Russland

Gemischtes Doppel #16: Trojanische Geschenke

Liebe Leser, hat Sie der erste Advent gestern auch überrascht? Dann können sie sich vielleicht vorstellen, wie die Russin Margarita Simonjan sich vergangene Woche gefühlt hat.

Dabei musste sich die Chefin des russischen Propaganda-Senders RT gar nicht erst mit Adventskalendern und -kränzen aufhalten, sondern konnte direkt zur Bescherung übergehen. Das Geschenk brachte am Mittwoch das Europäische Parlament in Form einer Resolution zum Thema Propaganda. Namentlich jene von Russland und dem IS. Russland, so steht darin, führe einen hybriden Krieg gegen Europa und versuche mit seinen Think Tanks, Stiftungen und „Pseudo-Medien“ wie RT und Sputnik demokratische Werte in Frage zu stellen und Europa zu spalten. Die Terrororganisation IS kommt ähnlich schlecht weg.

Nun könnte man meinen, dass sich die Russen nun entlarvt fühlten. Mist, jetzt sind die Europäer uns doch auf die Schliche gekommen. Tatsächlich aber können sie einander in den Chefetagen von RT, Russkij Mir et cetera auf die Schultern klopfen. Wenn schon Europas Parlament uns als Bedrohung sieht, dann ist das Geld, was im immer knapper bemessenen Staatshaushalt für uns vorgesehen ist, effektiv angelegt. Die genannten Sender überschlugen sich vor Meldungen zum Thema. Wladimir Putin gratulierte umgehend den Angestellten von RT und Sputnik zu dieser Ehre. Offenbar, so Putin, machten die Journalisten ihre Arbeit effektiv, resolut und talentiert.

Natürlich ist das keineswegs der Fall, denn den wirklichen Einfluss der russischen Medien auf die Gesellschaften Europas kennt eigentlich niemand. Zwar brüstet sich insbesondere RT stets mit der Feststellung, der populärste Nachrichtensender im Internet zu sein. Aber nicht einmal die polnische Abgeordnete des Europäischen Parlaments Anna Fotyga, ehemals polnische Außenministerin und Mitglied der Regierungspartei PiS, weiß Genaueres. Dabei war sie es, die die Resolution auf den Weg brachte. Mehr als "Of course it does have an influence on societies in the EU and on other countries" konnte sie in einem Interview zur Wirkung von Russlands Propaganda jedenfalls nicht sagen.

Um Missverständnissen vorzubeugen: Natürlich lügen russische Staatsmedien oft und ungeniert. Unbestritten ist zudem, dass die Staatsmedien Russlands durchaus starken Einfluss auf russischsprachige Menschen, etwa in Moldawien, dem Baltikum oder auch Deutschland haben. Das liegt auch daran, dass es für diese Zielgruppe keine gleichwertigen Alternativen zum Perwyj Kanal oder NTW gibt. Doch die fremdsprachigen Ableger wie RT und Sputnik können nicht ein Mal ansatzweise daran anknüpfen. Und natürlich mögen russische Politiker und Medien Europäer und europäische Politiker, die gegen Sanktionen sind und nichts gegen die russische Außenpolitik haben. Doch nicht alle von ihnen sind „trojanische Pferde“ Russlands, wie eine vor kurzem veröffentlichte Studie des Think Tanks Atlantic Council nahelegte.

Klar, man kann Russland den Vorwurf machen, die europäische Integration behindern und die EU diskreditieren zu wollen. Doch tun das nicht längst Medien in Europa? Denken wir mal an die Griechenlandkrise oder die Reaktionen osteuropäischer Medien auf Deutschlands Flüchtlingspolitik. Oder haben die Briten, von denen weniger als ein Prozent RT gucken, zu viel russische Propaganda geschaut? Eine der Maßnahmen, die die Resolution empfiehlt, ist die Stärkung der bereits vorhandenen Task Force, die sich mit prorussischer Falschinformation in osteuropäischen Medien befasst, zum Beispiel durch die Schaffung einer „Website für die breite Öffentlichkeit“, auf der „verschiedene Instrumente zur Erkennung von Desinformation“ verfügbar sein sollen. Nur ist schwer vorstellbar, dass ein Pegida-Anhänger von diesem Geheimwissen wird Gebrauch machen wollen.

Doch neben all dem hatte das Geschenk des EP an die russische Propaganda noch ein rotes Schleifchen, und zwar in der Person von Anna Fotyga, die es gewöhnlich selber mit Fakten nicht so genau nimmt. Sie gehört zu denen, die der Verschwörungstheorie anhängt, der Absturz der Maschine des polnischen Präsidenten bei Smolensk in Russland sei ein Anschlag gewesen. Und es ist ihre Heimatpartei PiS, die derweil in Polen in einer der Kremlpraxis nicht unähnlichen Art die polnische Medienlandschaft umkrempelt.



Das Gemischte Doppel gibt persönliche (Ein)-Blicke auf die Ukraine und Russland, geschrieben von Inga Pylypchuk und Ian Bateson (Ukraine) sowie Maxim Kireev und Simon Schütt (Russland). Das Gemischte Doppel ist Teil des Internationalen Presseclubs „Stereoscope“ von n-ost. Für Abonnenten immer montags als Newsletter und auf ostpol.

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