Russland

VORSPIEL ZUR DOPPELHERRSCHAFT

Wladimir Putin und Dimitri Medwedew wollen Russlands Stärke bewahren und teilen sich dabei die Arbeit auf(n-ost) Es ist Schaltzeit. In Russland wird die Uhr für die Zeit nach Putin gestellt. Doch das geschieht leise, alles weist auf einen bruchlosen Übergang von Putin zu seinem Nachfolger Dmitri Medwedew hin. Drei Viertel der russischen Bevölkerung würden es begrüßen, wenn gar nicht gewählt werden müsste und Wladimir Putin auch für eine dritte Amtszeit als Präsident zur Verfügung stände. Da Putin jedoch entschlossen ist, die russische Verfassung zu achten, die drei Amtszeiten hintereinander verbietet, sind keinerlei Überraschungen zu erwarten. Statt seiner schlägt er einen Nachfolger vor, unter dessen Präsidentschaft er als Ministerpräsident weiterhin die Geschicke Russlands gestalten will. Die Wahl wird faktisch zu einem Plebiszit über einen abgesprochenen, ruhigen Machtwechsel.
 
In dieses Bild passen die letzten Auftritte Putins vor der Wahl. Vor dem Staatsrat und auf seiner letzten großen Pressekonferenz vor mehr als 1300 Journalisten zog er nicht nur eine Bilanz seiner Präsidentschaft und skizzierte die strategischen Aufgaben der Zukunft, sondern versprach auch den Kritikern der Regierungspolitik, sich um die von ihnen vorgebrachten Punkte zu kümmern.Putins Botschaft an den Staatsrat - also an das Kabinett sowie die führenden Politiker und Generäle des Landes - und die nationale wie internationale Öffentlichkeit lautet: Orientierung auf die Stärkung der russischen Wirtschaft, die vor ausländischem Einfluss geschützt werden müsse, und Entwicklung einer neuen Sicherheitsstrategie, zu der Russland durch Druck von außen gezwungen werde. Schaut man nicht durch die Brille westlicher Voreingenommenheit, sondern nimmt Putins Worte  ernst, dann wird klar, worum es beim russischen Machtwechsel geht: um die Sicherung der in acht Jahren Putinscher Präsidentschaft mühsam wiederhergestellten russischen Staatlichkeit und Einheit des Landes.Man erinnere sich: Bei Übernahme der Präsidentschaft im Jahre 2000 war das Land in Regionen, Bezirke und oligarchische Herrschaftsbereiche zerfallen. Jelzin war seit 1996 Präsident von Beresowskis Gnaden. Presse und Medien lagen in den Händen der Oligarchen, die bei der Privatisierung des Staatseigentums um die fettesten Stücke kämpften. Jelzins "Familie" war in diese Machenschaften tief verwickelt. Mord aus wirtschaftlichen Motiven war an der Tagesordnung. Die Netze der sozialen Versorgung waren zerrissen. Steuern wurden ebenso wenig gezahlt wie Gehälter, Löhne und Renten. In Tschetschenien steigerte sich der Zerfall bis zum Terrorismus. Russen sahen ihr Land - auch außenpolitisch - auf den Stand eines Entwicklungslandes herabgesetzt. Als Putin die Präsidentschaft übernahm, trat Russland in eine Phase der Wiederherstellung minimaler staatlicher Funktionen ein. Die Ankündigung, mit der er als Mr. Nobody antrat, lautete schlicht: Wiederaufbau staatlicher Autorität. Dazu zählten vielfältige Bereiche von der Wiedererrichtung eines sozialen Netzes über die Grenzsicherung gegenüber den Nachfolgestaaten der Sowjetunion bis hin zur Wiederherstellung eigener, souveräner Beziehungen zu den Staaten in der Welt.Man kann nicht oft genug an diese Tatsachen erinnern, denn allein sie erklären die ungeheure Zustimmung, die Wladimir Putin entgegenwuchs, als er 1999 mit dem Versprechen die Macht übernahm, eine "Diktatur des Gesetzes" herzustellen. Dies bedeutete nichts anderes als ein Minimum an Sozialität in die russische Gesellschaft zurück zu bringen, die sich im freien Fall befand. Nach acht Jahren kann Putin nun feststellen: Wir haben es geschafft. Und er verspricht, es weiterhin schaffen zu wollen. Tatsächlich kann man nur bestätigen, dass es Russland trotz der Krise gelang, nicht nur zu überleben, sondern gestärkt aus seiner Agonie hervorzugehen.Nach innen drückt sich dies in der Konsolidierung einer neuen herrschenden Schicht aus: Russlands Entwicklung ist geprägt von einer bürokratischen Zentralisierung, was sich in der zentralisierten Kommandostruktur unter Leitung des Präsidialamtes zeigte, die unmittelbar nach Putins Amtsantritt eingerichtet wurde. Die Medien, insbesondere das Fernsehen, sind an einem "nationalen Interesse" ausgerichtet, was im Westen als Abschaffung der Medienfreiheit wahrgenommen wurde. Schließlich wurden auch die Oligarchen diszipliniert, was sich niederschlug in der Flucht des Medien-Eigentümers Wladimir Gussinski nach Spanien, der Verbannung Boris Beresowskis, der einstigen grauen Eminenz unter Jelzin, ins Exil nach England und der Verhaftung und Verurteilung des Yukos-Chefs Michail Chodorkowski.
 
