Russland

Wahl in Russland: "Krisen fürchtet Putin wie das Feuer"

Der Politologe Stanislaw Belkowski über die Politik des russischen PräsidentenPutin habe keinerlei imperiale Absichten, behauptet der Politologe Stanislaw Belkowski. Er werde, wie der gesamte Kreml, von Geschäftsleuten kontrolliert und benutze seine Vergangenheit als Geheimdienstler als bloßes Propaganda-Instrument. Obwohl der Präsident an der Misere des Landes schuld sei, gebe ihm das Volk die Erlaubnis "alles zu tun, was er will" - wie früher dem Zaren. n-ost-Korrespondent Ulrich Heyden sprach mit dem Leiter des Moskauer Instituts für nationale Strategie, Stanislaw Belkowski, über die Politik des russischen Präsidenten.


Putin
Robert Teschner
 
Frage: Wladimir Putin engagiert sich im Wahlkampf für die Kreml-Partei "Einiges Russland". Warum? Belkowski: Die Umfragewerte von "Einiges Russland" sollten ursprünglich von 40 auf 70 Prozent angehoben werden. Doch dieses Ziel wurde nicht erreicht. Ein Großteil der Reformen, die Putin durchgeführt hat, sind nicht populär: die Reform der Wohnungsbewirtschaftung und des Gesundheitswesens, der Umbau der Armee, die Abschaffung sozialer Privilegien zugunsten bescheidener finanzieller Ausgleichszahlungen. Es gab keine Schritte zur Revision der Privatisierung, obwohl diejenigen, die noch im Jahr 2000 für Putin gestimmt hatten, sehr darauf hofften. Frage: Putin selbst erzielt trotzdem Umfragewerte von 70 Prozent.Belkowski: Diese 70 Prozent bedeuten nicht, dass die Bevölkerung ihm zustimmt, sondern nur, dass sie ihn für legitim hält. Putin ist - im Gegensatz zu dem Bild, das man im Westen von ihm hat - nicht der große Führer oder Diktator. Er wurde künstlich an die Macht gebracht, er hat die Macht nicht erobert. Er hat nichts geändert an dem Kurs, der bereits in der zweiten Hälfte der 90er Jahren eingeschlagen wurde. Putin hat nie gravierende Schritte vollzogen, er hat Entscheidungen immer hinausgezögert. Aber er hat die Stabilität seines Regimes sichergestellt, indem er ein monarchisches Ritual schuf. Russland ist ein Land mit monarchischem Bewusstsein. Die erste Person im Staat, wie auch immer sie heißen mag - Zar, Generalsekretär oder Präsident -, ist nicht Teil des politischen Systems wie in Deutschland oder den USA, sondern sie steht über dem politischen und dem rechtlichen System. Das Volk erlaubt dem Präsidenten, alles zu tun, was er will. Frage: Und das funktioniert? Belkowski: Das monarchische Ritual besteht aus zwei Elementen. Das erste ist die Exklusivität des Zaren. Neben ihm gibt es keinen Konkurrenten. Gorbatschows Popularität sank Ende der 80er Jahre, weil er dieses Prinzip der Exklusivität verletzte. Im Juni 1990 wurde Boris Jelzin zum Vorsitzenden des Obersten Sowjets gewählt. Er wurde neben Gorbatschow zum zweiten Zaren. Und er litt während seiner gesamten Amtszeit an diesem Problem. Jelzin hatte starke Konkurrenten, deswegen betrachtete ihn das Volk nicht als realen Zaren. Das zweite Element des monarchischen Rituals ist die Unfehlbarkeit. Das Volk darf alles öffentlich kritisieren: die Politik des Zaren, seine Minister - nicht aber den Zar persönlich. Frage: Putin wurde die Macht von Boris Jelzin übertragen. Inwieweit ist er dem System seines Vorgängers verbunden?Belkowski: Das Regime Wladimir Putins ist die