Belarus

"Finanzkrise? - Wir haben keine!"

Am Rande des Dorfes Galusy im Osten von Weißrussland versammeln sich die betagten Bewohner der Siedlung. Es ist Dienstag, 16 Uhr. Wie immer um diese Zeit soll ein Mercedes-Minibus vorbeikommen. Er bringt in das aussterbende Dorf ein Stück vom Luxus: frische Milch und Brot, gegrilltes Hähnchen, Schokolade und Bonbons, deren Etikette mit nicht-kyrillischen Buchstaben beschrieben sind. Der Bus kommt wie immer pünktlich. Doch abgesehen davon ist nichts mehr, wie es war.Eine 60-Jährige fragt nach Obst. „Früchte und Limonade haben wir nicht mehr im Angebot“, sagt der Privatunternehmer Ruslan Alexeenko (25), Fahrer und Verkäufer in einer Person. Unter den Kunden sind nicht, wie gewöhnlich, nur Omas, sondern auch ein paar jüngere Frauen.

Das sind die Frauen, die wegen Zwangsurlaubs aus Minsk in ihr Heimatdorf zurückgekehrt sind. Doch trotz ihres Besuches verkauft Alexeenko kaum mehr als sonst. Als er Galusy – das zehnte Dorf an diesem Tag – verlässt, zählt er zwei Paletten Brot und eine Kiste Milch, die nicht verkauft wurden. „Das war kein guter Tag“, resümiert der Unternehmer. „Alles wegen der Finanzkrise“.


Der Autoladen von Ruslan Alexeenko bringt ein Stück Luxus ins Dorf Galusy / Olga Kapustina, n-ost

Dass die Weltwirtschaftkrise auch die kleinen belarussischen Dörfer erreicht hat, zeigt sich vor allem in der Kaufkraft der Menschen. Die Rente ist so hoch wie vor der Wirtschaftskrise, die Preise sind gestiegen. Die Bewohner müssen sparen und dürfen nur das Nötigste kaufen: Brot, Milch, Streichhölzer. „Das Lager in Mogiljow ist Pleite gegangen, jetzt muss ich 300 Kilometer nach Minsk zum Großhandel fahren. Außerdem muss ich das ganze Geld schon beim Abholen der Waren zahlen. Früher konnte man es erst nach dem Verkauf tun“, sagt der junge Unternehmer.Nach offiziellen Angaben stiegen die Lebensmittelpreise in Belarus im Januar 2009 im Vergleich zu Dezember 2008 um 3,3 Prozent. Die wurden in belarussischen Rubeln (Br.) verglichen. In Anbetracht der Abwertung der Währung ist der Preissprung deutlich höher.Im Zug Mogiljow-Gomel, der zwischen den beiden größeren Städten Weißrusslands verkehrt, unterhalten sich drei Fernstudentinnen.

„Gestern kostete der Dollar 2850 belarussische Rubel, heute schon 2860 Rubel. Es ist unglaublich, wie der täglich zuschlägt. Ich habe alle meine Ersparnisse in Dollar gewechselt“, erzählt die blonde Studentin mit der roten Mütze aufgeregt. „Wir haben es leider nicht geschafft“, sagt eine ältere Studentin. „Du kannst dir nicht vorstellen, was in unserer Sparkasse direkt nach dem Silvester, als der Dollar auf einmal auf 20 Prozent gesprungen ist, vorging. Wir haben drei Stunden vor der Bank gewartet. Als wir endlich an der Kasse waren, waren die in der Bank vorhandenen Dollars alle.“ Dann hätten sie Euro gekauft, zum Glück nicht den russischen Rubel. Denn der Euro steigt zwar nicht so schnell wie der Dollar, sinkt allerdings auch nicht so stark wie der russische Rubel.“Am zweiten Januar 2009 wurde der belarussische Rubel im Vergleich zum US-Dollar und zum Euro auf einmal um fast 20 Prozent abgewertet. Es herrschte Panik in Weißrussland. Die einen stürmten die Bank, die anderen die Geschäfte.

