen, Fragen: „Ich habe meinen Job gekündigt, bin geschieden und habe einen Sohn. Ich möchte ein Vorbild für ihn sein, möchte, dass er in einem freien und friedlichen Land aufwächst“, sagt sie. „Meine Familie wird mir fehlen, aber ich sehe sie, wenn ich Ausgang habe.“

Seit kurzem dürfen auch Frauen in die litauische Armee eintreten. Sie machen rund zehn Prozent des militärischen Personals aus, ein Rekord. Zurückführen lässt sich dieser Trend sicherlich auf die Persönlichkeit von Präsidentin Dalia Grybauskaite, die oft „Eiserne Lady des Baltikums“ genannt wird und seit 2009 an der Macht ist.
Zur Eröffnung der Kaserne ist sie persönlich gekommen, umkreist von einem Schwarm von Beratern und Mikrofonen.

Die uniformierten Kommandanten der See- und Landkräfte können ihr kaum folgen. Ihre blonde und sorgfältig eingesprühte Dauerwelle bewegt sich im Verlauf ihres Besuchs in der Kaserne keinen Millimeter. Mit ihrem laserblauen Blick inspiziert sie die Annehmlichkeiten, starrt die Rekruten an und hört den Offizieren aufmerksam zu.

             










Zum Natobeitritt 2004 hatte Litauen die Wehrpflicht abgeschafft. Zehn Jahre später stockt das Verteidigungsministerium das militärische Personal wieder auf. / Infografik: Gil Skorwid

„Wir müssen uns bereithalten“

Die litauische Präsidentin ist promovierte Wirtschaftswissenschaftlerin und hat nach dem Kalten Krieg eine makellose Karriere hingelegt: Ihre Abschlüsse hat sie an der Moskauer Universität und der Universität Georgetown in den USA erlangt. Sie war zunächst stellvertretende Finanzministerin und anschließend litauische Botschafterin in den USA. Die Geheimnisse des Kapitalismus beherrscht sie ebenso wie die der Diplomatie. Sie vertritt konservative Ansichten und eine harte Haltung gegenüber Russland.

Zur vorgesehenen Uhrzeit ihrer Rede schreitet sie mit kämpferischem Blick unter den Fahnen ans Pult und tritt vor die Menge junger Menschen. „Zurzeit verändert sich in Europa etwas, an der letzten Grenze der Nato“, beginnt sie. „Wir befinden uns in einer Situation, in der Russland eindeutig zu einer Bedrohung geworden ist. Ich spreche nicht nur vom Krieg in der Ukraine, ich meine das mehrfache unangemeldete Eindringen russischer Flieger in den Luftraum über dem Baltikum, die umfangreichen Manöver, die Remilitarisierung der Enklave Kaliningrad und die Stationierung von Iskander-Raketen, die auf europäische Hauptstädte gerichtet sind.“

Sie atmet tief ein und blickt die Zuhörer an. Die Fahnen flattern im Wind. „Diese Aggressionen verlangen eine Reaktion und einen besseren Verteidigungspragmatismus. Wir und Sie müssen uns bereithalten.”

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POLEN


Auf der offiziellen Facebook Website der Legia Akademicka zeigt die paramilitärische Organisation ihre Freiwilligen bei Angriffstests und Schießübungen. / Foto: Krakowska Legia Akademicka

30.000 bis 40.000 Polen trainieren in ihrer Freizeit für den Kriegsfall: Piotr Wilczynski, Kommandant der „Legia Akademicka“ in Krakau über Polens älteste paramilitärische Organisation.

n-ost: Welches Ziel verfolgt die Akademische Legion Krakau?

     

Piotr Wilczynski: Die Legia Akademicka wurde am 11. November 1918 gegründet. 1945 wurde sie verboten. Am 2. Januar 2013, noch vor dem Ukrainekonflikt, wurde sie umstrukturiert und wieder ins Leben gerufen. Wir bieten eine militärische Ausbildung für Studenten an, die sogar vom Verteidigungsministerium gefördert wird. Normalerweise organisieren wir jedes Wochenende Übungen im Wald in der Nähe von Krakau. Ein Großteil der Ausbildung besteht darin, zu lernen, wie man im Freien schießt.

