Russland

Angst vor Alternativen

Wladimir Putin darf sich in einem Jahr, am 3. März 2008, nicht mehr für das Amt des Präsidenten zur Wahl stellen // Mögliche Nachfolger sind der studierte Philologe Sergej Iwanow sowie der 41-jährige Jurist Dmitrij Medwedew. Moskau (n-ost) - „Putin ist der beste Präsident der Welt“, schreit die Radiohörerin in den Äther. „Das Thema hier ist nun aber seine Nachfolge. Kapieren Sie denn nicht, in einem Jahr ist er weg“, fährt der Moderator von „Echo Moskaus“ sie an. „Putin ist der beste Präsident der Welt“, wiederholt diese unbeirrt. So enthusiastisch spricht in Russland zwar nur eine Minderheit über ihren Präsidenten, aber trotzdem unterstützen ihn seit Jahren mehr als 60 Prozent der Bevölkerung. „Die Bürger verstehen, dass es in der russischen Politik keine andere Institution gibt, der man vertrauen könnte. Wenn sie Putin das Vertrauen versagen, befürchten sie das Chaos, aber das möchten sie nicht“, erklärt Lilija Schewzowa , Expertin für russische Politik am Moskauer Carnegie-Zentrum.Auch im Kreml herrscht Angst vor Alternativen. „Konkurrenz wird nicht geduldet, weil damit der Elite jederzeit das Eigentum entwendet werden könnte. Das System basiert daher auf einem Pakt, nach dem jene an die Macht kommen, die das Eigentum und die alten Spielregeln gewährleisten“,  so Schewzowa. Von seinem Vorgänger Boris Jelzin als Kronprinz eingesetzt,  fand der ehemalige KGB-Agent Wladimir Putin ausgezeichnet in seine Rolle als Stabilisator. Kontinuierlich setzte er seine Leute aus Geheimdienstkreisen und ehemalige Mitstreiter aus dem Petersburger Rathaus an die Schalthebel der Macht. Er brachte das Fernsehen unter Kontrolle und schaffte 2004 die Gouverneurswahlen ab. Putin formierte ein System der personifizierten Macht, das die wirtschaftlichen Interessen der Elite garantiert,  ein System, in dem es nur einen Schiedsrichter, nur einen Garanten für Stabilität, Recht und Ordnung geben kann.   Nach Putins Wiederwahl 2004 wurde deshalb viel über eine mögliche dritte Amtszeit des Präsidenten spekuliert, die allerdings eine Verfassungsänderung erfordern würde. Putin selbst beteuert  immer wieder,  er wolle dies nicht. „Die Chance einer dritten Amtszeit ist äußerst gering“, sagt der ehemalige Jelzin-Berater Georgij Satarow. Putin habe genug Geld verdient und wolle jetzt  nur noch Oligarch sein, meinen böse Zungen wie der Politologe Stanislaw Belkowskij. Andererseits fürchten der Präsident und ein Teil der Elite wohl auch Sanktionen durch den Westen.  Die Diskussion um eine dritte Amtszeit ist jedoch in den Hintergrund gerückt. Mit der Ernennung von Verteidigungsminister Sergej Iwanow  zum stellvertretenden Ministerpräsidenten im Nebenamt und vom Leiter der Präsidialverwaltung Dmitrij Medwedew zum Ersten Vizepremier nahm ihr Putin im November 2005 die Spitze. Die beiden gelten in der russischen Presse seither als aussichtsreichste Kandidaten für die Präsidentschaft. Die Zeitung Kommersant publiziert jede Woche eine Grafik, die auf die Sekunde genau zeigt, wie lange sie im Fernsehen präsent sind.Regisseur Putin hat die Rollen offensichtlich nicht zufällig verteilt:  Der studierte Philologe Iwanow gilt in den Medien aufgrund seiner KGB-Vergangenheit  als „Falke“, er symbolisiert die harte Hand. Dem 41-jährigen Juristen Medwedew  werden hingegen liberale Überzeugungen und Managerqualitäten nachgesagt, er repräsentiert den sozial engagierten Staat.  Dabei wird jedoch leicht vergessen, dass beide „Konkurrenten“ enge Vertraute von Präsident Putin sind, die laut Schewzowa gemäßigte Positionen vertreten.  Der 54-jährige Iwanow arbeitete mit Putin bereits zu Sowjetzeiten in derselben KGB-Abteilung. Wie Putin gehörte auch Medwedew  in den 90er Jahren zur Mannschaft des Petersburger Bürgermeisters Anatolij Sobtschak.Keine Chance für DemokratenAber die Bürger sind offensichtlich bereit, mitzuspielen und einen Mann von Putins Gnaden zu wählen: Von den Russen, die zur Urne schreiten wollen, sprechen sich laut den neuesten Umfragen 32 Prozent für Medwedew  und 27 Prozent für Iwanow aus. Von den anderen möglichen Kandidaten kann einzig der Kommunistenchef Gennadij Sjuganow einigermaßen mithalten. Die Vertreter  der demokratischen Opposition kommen über drei Prozentpunkte nicht hinaus. Demokratische Politiker und ihre Standpunkte werden heute im russischen Fernsehen mehrheitlich ignoriert und auch diskreditiert. Aber obwohl sie in die Enge gedrängt werden,  bleiben die Demokraten bis heute zerstrittene Einzelkämpfer. Auch die Einigungsversuche des ehemaligen Schachgroßmeisters Garri Kasparow tragen bisher keine wirklichen Früchte. Derweilen sollen hinter Medwedews  Kandidatur bereits einflussreiche Gönner stehen: Laut dem Politologen Belkowskij handelt es sich unter anderem um Chelsea-Eigner Roman Abramowitsch und den früheren Leiter der Präsidialverwaltung Alexander Woloschin. Ob es Iwanow hingegen gelingen wird, die Hardliner zu integrieren, gilt noch als unsicher. Er soll sich mit der grauen Kreml-Eminenz Igor Setschin, der als gewichtiger  „Falke“ gilt, nicht gut verstehen. Nachdem Präsident Putin den Verteidigungsminister Iwanow  Mitte Februar zum zweiten Ersten Vizepremier neben Medwedew befördert hat, sind seine Chancen jedoch wieder gestiegen. Die Misshandlungen junger Rekruten in der Armee hat er nun nicht mehr zu verantworten und kann sich ganz der Rüstungsindustrie und der Entwicklung einer „innovativen Wirtschaft“ widmen. Iwanows Beförderung kam just in dem Moment, als Medwedew ihm in den Umfragen zu enteilen drohte. Will Putin aber die Kontrolle nicht verlieren, muss er bis kurz vor den Wahlen alle Alternativen offen halten. So hat der Präsident die Medien etwa daran erinnert, dass auch ein dritter, bisher unbekannter Kandidat sein Nachfolger werden könnte. „Es kann schnell gehen in Russland“, sagt Oleg Panfilow vom Zentrum für Journalismus in Extremsituationen. „Medwedew wird drei Wochen nicht am Fernsehen gezeigt und schon ist er weg.“ Vermutlich wird der Präsident seinen Favoriten erst nach den Parlamentswahlen im Dezember nennen. Wohin er Russland in Zukunft führt, hängt nicht so sehr von seiner Person, sondern von den Energiepreisen ab, sagt Schewzowa: „Sind sie hoch, gibt es keinen Reformdruck, sind sie tief, besteht die Chance für Veränderungen.“*** Ende ***----------------------------------
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Christian Weisflog
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