Es wurde alles gekauft – Kühlschränke, Mikrowellenherde,  Staubsauger – auch das, was seit Monaten in den Ladenregalen verstaubte. Denn die Leuten wussten: Bald werden alle Importwaren sehr viel teurer sein.„Lukaschenko sagte, dass der weißrussische Rubel sicher ist. Das ist unverschämt!“, empört sich die Studentin mit der roten Mütze. „Hört dem Präsidenten besser zu“, sagt die dritte Studentin. „Er hat auch gesagt: Wir werden schlecht leben, aber nicht lange.“ Die Drei lachen. Nach Lukaschenkos Meinung sind der Internationale Währungsfonds (IWF) und Russland an der Abwertung des belarussischen Rubels schuld.Der Anteil Russlands am weißrussischen Außenhandel beträgt 47 Prozent (Deutschland ist nach Holland und der Ukraine auf Platz vier). Im Januar 2009 sank der weißrussische Export nach Russland im Vergleich zu Januar 2008 um 45 Prozent. Der Durchschnittslohn der Weißrussen sank im Januar 2009 im Vergleich zu Dezember 2008 umgerechnet in US-Dollar von 450 USD auf 330 USD, also um mehr als 20 Prozent.Als die Krise nicht mehr zu vertuschen war, gaben der Präsident und die Regierung zu: Es gibt finanzielle Schwierigkeiten im Lande.

„Es gibt einen Wachstumsrückgang, aber der ist nicht so groß wie in den Nachbarländern. Das Bruttoinlandprodukt (BIP) wuchs im Januar zwar nicht wie geplant um elf Prozent, aber wenigstens um vier Prozent“, sagte Premierminister Sergej Sidorskij Anfang Februar.Präsident Lukaschenko gibt sich weiter optimistisch. „Wir exportieren alles – Motoren, Schuhe, Kleidung. Die Folgen der Weltwirtschaftskrise zeigen sich wegen dieser Orientierung auf den Export auch bei uns. Trotzdem müssen wir 2009 mindestens 2.000 bis 3.000 Motoren mehr herstellen als 2008. Es gibt einen Anlass für Optimismus“, munterte Lukaschenko die Mitarbeiter des Minsker Motorenwerks während seines Besuches bei dem Unternehmen Ende Februar auf. Diese Aussage wurde am selben Abend auf allen Fernsehkanälen gezeigt.Die vollen Lager in einem anderen großen Werk in der weißrussischen Hauptstadt, dem Minsker Automobilwerk, veranlassen die Mitarbeiter indes nicht zu Optimismus.

2.000 unverkaufte Autos stehen dort – vier mal mehr als ein Jahr zuvor. Schon im Juli 2008 sank der Export nach Russland um ein Fünftel, Tendenz steigend. Doch die Produktion blieb auf gleicher Höhe. Nun musste das Symbol der weißrussischen Wirtschaftskraft im Februar Kurzarbeit einführen und seine Produktion auf eine Drei-Tage-Woche umstellen. Ab dem ersten März stoppte das Werk seine Produktion komplett – zunächst für eine Woche.Ende Februar erschien in der regierungskritischen Zeitung „Nascha Niwa“, die eine Auflage von 5.500 in dem Zehn-Millionen-Land hat, der Artikel „Der reale Stand unserer Wirtschaft“ von Alexander Tschubrik.

Der Wirtschaftswissenschaftler bewies, dass in der Wirklichkeit das BIP im Januar 2009 nicht um vier Prozent wuchs, sondern um fünf Prozent sank. Tschubrik schrieb, dass die Finanzkrise in Europa nur Lettland, die Ukraine, Ungarn und Island noch stärker als Weißrussland treffe. „Nur diese Staaten haben wie unser Land eine dringende Hilfe des IWF benötigt.“ Anfang des Jahres hat der IWF ein Kredit in Höhe von 2,5 Milliarden US-Dollar für Weißrussland gebilligt. Zwei weitere Milliarden US-Dollar leiht sich Weißrussland vom Nachbarn Russland aus.Präsident Lukaschenko sagte, die Kredite würden für die Stabilisierung des weißrussischen Rubel verwendet. Und flog Anfang März in die Berge Serbiens – zu einem offiziellen Treffen, berichteten die staatlichen Medien. In einen teuren Urlaub in einem Prestigekurort, schrieben die zwei verbliebenen kritischen Zeitungen.


Weitere Artikel