Piotr Wilczynski / Foto: Krakowska Legia Akademicka

Die Rekruten probieren den Umgang mit Waffen in Konfliktsituationen aus. Weitere Kurse vermitteln militärische Grundlagen: Taktik, Erste Hilfe, Aufspüren von Feinden, Überlebenstraining sowie Fallschirmspringen. Manchmal trainieren wir zusammen mit Berufssoldaten.

Welches Profil haben Ihre Mitglieder und was motiviert sie?

Wilczynski: 90 Prozent unserer Rekruten sind Studenten oder Dozenten der Krakauer Universitäten. Frauen machen die Hälfte unserer Mitglieder aus. Die meisten Rekruten sind Freiwillige, die unsere Trainings als Möglichkeit nutzen, um sich auf eine spätere Karriere in der Armee, bei der Polizei oder anderen öffentlichen Institutionen vorzubereiten. Männer sehen darin oft die Gelegenheit, ihrer Abenteuerlust nachzugehen. Frauen wollen meist zeigen, wie emanzipiert sie sind, oder sie möchten einen Freund finden, der dieser Bezeichnung auch würdig ist. Viele Rekruten wollen aber auch später Soldat werden.

Wie erklären Sie sich den Erfolg und den großen Zulauf paramilitärischer Gruppen in Osteuropa?

Wilczynski: Kriegerisches Verhalten ist etwas Natürliches beim Menschen. Westeuropa hat dieses Verhalten vergessen. Das westliche Bildungssystem ignoriert die natürlichen Unterschiede zwischen den Geschlechtern, verbreitet Ideologien wie Ultratoleranz oder Feminismus und verurteilt jegliche Form von Aggression. In Russland wird die junge Generation völlig anders erzogen. An den russischen weiterführenden Schulen haben die Schüler zum Beispiel Pflichtkurse zum Bau des Sturmgewehrs AK-74 und dem Umgang damit.

Und das ist Ihr Vorbild auch für Polen?

Wilczynski: Polen ist heute ein sehr westlich geprägtes und friedliches Land, das das westliche Bildungssystem übernommen hat. Ganz persönlich hoffe ich, dass der geopolitische Realismus bald nach Europa zurückkehrt und dass das politisch Korrekte nicht länger oberstes Erziehungsziel bleibt. Andernfalls werden die russischen Truppen im Dritten Weltkrieg (der ohnehin eines Tages stattfinden wird) bis Lissabon durchmarschieren können. Die Zeit des ewigen Friedens ist noch nicht gekommen.

Kann der Machtwechsel, der vor kurzem in Polen stattgefunden hat, Auswirkungen auf die politischen Beziehungen zu Russland haben?

Wilczynski: Ich glaube nicht, dass Russland auch nur den geringsten Anspruch auf polnisches Gebiet erhebt. Wirtschaftliche Interessen hat es hier allerdings sehr wohl. Die Wirtschaft ist der Hauptgegenstand unserer gemeinsamen Beziehungen, die anderen Themen wie Politik oder militärische Beziehungen sind zweitrangig. Die Polen wollen keinen Konflikt mit Russland. Viele sind mit dem von Europa beschlossenen Embargo für russische Produkte nicht einverstanden. Wir wollen mit Russland einfach nur Handel treiben und weitere Verträge abschließen. Doch leider ist das wegen der EU und der Politik der Amerikaner nicht möglich.

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LITAUEN


Sergej Rudonko ist Krimtatar und seit zehn Jahren in der ukrainischen Armee. Nie war für ihn die Dienstzeit schwerer als im Jahr der Krimannexion. / Foto: Jan Zappner, n-ost

Sergey Rudonko ist Leutnant bei der ukrainischen Marine. Er nimmt an einem Spezialtraining teil, das die US-Armee auf dem Boden ihrer Nato-Bündnispartner Litauen und Polen anbietet.

Eigentlich ist Sergey Rudonko, Leutnant der ukrainischen Marine, mit seiner Einheit in der Nähe von Mariupol stationiert. Er senkt seine Augen, als er von den Kämpfen mit seinen „Jungs“ spricht: „Trotz des Minsker Abkommens vom Februar 2015 haben sich die Spannungen vor Ort noch nicht beruhigt“, sagt Rudonko.

