Ukraine

Gemischtes Doppel #13: Hosen runter!

Diese Dreckschweine bestehlen uns. Politiker sind Arschlöcher. Sie streben nur nach Macht, um sich selbst zu bereichern. Worte wie diese konnte man schon früher überall in der Ukraine hören. Doch in der vergangenen Woche hat sich etwas grundsätzlich verändert. Die Vermutung, die ukrainische politische Elite lebe in Saus und Braus, während das einfache Volk am Rand des Hungers existiert und an der Front in der Ostukraine sein Blut vergießt, hat sich nun offiziell bestätigt.

Dank des neuen Antikorruptions-Gesetzes, zu dem die EU und der Internationale Währungsfonds die Ukraine gezwungen haben, mussten 100.000 ukrainische Beamte und Regierungsmitglieder ihren Besitz öffentlich machen. Nun kann jeder auf einer speziellen Seite nachlesen, wie viel Geld und Eigentum sich in den Händen von Politikern und ihren Familienangehörigen befindet. Schwarz auf Weiß.

Arsen Awakow, Innenminister: drei Wohnungen, eine davon fast 700 Quadratmeter, ein Grundstück, eine Waffensammlung, ein Weinkeller mit mehr als 760 Flaschen und umgerechnet mehr als 615 000 Euro – in bar. Wolodymyr Grojsman, Premier-Minister: 913 000 Euro in bar, 12 Luxusuhren. Allein die 24 Minister der Ukraine haben zusammengerechnet 7 Millionen Dollar Bargeld deklariert.

Auf die meisten Ukrainer wirkt die Lektüre dieser Deklarationen wie eine eiskalte Dusche. Die sozialen Netzwerke beben vor Wut, Heulkrämpfen und Brechattacken. „Ich weiß nicht, wie man nach all dem weiter in der Ukraine leben soll. Alle Politiker sind gleich und ich hasse euch alle,“ schrieb die Fotografin und zivilgesellschaftliche Aktivistin Hanna Hrabarska in einem Post auf Facebook, der mehr als 1700 Mal gelikt und fast 320 Mal geteilt wurde. „Ich habe das Gefühl, dass Janukowitsch nicht geflohen ist, sondern sich vermehrt und in euch eingenistet hat, ihr Missgeburten,“ so Hrabarska weiter.

Damit bringt die Aktivistin den Frust ihrer Landsleute auf den Punkt. Die elektronischen Deklarationen beweisen endgültig, dass all das, wofür die Ukrainer die Regierung Janukowitsch verachtet haben und was sie mit und nach der Maidan-Revolution zu bekämpfen hofften, immer noch da ist: die finanzielle Kluft zwischen den Bürgern und den Politikern. Die Korruption.

Zwar habe man geahnt, das sich im Großen und Ganzen nicht viel geändert habe, aber es sei etwas anderes, diese Zahlen gesehen zu haben, meint der Aktivist Wadym Gudyma in seinem Beitrag für "Politychna Krytyka". In einer Ehe könne man auch jahrelang ahnen, dass man betrogen werde. Wenn man aber die Partnerin oder den Partner in flagranti mit jemand anderem im Bett erwische, sei man trotzdem erst mal schockiert. Gudyma ist jedoch optimistisch, dass diese Datenschau langfristig zu einem politischen Bewusstseinswandel führen werde.

Ich will ihm glauben. Obwohl ich weiß, dass die Machthaber wahrscheinlich weitere Geldberge erfolgreich versteckt haben. Obwohl ich nicht sicher bin, dass es wirklich eine Strafverfolgung geben wird. Obwohl ich wie viele andere keine Antwort darauf habe, wie man einen Brechreiz unterdrücken soll, während man diese Auflistungen von Fabergé-Eiern, Pelzmänteln und sonstigen Luxuswaren liest. Mein Vater verdient bei einer Fabrik in Kiew 70 Euro im Monat. Das liegt knapp oberhalb der Armutsgrenze und ist genau die Hälfte des ukrainischen Durchschnittsgehalts.

Beim Lesen dieser Dokumente empfinde ich aber doch auch eine Art Erleichterung. Denn sie machen Schluss mit dem leeren Gemeinplatz „Alle Politiker bereichern sich“. Sie geben mir eine Chance, differenzierter zu urteilen und auf dieser Grundlage zu entscheiden, für wen ich noch einmal mein Häkchen auf dem Wahlzettel setzen werde.

Vielleicht sind diese Deklarationen so etwas wie eine Schocktherapie für die Ukraine. Man weiß noch nicht, ob sie die erwünschten Effekte bringen wird. Aber eins ist gewiss: Zu den Zeiten von Janukowitsch wäre sie nicht einmal denkbar gewesen.

Das Gemischte Doppel gibt persönliche (Ein)-Blicke auf die Ukraine und Russland, geschrieben von Inga Pylypchuk und Ian Bateson (Ukraine) sowie Maxim Kireev und Simon Schütt (Russland). Das Gemischte Doppel ist Teil des Internationalen Presseclubs „Stereoscope“ von n-ost. Für Abonnenten immer montags als Newsletter und auf ostpol.

Wenn Sie unser Gemischtes Doppel abonnieren und folglich jeden Montag pünktlich auf den Frühstückstisch bekommen wollen, schreiben Sie uns.

Tipps, Feedback und Anregungen aller Art bei Facebook, Twitter und an stereoscope@n-ost.org.


Weitere Artikel