Nach außen spiegelt sich die gestärkte Rolle Russlands in der Kritik am hegemonialen Anspruch der USA wider: Die 2002 neu verfasste russische Militärdoktrin beendete das vom damaligen Außenmininster Kirijenko formulierte Credo der Jelzin-Ära, dass Russland heute keine Verteidigungsarmee mehr brauche. Einen Wendepunkt in den Beziehungen zu den USA markierte Putins Auftreten bei der Münchener Nato-Tagung 2006, wo er vortrug, was er nach eigenen Worten "wirklich über die Probleme der internationalen Sicherheit denke". Die Alleinherrschaft der USA, so Putin, müsse ein Ende haben. Diese Entwicklung wurde möglich durch eine konsequent "opportunistische" Politik Russlands zwischen der EU im Westen und dem Shanghaier Bündnis im Osten, mit der Russland zum Protagonisten in einer multipolaren Welt wurde. Diese Rolle war Russland in den Jahren seit Putins Amtsübernahme in aller Stille zugewachsen. Mit Putins Auftritt vor der Nato-Versammlung wurde sie vor aller Augen eindrucksvoll bekräftigt. Mit dem Besuch Putins in Teheran Ende 2007, der zeitgleich zu Konferenzen des Shanghaier Bündnisses wie auch der Anrainer des kaspischen Meeres stattfand, zeigte Russland den USA auch praktisch die rote Karte. Die Teilnehmer der kaspischen Konferenz - Kasachstan, Tadschikistan, Iran, Aserbeidschan, Russland - versicherten sich gegenseitig, keine unabgesprochene Gas- und Ölförderung im kaspischen Meer zu betreiben. Zudem wollen die Staaten keine Stationierung fremder Militärs auf ihrem Gebiet zulassen, die sich gegen eines der an der Konferenz beteiligten Länder richtet. Das Shanghaier Bündnis der zentralasiatischen Staaten nahm den Iran demonstrativ als assoziiertes Mitglied in seine Runde auf.Putins Auftritte vor der anstehenden Präsidentschaftswahl stehen in dem Bemühen, Leitlinien vorzugeben, die ihm auch nach seinem Ausscheiden aus dem Amt des Präsidenten erlauben, als Ministerpräsident den jetzt verfolgten Kurs auf neuer Ebene fortzusetzen. Wladimir Putin und Dimitri Medwedew scheinen sich auf eine Art Arbeitsteilung - um nicht zu sagen Doppelherrschaft - geeinigt zu gaben. Oder salopp ausgedrückt: Putin für's Grobe in der Außenpolitik - Medwedew für's Feine in der Innen-, Wirtschafts- und Sozialpolitik. Zumindest erwecken beide diesen Anschein. Während Medwedew erklärt, sich zukünftig mehr auf die Wirtschaft und weniger auf außenpolitische Belange konzentrieren zu wollen, verkündet Putin schon jetzt, wenige Wochen vor seinem Ausscheiden aus dem Amt, er werde an der Nato-Sicherheitskonferenz im April in Bukarest teilnehmen. Bei genauerem Hinsehen sind Medwedews Absichten jedoch keineswegs fein. Er wolle für neue Impulse in der Sozialpolitik sorgen, so sein Bekunden, indem er gedenkt, die jetzt mit sozialen Fragen beauftragte Bürokratie zugunsten privater mittelständischer unternehmerischer Initiativen abzubauen. Das klingt gut, ist aber praktisch nur eine neue Verpackung für die schon einmal gescheiterten Absichten der russischen Regierung, kommunale Dienstleistungen zu monetarisieren. Putin seinerseits erklärt trotz aller Interventionsversuche der USA und trotz Zuspitzung des Kosovo-Konflikts, Russland wolle auch in Zukunft freundschaftlich mit den USA kooperieren. Man darf also gespannt sein, zu welcher Seite hin sich diese Doppelherrschaft zukünftig auflösen wird. ENDENachdruck und Weiterverwertung dieses Artikels sind kostenpflichtig. Informationen im n-ost-Büro unter (030) 30 83 11 87


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