„Für uns sind das sehr wichtige Trainings“, so Rudonko weiter. „In den zwei vergangenen Wochen habe ich wertvolle Dinge über Guerillatechniken im Stadtgebiet gelernt. Da wir uns nicht in einer traditionellen Kriegskonfiguration befinden, ist das sehr nützlich für uns.“


Er erlebte die Annexion der Krim

Seit einem Jahrzehnt dient der Krimtatar bei der ukrainischen Marine. Für Rudonko war 2014 das schwierigste Jahr. „Die Annexion der Krim verlief so schnell, so unerwartet. Dabei hatten wir gerade erst den 25. Jahrestag unserer Unabhängigkeit gefeiert! Verdammt nochmal. Warum macht Putin das?“, fragt Rudonko. Die russische Welt sei nichts für Ukrainer, sagt er und holt aus: „Sie steht für Korruption, für das Fehlen von Freiheit, für Sklaverei. Die Ukrainer waren nie Sklaven. Die meisten von ihnen wollen nach Europa, um sich eine bessere Zukunft aufzubauen.“ Rudonko hat eine Frau und eine Tochter, auch seine Frau arbeitet bei der Marine. „Wir sind zu dem geworden, was man eine sehr patriotische Familie nennt.“

Die Regierung habe versucht, die Kämpfer aus allen Teilen des Landes zu versammeln. Heute seien die 258.000 ukrainischen Soldaten, darunter auch die Nationalgarde, eine neue Teilstreitkraft, die das Verteidigungsministerium eingerichtet hat.


Russland hat nun mal das Geld

Immer noch ist Rudonko erstaunt über die Form des Krieges. „So etwas gab es noch nie. Niemand weiß, welche Strategie man anwenden soll – weder die Generäle, noch die Soldaten. Es ist ein hybrider Krieg, der sich einer sehr effizienten Medienpropaganda bedient, die von den Fernsehsendern unterstützt wird.“

Rudonko ist überzeugt: „Gäbe es kein Geld, gäbe es auch keinen Krieg. Heute hat Russland das Geld. Putin hat Waffen.“ Rudonko überlegt kurz. „Merken Sie sich gut, was ich nun sage: Dieser Krieg mit der Ukraine ist gar keiner: Alles, was wir tun, ist uns zu verteidigen.“

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Aus dem Französischen von Nina Henkelmann

           
Prune Antoine im Gespräch mit dem Leutnant der ukrainischen
Marine, Sergey Rudonko. / Foto: Melania Avanzato

Prune Antoine
ist eine französische Journalistin mit Sitz in Berlin. In ihren Reportagen beschäftigt sie sich mit dem postsowjetischen Raum, den Veränderungen auf dem Balkan und auch mit den politischen Entwicklungen in Deutschland. Sie publiziert in Magazinen wie dem L´Observateur, Geo, Mediapart, Elle, Madame Figaro und weitere. Sie erhielt den Prix Louise Weiss im Jahr 2010 und 2015 und hat gerade ihr erstes Buch veröffentlicht: La Fille & Le Moudjahidine. /  www.plumaberlin.com

Jan Zappner
arbeitet seit 2004 als freier Fotograf und ist auf Portrait- und Reportagefotografie spezialisiert. Er portraitiert die Chefs internationaler Unternehmen und Persönlichkeiten aus Kultur und Politik für Magazine und Zeitungen wie GEO, TIMES, Capital, Impulse, Financial Times, Le Monde, Madame Figaro, Elle oder den Journalist. Für seine Reportagen reist er vorwiegend durch die Länder Osteuropas. In Portrait-Serien aus Georgien, Albanien und Israel beschäftigt er sich mit den Auswirkungen von politischen Umbrüchen und Krisen auf die Menschen. / www.janzappner.de

Gil Skorwid
arbeitet als freier Journalist und Medienwissenschaftler. Er arbeitet für pädagogische und kulturelle Institutionen in Litauen und nimmt an internationalen Rechercheprojekten teil. Seine Interessen liegen im Feld der internationalen Beziehungen, sozialen Bewegungen und Medienpolitik.

Das Projekt wurde mit einem Stipendium des European Journalism Fund (www.journalismfund.eu) unterstützt.

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