Ungarn

Balkanroute: Mit Militär gegen Flüchtlinge

Nur 15 Flüchtlinge am Tag werden hier in Kelebija an der serbisch-ungarischen Grenze in die ungarische Transitzone gelassen. / Foto: Keno Verseck, n-ost

Am Straßenrand hat Ahmad ein kleines Feuer gemacht. Auf der Glut köcheln in einem Topf Reis, Tomaten und Möhren. „Eine irakische Spezialität“, sagt er, und seine Frau Sara lacht. Schwere Lastwagen rollen auf der Straße langsam vorbei. Keine fünfzig Meter weiter lehnen zwei ungarische Grenzpolizistinnen mit Sonnenbrillen und Maschinengewehren lässig an einem geöffneten Eisentor. „Alles ruhig“, sagen sie kaugummikauend.

Kelebija an der serbisch-ungarischen Grenze: Seit zwei Monaten kampieren Ahmad und seine Frau in einem Unterschlupf aus Stöcken, Decken und Plastikplanen, direkt am ungarischen Grenzzaun zu Serbien. Sie warten darauf, in die so genannte Transitzone eingelassen zu werden, wo sie Asyl beantragen können. Es wird wohl noch lang dauern: Eingelassen werden pro Tag nur 15 Flüchtlinge, bevorzugt Familien mit Säuglingen und Kleinkindern, Alte und Kranke. All diese Kriterien treffen auf das Paar aus dem Irak nicht zu. So wie Ahmad und Sara hausen in Kelebija am Grenzzaun rund 300 syrische und irakische Flüchtlinge, ähnlich wie vor einer baugleichen Transitzone 40 Kilometer weiter östlich.


Ungarn ist mit seinem harten Vorgehen nicht mehr allein

Die beiden Elendslager an der serbisch-ungarischen Grenze symbolisieren die ganze Härte und Unerbittlichkeit von Ungarns Flüchtlingspolitik. Im vergangenen Jahr ließ der ungarische Ministerpräsident Viktor Orban die Grenzen zu Serbien und Kroatien mit Stacheldraht abriegeln. Zehntausend Polizisten und Soldaten bewachen sie seither, demnächst sollen noch einmal 3.000 Grenzjäger und neue Zaunanlagen dazukommen.

Seit Juli gilt die so genannte „tiefe Grenzkontrolle“: Alle Flüchtlinge, die auf ungarischem Territorium in einem acht Kilometer breiten Grenzstreifen aufgegriffen werden, schickt die Polizei zurück hinter den Zaun. Illegal sei das, sagen Flüchtlingsorganisationen wie das UNHCR oder Human Rights Watch, zudem käme es bei den so genannten „Push-backs“ zu Misshandlungen.

Ungarn dementiert letzteres und argumentiert, hinter dem Grenzzaun befände sich noch ein drei Meter breiter Streifen ungarisches Territorium; Migranten würden lediglich zu den Transitzonen geleitet. „Wir halten uns an alle Gesetze und internationalen Bestimmungen“, sagt der ungarische Regierungssprecher Zoltan Kovacs. „Alle Kritik an Ungarns Flüchtlingspolitik bedeutet nur eines: Wir sind sehr effektiv in der Migrantenabwehr.“


Auch Serbien will Schluss machen mit der Toleranz-Politik

Unter allen Staaten der Region, die auf Flüchtlingsrouten liegen, geht Ungarn zwar am drastischsten gegen Flüchtlinge vor. Aber es ist längst nicht mehr allein. Denn die Balkan-Route auf der Flüchtlinge letztes Jahr nach Westeuropa durchgewunken wurden, ist nur offiziell geschlossen. Illegal kommen weiterhin Tausende - über zahlreiche Wege in Südosteuropa: via Griechenland über Mazedonien oder Albanien-Montenegro-Kosovo oder via die Türkei und Bulagrien nach Serbien, von dort aus weiter über Ungarn oder Kroatien Richtung Westen.

Neben Ungarn beteiligen sich auch die drei anderen Visegrad-Länder – Polen, Tschechien und die Slowakei – mit Soldatenkontingenten und Ausrüstungen am Grenzschutz auf dem Westbalkan. Rhetorisch vertreten ihre Regierungen eine ähnliche Linie wie Ungarn, das einen fremdenfeindlich-antieuropäischen Diskurs kultiviert.

Slowenien hat seinerseits einen Grenzzaun zu Kroatien gebaut, Kroatien wiederum hat die Grenze zu Serbien mit Polizei und Militäreinheiten abgeriegelt. Mazedonien und Bulgarien haben Zäune zu Griechenland und der Türkei errichtet und wollen diese ausbauen. Albanien hat seinen Grenzschutz zu Griechenland ebenfalls verstärkt. Mittendrin liegt Serbien, das bisher noch ein Art Insel für Flüchtlinge ist. Mehrere Tausend warten dort derzeit auf einen günstigen Zeitpunkt zum illegalen Übertritt nach Ungarn oder Kroatien. Mit der Toleranz-Politik wird aber auch in Serbien wohl bald Schluss sein. Bereits im Juli wurde serbisches Militär an die bulgarische Grenze beordert.

Zugleich geben beträchtliche Teile der öffentlichen Meinung in mittel- und südosteuropäischen Staaten anlässlich des Jahrestages der deutschen Grenzöffnung für Flüchtlinge zunehmend Deutschland und der Bundeskanzlerin Merkel die Schuld für die Flüchtlingskrise in ihren Ländern. So etwa ritt die ungarische Historikerin Maria Schmidt, eine Vertraute Viktor Orbans, in einem Blogeintrag unlängst einen scharfen Angriff gegen Merkel. „Sie vertritt ein Deutschland“, schrieb Schmidt, „das sich wegen seiner Vergangenheit schämt und dessen globalisierte Weltbürger es kaum erwarten können, dass jemand, sagen wir die Muslime, es unterjocht, damit es endlich von seiner Nazi-Vergangenheit und seinem ewigen Täterstatus loskommt.“

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Quellen:

- Besuch an der serbisch-ungarischen Grenze in den Lagern vor den Transithzonen Kelebija-Tompa und Horgos-Röszke
- persönliches Gespräch mit dem ungarischen Regierungssprecher Zoltan Kovacs in Budapest
- Lektüre mittel- und südosteuropäischer Medien zur Flüchtlingskrise
- Blogeintrag Maria Schmidt: http://latoszogblog.hu/blog/europa_izraelizacioja


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