logische Vollendung des Jelzin-Regimes, das zwischen Oktober 1993 und Juli 1996 geformt wurde. Es begann mit der Beschießung des Parlaments, als Jelzin seine Macht nicht mehr auf demokratischem Wege sichern konnte, und endete mit seiner Wiederwahl 1996, als der schwer kranke und nicht sehr populäre Politiker nur durch Manipulation zum zweiten Mal Präsident wurde. Geschäftsleute wie Boris Beresowski, Wladimir Gussinski, Michail Chodorkowski und Roman Abramowitsch erschienen in der politischen Szene. Ihnen war klar, dass es unter demokratischen Bedingungen nicht möglich sein würde, sich das gigantische Eigentum der Sowjetunion zu sichern. Denn in freien Wahlen wählt das russische Volk stets linke und nationalistische Parteien. Damals war das die Kommunistische Partei (KPRF), die die Privatisierung rückgängig machen wollte. Putin wurde also von diesen Geschäftsleuten an die Macht gebracht und nicht vom geheimnisvollen Geheimdienst KGB. Und diese Geschäftsleute kontrollieren den Kreml noch heute, jede einflussreiche Gruppe hat ihre Beamten in den Behörden und in den Sicherheitskräften.Frage: Aber Wladimir Putin hat sich doch 1999 auf einer Versammlung hochrangiger FSB-Mitarbeiter damit gerühmt, es als ehemaliger Geheimdienstmann bis zum Regierungschef gebracht zu haben.Belkowski: In propagandistischer Hinsicht war es für Putin immer vorteilhaft, sich als KGB-Mann darzustellen. Denn nach den Jelzin-Jahren wollte das Volk von einer starken Hand regiert werden. Im sowjetischen KGB allerdings war Putin ein Außenseiter. Während seiner Zeit in Dresden war er entgegen aller Behauptungen kein Spion, sondern ein "Stukatsch", ein Informant. Er machte Meldung über sowjetische Spione, die zuviel Bier getrunken hatten. Dann wurde er abberufen, weil er den BND-Mitarbeiter Klaus Zuchold angeworben hatte. Putin ging nach Leningrad, wo er Karriere machte. Von einem, der im Empfangsraum den Telefonhörer abnimmt, brachte er es bis zum Stellvertreter des Bürgermeisters. Im postsowjetischen System konnte er sich besser entwickeln, weil er ein guter Geschäftsmann ist. Seine Aufgabe in Petersburg bestand darin, den Kontakt zwischen dem Bürgermeister und kriminellen Gruppen aufrecht zu erhalten. Diese Gruppen kontrollierten damals zwei Drittel der Wirtschaft in der Stadt. Alles was Putin über den KGB, die Sowjetunion und die Wiedergeburt des Imperiums sagt, ist nichts weiter als Propaganda. Frage: Wie realistisch ist der Vorschlag aus den Reihen der Partei "Einiges Russland", Putin solle den neuen Posten eines "nationalen Führers" einnehmen?Belkowski: So ein Führer kann nur der Präsident sein, niemand anderes. Ein nationaler Führer kann aber auch nur jemand mit Charisma sein, einer, der die Macht erobert hat, wie Francisco Franco in Spanien, Michail Saakaschwili in Georgien oder Hugo Chavez in Venezuela. Mit dem Gerede vom "nationalen Führer" will die Partei "Einiges Russland" ihre Umfragewerte steigern. Putin will bis zum letzten Tag seiner Amtszeit die Elite in Schach halten. Er will keine lahme Ente sein und will, dass man bis zum letzten Tag vor ihm Angst hat. Frage: Welche Gegner hat der Präsident?Belkowski: In der Politik hat Putin keine ernsthaften Gegner. Gefahren bestehen für ihn eher außerhalb der Politik. So frisst die Erhöhung der Lebensmittelpreise