Russland

Moskauer Juden hoffen auf Dmitri Medwedew

Im Moskauer Jüdischen Zentrum ist ein ständiges Kommen und Gehen. Der moderne sechsstöckige Bau ist einer von vielen neu errichteten Zentren der jüdischen Gemeinde in Russland. Am Eingang wird wegen möglicher Anschläge streng kontrolliert, aber in dem hellen Gebäude herrscht eine freundliche Atmosphäre. An einem Tisch im großen Restaurant des Zentrums, in dem gerade die Tische für das Schabatt-Mahl gedeckt werden, sitzt Alana, eine junge Dame mit blonden Locken. "Ich werde Herrn Medwedew wählen. Wir sind alle für ihn. Er ist sehr sympathisch. Seine Mutter ist Jüdin."

Woher sie das weiß? "Gucken sie ins Internet. Dort können sie es lesen." Die russischen Zeitungen schweigen zu diesem Thema. Es gehört in Russland nicht zum guten Ton, öffentlich über die Herkunft zu spekulieren. Aber im Internet wird über das Gerücht diskutiert und auch die israelische Zeitung Haaretz berichtete schon und schrieb, die Führer der jüdischen Gemeinde in Russland wollten sich, aus Angst Medwedew zu schaden, nicht zu dem Thema äußern. Ein Jude im höchsten Staatsamt, dass wäre Futter für russische Rechtsradikale.Alana lacht verlegen. Es ist kein einfaches Thema, erst recht, wenn man von einem deutschen Korrespondenten dazu befragt wird. Was die Qualitäten von Medwedew sind? "Er steht in engem Kontakt mit Putin und ist sein Nachfolger." Man sehe ja, was Putin geschafft habe. Mit der Wirtschaft gehe es jetzt voran.

Das Moskauer Jüdische Zentrum, in dem eine Synagoge, Unterrichtsräume und ein Sportsaal untergebracht sind, liegt nicht weit vom Prospekt Mira entfernt, auf einem Platz, wo früher eine hölzerne Synagoge stand. Die fiel 1993 einem Brand zum Opfer. Den Neubau finanzierten Sponsoren. Ihre Namen kann man auf großen Kupfertafeln am Eingang lesen. Die größte Tafel trägt den Namen von Roman Abramowitsch, dem Milliardär und Gouverneur der fernöstlichen Region Tschukotka. Vor der Synagoge erzählt ein 24-Jähriger, er sei vor einigen Monaten aus Kanada nach Russland zurückgekehrt. 12 Jahre habe er dort mit seinen Eltern gelebt. Nun will er in Moskau leben und Geld verdienen. In Kanada habe er als Immobilien-Makler gearbeitet. Eigentlich komme er aus der russischen Teilrepublik Dagestan und gehöre zu den "Berg-Juden".

Moskau mag er. Das sei eine "sehr lebendige und interessante Stadt". In Kanada könne man sich "erholen", aber es sei auch langweilig. Außerdem fühle er sich dort "fremd".Die Jüdischen Gemeinden in Russland haben seit einigen Jahren wieder Zulauf. Vor allem aus Israel und Deutschland, aber auch aus Kanada kommen Juden zurück, die Anfang der 90er Jahre auswanderten. Im Jahre 2003 kehrten aus Israel bereits mehr Juden in die GUS-Staaten zurück als dorthin auswanderten, erklärt Andrej Goltzer, der Sprecher des russischen Ober-Rabbiners Berl Lasar. 1,2 Million Juden leben nach Schätzung der Gemeinde heute in Russland, der Großteil in Moskau und St. Petersburg. Vor Überfällen von Skinheads hat der junge Rückkehrer keine Angst. "Ich glaube an das Schicksal. Ich kann auch in Kanada von einem Auto überfahren werden oder in Israel in einem Bus sterben." Zur Präsidentschaftswahl will er nur gehen, wenn die Verwandten wählen. "Wenn, dann werde ich für Medwedew stimmen."Auch Grigori, ein Bankangestellter, der vor kurzem aus Kanada zurückgekehrt ist, würde für Medwedew stimmen. Aber er habe keinen russischen Pass mehr und könne deshalb nicht wählen. Für Juden sei die Lage unter Putin besser geworden. "Natürlich ist das mit Chodorkowski schrecklich."Der 60-jährige Aleksandr sitzt mit einem Sechsjährigen an einem Tisch vor dem großen Bücherschrank in der Synagoge. Er lehrt den Kleinen das jüdische Alphabet. "Ich bin mit denen einverstanden, die sagen, dass es keinen Sinn hat, zur Wahl zu gehen, weil das Resultat vorherbestimmt ist." Obwohl der Kandidat Medwedew ihm "sehr sympathisch" sei.

"Doch die Frage ist, woher kommt er?" Auf der Galerie der Synagoge stehen zwei ältere Damen. Eine von ihnen, untersetzt und mit grüner Wollmütze, heißt Raissa. Ganz ernst sagt sie: "Wir gehen wählen, unsere Kinder nicht. Wir haben noch Disziplin. Wir haben ja alles durchgemacht. Den Krieg..."   Ein älterer Herr mit Pelzmütze kommt gerade aus dem Sportsaal. Dort stemme er noch Hanteln, wie er stolz verkündet. Seinen Namen möchte der 79-Jährige aber nicht verraten. Wie er lebt? "Allein. Meine beide Frauen sind schon gestorben." Von den 5.000 Rubel (138 Euro) Rente könne er nicht leben. Aber der Bruder in den USA helfe ihm. Für die Juden in Russland sei das Leben einfacher geworden. Ab dem Sommer soll es visumsfreien Reiseverkehr zwischen Russland und Israel geben. "Und wer Mitglied des Jüdischen Zentrums ist" - der Alte zeigt stolz seine weiße Plastikkarte - "bekommt bei Transaero (eine russische Fluggesellschaft) fünf Prozent Rabatt."Zur Wahl gehen möchte der Alte aber nicht. "Es gibt keine richtige Wahl", sagt er. Politiker wie Garri Kasparow und Michail Kasjanow seien nicht zugelassen worden. Dabei macht der alte Herr nicht den Eindruck, als sei er ein überzeugter Liberaler. Sein Idol ist der jüdische Schlager-Sänger Iosif Kobson. Der gehört zum Moskauer Establishment. Roman Abramowitsch findet er "zu reich" und mit Chodorkowski sei "nicht alles klar". Obwohl man anerkennen müsse, dass Abramowitsch einer der Hauptsponsoren des Jüdischen Zentrums sei. Reuven Kurawski, Religionslehrer in einer jüdischen Schule, hat keine Probleme zu sagen, wem er seine Stimme gibt: Dmitri Medwedew. Warum?

"Ich glaube, er wird den Kurs fortsetzen, der für unser Jüdisches Zentrum wichtig ist." Das Zentrum sei in den letzten zehn Jahren aufgeblüht. "Von den anderen Kandidaten weiß ich nicht, was ich erwarten soll." Kurawski, der mit seinem schwarzen Hut und seinem langen Bart ein potentielles Ziel von rechten Gewalttätern ist, hofft, dass die Regierung mehr zum Schutz von Juden unternimmt. In seinem Beisein sei ein Freund zusammengeschlagen worden. Die Täter säßen jetzt allerdings hinter Gittern. "Das russische Volk verhält sich gegenüber den Juden normal. Alles hängt davon ab, was man in den Regierungs-Korridoren und im Fernsehen sagt. Wenn Sie sagen, dass wir alle freundschaftlich zusammenleben sollen, wird das auch auf den Straßen so sein."


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