Polen

Koalition als Kartenhaus

Alles deutet in Warschau auf Neuwahlen hin / Kaczynski provoziert seine Partner

Warschau (n-ost) – Am gestrigen Donnerstag hat sich Ministerpräsident Jaroslaw Kaczynski in den Urlaub verabschiedet. Er hinterlässt in Warschau eine Regierung, die praktisch nur noch auf dem Papier existiert. In den vergangenen Wochen verging fast kein Tag, an dem Kaczynski (Partei Recht und Gerechtikeit - PiS) seinen kleinen Koalitionspartnern von Samoobrona (Selbstverteidigung) und Liga der Polnischen Familien (LPR) nicht mit Nadelstichen zugesetzt hätte. Kaczynski versuche Neuwahlen zu erreichen, erklären Beobachter die Strategie. Für Millionen Polen, die der Winkelzüge in Warschau leid sind, wäre dies eine Erlösung.

Kaczynskis Koalition ähnelt einem Kartenhaus, aus dem eine Karte nach der anderen herausgezogen wird. Die Konstruktion hat bereits eine gewaltige Schieflage und droht bei der nächsten Karte auseinander zu fallen. Schritt für Schritt provozierte Kaczynski zuletzt seine Koalitionäre: Erst entließ er nach bislang unbewiesenen Korruptionsvorwürfen den stellvertretenden Ministerpräsident und Landwirtschaftsminister Andrzej Lepper (Samoobrona) sowie Sportminister Tomasz Lipiec (LPR), dann korrigierte er Entscheidungen von Bildungsminister Roman Giertych (LPR), der progressive Schriftsteller aus dem Schulkanon streichen wollte. Am vergangenen Freitag wurden schließlich die Vize-Minister für EU-Integration, Daniel Pawlowiec und Jerzy Osuch (beide LPR) entlassen. Als Nachfolger von Lepper nominierte Kaczynski ausgerechnet Wojciech Mojzesowicz (PiS). Mojzesowicz gehörte früher Samoobrona an, wechselte dann aber nach einem Streit zur PiS und gilt als Leppers Intimfeind.


Jaroslaw Kaczynski
Andreas Metz

Noch beißen die beiden kleineren Koalitionspartner, die nach aktuellen Umfragen massiv an Wählerstimmen verlieren würden, die Zähne zusammen und lassen sich eine bittere Pille nach der anderen servieren. Die gemeinsame Not hat sie zusammenrücken lassen: Vor zwei Wochen verkündeten Lepper und Giertych eine neue Gruppierung mit dem Namen LiS (Liga und Selbstverteidigung), was auf Polnisch Fuchs bedeutet. Die Kaczynski-Partei PiS hat sich in Anlehnung an den Spitznahmen der Kaczynski-Zwillinge „Kaczka“ eine Ente als Maskottchen gegeben. Die Füchse wollen also auf Entenjagd gehen. Jaroslaw Kaczynski erklärte jedoch umgehend mit breitem Lächeln, er habe vor Füchsen keine Angst.

Seit Wochen läuft die interne Kommunikation der Regierungspartner nur noch schriftlich ab. Abwechselnd schreiben sich alle Koalitionäre gegenseitig Briefe, die später vor laufenden Kameras verlesen werden. Kurz vor Urlaubsantritt erklärte Ministerpräsident Kaczynski immerhin, „ich kann mit Samoobrona reden, die Gespräche mit Andrzej Lepper sind aber aus“.

Beobachter in Warschau rechnen nach dem wochenlangen Tauziehen nun mit der baldigen Verkündung von Neuwahlen. Auch Staatschef Lech Kaczynski hatte sich in einem Interview mit der Gazeta Wyborcza Anfang der Woche bereits dafür ausgesprochen. Bis zu diesem Sonntag will Samoobrona nun entscheiden, ob auch die letzten beiden Minister der Partei aus der Regierung zurückgezogen werden. Damit wäre die Koalition endgültig geplatzt. Nicht unwahrscheinlich ist aber auch die Aufspaltung der Partei. Nach Recherchen des Fernsehsenders tvn24 sind die meisten Samoobrona-Abgeordneten bereit, die Partei und ihren Parteichef Andrzej Lepper zu verlassen, um in der Koalition zu bleiben. Angeblich kann Lepper nur noch auf 15 treue Mitarbeiter zählen.

Wenig besser sieht die Situation der LPR aus: Während Samoobrona laut Umfragen noch Chancen hat, die Fünf-Prozent-Hürde zu nehmen, liegt die Partei von Bildungsminister Giertych in Umfragen bei zwei Prozent. Auch deshalb fand sich Giertych offenbar zum Schulterschluss mit Lepper und der Gründung der Wahlplattform LiS bereit.

Offenbar spielt Giertych in den Überlegungen von Ministerpräsident Kaczynski aber weiterhin eine Rolle: Laut einem Bericht der links-liberalen Tageszeitung „Gazeta Wyborcza“,  bot Kaczynski dem Chef der LPR eine neue Koalition an, die zudem von den  ausgeschiedenen  Abgeordneten der Samoobrona getragen werden könnte. Ob sich die LPR auf das Spiel einlässt, bleibt bis zur Rückkehr Giertychs aus dem Urlaub Mitte August abzuwarten.

Unterdessen begann Kaczynskis Partei PiS bereits mit einer Vorwahlkampagne. In einem neuen Fernsehen-Spot richtet sich die Partei offen gegen die größte Oppositionspartei, die liberale Bürgerplattform PO. „Eine Partei, die nichts konstruktives macht und nur die Gelder der Steuerzahler nimmt“, heißt es im Fernsehspot, während Abgeordnete der PO gezeigt werden.

Nach aktuellen Umfragen könnten die PO und die neu formierte Sammlungsbewegung „Linke und Demokraten“ mit 30 beziehungsweise 16 Prozent der Stimmen rechnen und ihre Position stark verbessern. Die Kaczynski-Partei PiS liegt bei 22 Prozent, Samoobrona hält sich bei acht Prozent und würde in der gemeinsamen Formation LiS mit der Liga der Polnischen Familien auf etwa zehn Prozent kommen. Ohne die Samoobrona könnte die LPR demnach nicht mehr die Fünf-Prozent-Hürde überspringen.

Ende

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Agnieszka Hreczuk


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