das Familienbudget der Geringverdiener auf. Die Landwirtschaft ist zusammengebrochen, Russland ist von Importen abhängig. Außerdem wird es im nächsten Jahr eine Bankenkrise geben. Das spekulative Kapital aus dem Westen wird wegen der Hypotheken-Krise in den USA aus Russland abgezogen werden. Hinzu kommt, dass russische Verbraucher ihre Kredite nicht zurückzahlen. Und die Gefahr technologischer Katastrophen ist sehr groß, ein aktuelles Beispiel ist das Schiffsunglück im Schwarzen Meer. Der Staatsapparat ist völlig korrupt. Heute macht kein Beamter in Russland - weder im zivilen Bereich noch in der Armee - einen Finger krumm, wenn es kein Schmiergeld gibt. Putins Philosophie der letzten acht Jahre war, unter allen Umständen die Stabilität zu erhalten. Krisensituationen fürchtet er wie das Feuer.Frage: Ist Putin ein reicher Mann?Belkowski: Ich schätze sein Vermögen auf nicht weniger als 35 Milliarden US-Dollar. Putin hält sein Eigentum über ein kompliziertes System von Offshore-Unternehmen. Er hat ein Aktienpaket bei Surgutneftegaz. Außerdem gehören ihm 4,5 Prozent der Gasprom-Aktien.Frage: Wie verfügt er über diese Gasprom-Aktien?Belkowski: Das läuft über den Unternehmer Gennadi Timtschenko, der bei Putin für wirtschaftliche Operationen zuständig ist. Timtschenko ist Anteilseigner bei der Handelsfirma Gunvor. Mit einem Jahresumsatz von 40 Milliarden US-Dollar exportiert sie Öl und Metall. 2006 lag der Gewinn des Unternehmens bei 12 Milliarden Dollar. Man kann sich also vorstellen, was Putin besitzt. Frage: Warum berichtet die liberale russische Presse nicht darüber?Belkowski: Weil Putin bei der liberalen Presse nicht so unbeliebt ist wie es scheint. Putin ist eine Konsens-Figur. Er drückt alle Werte aus, um die sich die Elite in den 90er Jahren formierte. Putin hat keine imperialen Absichten. Er und seine Mannschaft wollen lediglich, dass man sie mit ihren Dollar-Milliarden als vollwertigen Teil der westlichen Elite anerkennt. Aber der Westen tut das nicht. Frage: Was sind die Ziele der verschiedenen Fraktionen im Kreml? Belkowski: Das Gerede von einer liberalen Fraktion und einer Fraktion der "Silowiki", der  Sicherheitsbeamten, ist ein propagandistischer Mythos. Im Grunde gibt es im Kreml 17 verschiedene Gruppen, die um Einfluss kämpfen. Und jede dieser Gruppen verfügt über eigene Sicherheitskräfte. Frage: Wer sind die wichtigsten Köpfe dieser Gruppen?Belkowski: Igor Setschin, der stellvertretende Leiter der Präsidialverwaltung, Finanzminister Alexej Kudrin, Roman Abramowitsch, Michail Fridmann von der Finanzgruppe Alfa sowie Viktor Solotow, der Chef der Präsidenten-Leibgarde. Frage: Und was machen die Geschäftsleute, die nicht vom Kreml kontrolliert werden?Belkowski: Es ist umgekehrt. Der Kreml befindet sich unter Kontrolle der Geschäftsleute. Jede einflussreiche Gruppe hat ihre Beamten in den Behörden und in den Sicherheitskräften. Frage: Wer wäre der ideale Nachfolger Putins?Belkowski: Gut wäre eine Person mit großer Erfahrung aus der Sowjetzeit, die aber nicht in wirtschaftlichen Kategorien denkt, sondern den Staatsaufbau im Blick hat. Es gibt nur eine solche Person und das ist Viktor Geraschenko, der frühere Vorsitzende der Zentralbank. Er gäbe dem Land etwas Hoffnung.
 
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