Ukraine

Ukraine: „Das Thema ist tot“

Ein lauer Sommerabend auf der Veranda des „Ramada Donezk“ unweit der seit Monaten von Separatisten besetzten Gebietsverwaltung. Man speist T-Bone-Steaks und trinkt Cocktails, aus den Lautsprechern kommt Lounge-Musik.

Auf der Terrasse sitzen polnische Journalisten, Franzosen, Amerikaner und Spanier. Bemerkenswert abwesend sind die deutschen Journalisten: Neben mir sitzt dort Ende vergangener Woche nur noch Stefan Scholl, langjähriger Moskau-Korrespondent für deutsche Regionalzeitungen.


Nur noch hin und wieder Meldungen über Kämpfe im Osten

Es ist wenige Tage her, da lieferten sich ukrainische und russische Kämpfer heftige Kämpfe um den Flughafen der Stadt, auch rund um den Bahnhof starben Menschen bei Feuergefechten. Daraufhin gaben ARD und ZDF bekannt, dass sie aus Sicherheitsgründen ihre Teams aus Donezk abziehen. Mit ihnen zogen auch die restlichen deutschen Korrespondenten weiter nach Dnepropetrowsk oder Kiew. Nach dem letzten Wochenende ist der Exodus der deutschen Korrespondenten aus dem Osten der Ukraine vollzogen: Von dort berichtet momentan niemand mehr.

Zeitgleich sind die Nachrichten aus der Ukraine auf die hintersten Seiten der deutschen Tageszeitungen gerückt, auch in der Tagesschau gibt es nur hin und wieder Meldungen über Kämpfe im Osten. Auf den Titelseiten der Medien taucht die Ukraine jetzt nur noch als politischer Spielball in den rhetorischen Schlachten zwischen Obama, Merkel und Putin auf.


Ukrainische Informationen sind kaum zu gebrauchen

Wer erfahren will, was im Osten des Landes passiert, der muss momentan auf russischsprachige, englische oder französische Medien ausweichen. Informationen, die Regierungsvertreter Russlands, der Ukraine oder der Separatisten sowie die jeweiligen Medien über die Lage in den Gebieten verbreiten, sind derweil kaum zu gebrauchen. Die vergangenen Monate haben gezeigt: Im Propagandakrieg manipulieren beide Seiten schamlos Zahlen und Fakten.

Auch deshalb wären Berichte aus erster Hand so wichtig. Denn die Lage in der Ostukraine ist derzeit so brisant wie nie: Am Montag attackierte die ukrainische Luftwaffe die Gebietsverwaltung der Stadt Lugansk mit Kampfflugzeugen, mehrere Menschen starben. Um Slawjansk wird täglich gekämpft, an der Grenze verliert der ukrainische Grenzschutz unter dem Druck bewaffneter Kämpfer mehr und mehr die Kontrolle. Schwergewichte wie der Milliardär Rinat Achmetow und der Gouverneur Sergej Taruta haben die Region seit den Präsidentschaftswahlen verlassen.


Warum berichtet niemand mehr?

Ein wichtiger Grund ist zweifellos die Sicherheitslage, aufgrund derer ARD und ZDF ihre Korrespondenten abzogen. Allerdings waren die Kämpfe selbst in Donezk lokal begrenzt – und kurz darauf hatte sich die Lage in der Millionenstadt wieder weitgehend normalisiert. Wer sich nicht direkt in die Kampfzonen wagt, ist relativ sicher – so meine eigene Erfahrung im Krisengebiet.

Schwerer einzuschätzen ist die Gefahr, von Aufständischen festgehalten zu werden. Das Auswärtige Amt warnt seit Ende Mai insbesondere Journalisten vor Reisen in den Osten der Ukraine: „Angesichts der jüngsten Entwicklungen muss davon ausgegangen werden, dass Medienvertreter besondere Gefahr laufen, von separatistischen Kräften festgehalten oder festgenommen zu werden.“

Auch ich wurde in der Stadt Anthrazyt kurze Zeit festgehalten und dem „Ataman“ der dortigen Kosaken vorgeführt, der mich allerdings nach einem kurzen Gespräch weiterziehen ließ.


Die Gefahr, im Keller eines selbsternannten Bürgermeisters zu landen, ist gering

Grundsätzlich gilt: Als deutscher Journalist muss man davon ausgehen, sich endlose Tiraden über die falsche Politik Angela Merkels anhören zu müssen. Die Gefahr, im Keller eines selbsternannten „Volksbürgermeisters“ zu landen, ist dagegen gering. Anderes gilt für amerikanische Journalisten: Es gibt mehrere Beispiele von Reportern, die über Tage gefangen gehalten wurden, etwa der VICE-Reporter Simon Ostrovsky im April.

Abgesehen von den Sicherheitsbedenken: Der eigentliche Wendepunkt in der Ukraine-Berichterstattung waren die Präsidentschaftswahlen am 25. Mai, bei denen sich mit großer Mehrheit der Milliardär Petro Poroschenko durchsetzte. In den Wochen davor waren die Korrespondenten aller Medien im Dauereinsatz, um an verschiedenen Orten Antworten auf die Fragen zu finden: Verhindert Russland die Präsidentschaftswahlen? Kann der ukrainische Staat sich gegen die Separatisten durchsetzen?


Das Thema ist tot

Nach dem klaren Ergebnis und der darauf folgenden zunehmend weicheren Rhetorik der russischen Seite „ist das Thema tot“, erklärte mir jüngst ein leitender Redakteur. Mit der Präsidentschaftswahl ist also ein medialer Zyklus zu Ende gegangen. „Die Ukraine ist jetzt nicht mehr das Thema, mit dem wir die Seiten eins bis drei füllen“, erklärt auch Reinhard Veser, der in der F.A.Z.-Redaktion zuständig für die Osteuropa-Berichterstattung ist. „Aber wir haben noch viele Themen aus der Ukraine, für die wegen der aktuellen Berichterstattung kein Platz war“, sagt er. Die werde man in den nächsten Wochen abarbeiten, aber eben nicht mehr auf den ersten Seiten.

Auf die Titelseiten schafft die Ukraine es erst wieder, wenn eine klare Bewegung erkennbar ist, glaubt Veser. Das könnte etwa ein bedeutender Sieg der ukrainischen Armee gegen die Separatisten oder der Einmarsch der russischen Armee in den Osten.

Allerdings gibt es auch einen ganz banalen Grund, warum die Berichterstattung nicht nur aus dem Osten, sondern aus der gesamten Ukraine nachgelassen hat: Mehrere Korrespondenten, die seit Beginn des Maidan pausenlos im Einsatz waren, haben sich nach den Präsidentschaftswahlen in den Urlaub verabschiedet.


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