Polen

Die Solidarnosc-Frauen

Die größte Streikbewegung Polens begann mit einer Frau: Anfang August 1980 wurde die unbequeme Kranführerin Anna Walentynowicz von der Danziger Werft fristlos entlassen. Die umtriebige Gewerkschafterin hatte mit Protestaktionen schon oft angeeckt – nun reichte es der Werftführung offenbar. Ihre Entlassung löste die Streiks aus, die vor 35 Jahren zur Gründung der ersten freien Gewerkschaft Solidarnosc führten.

Doch die Ikone der Bewegung ist seither Streikführer Lech Walesa, der am 31. August mit einem riesigen Kugelschreiber das Abkommen mit der kommunistischen Regierung unterschrieb. Dabei waren Frauen die stillen Heldinnen der Bewegung.
„Wir waren die Kraft“, erinnert sich Henryka Krzywonos, die heute noch im Danziger Umland lebt. 1980 war sie Straßenbahnfahrerin bei den städtischen Verkehrsbetrieben, die sich an den Streik der Werftarbeiter angeschlossen hatten. Als Delegierte war sie Mitglied im Streikkomitee der Werft.


Die Frauen wollten Freiheit

Die 62-Jährige erinnert sich an jenen dramatischen 16. August, als die Kranführerin Anna Walentynowitsch, zwei weitere Frauen sowie sie selbst die Arbeiter dazu aufforderten, weiter zu streiken. Bereits am dritten Protesttag hatte die Werft nämlich zentrale Forderungen erfüllt: Die Löhne wurden erhöht, Walentowycz wieder eingestellt. Lech Walesa kündigte ein Ende der Streiks an.

Doch den Frauen ging es nicht nur um die Löhne. Es ging ihnen um Freiheit. „Wir wollten auch die anderen Arbeiter in Danzig, die sich den Streiks angeschlossen hatten, nicht im Stich lassen“, sagt Henryka Krzywonos. Sie, Anna Walentynowcz und die Werft-Krankenschwester Alina Pienkowska forderten, dass die Arbeiter vor die Werft-Tore zurückzukehren sollten. „Sonst zerschmettern uns die Sicherheitskräfte wie Wanzen“, sagte Krzywonos damals zu Lech Walesa. Sie bekam Recht. Zwei Wochen später hatte die Solidarnosc viel mehr erreicht: Den ersten erfolgreichen Kampf gegen ein kommunistisches Regime im Ostblock.


Keine Gleichberechtigung auf der Werft

Unter den 17.000 Mitarbeitern der Danziger Werft waren Ende der 1970-er Jahre rund 5.000 Frauen. Sie bildeten die Mehrheit in der Verwaltung und in den Küchen. Auch in dem werkseigenen Krankenhaus und in der Poliklinik arbeiteten überwiegend Frauen. In den Hallen und Werkstätten waren sie aber genauso anwesend: als Ingenieurinnen, Kranführerinnen, Schweißerinnen oder Staplerfahrerinnen.

Das Regime rief offiziell zur Gleichberechtigung auf, die Werft brauchte Arbeitskräfte. So kam im Jahr 1959 auch die 19-jährige Helena Dmochowska zur Werft, als Kranführerin. „Als ich zum ersten Mal durch das Tor durfte, dachte ich, ich bin in einer ganzen Stadt, so voll und lebendig war es dort“, erinnert sie sich. Beste Rahmenbedingungen, gute Löhne, Anerkennung – immerhin war die Werftindustrie die Vorzeigebranche der Volksrepublik.
Sie war aber kein Paradies für Frauen. Sie wurden nie Meister, bekamen keine passende Schutzbekleidung, es gab keine getrennten Umkleideräume. Belästigungen waren an der Tagesordnung. Frauen arbeiteten mit Asbest und giftigen Dämpfen – dort, wo die Männer nicht arbeiten wollten.


Heute sind einige verbittert

Die Frauen fielen auch beim Streik nicht auf, sagt Henryka Krzywonos. „Die meisten Männer trieben sich auf dem Gelände herum, saßen auf dem Rasen, schauten durchs Fenster“, sagt sie spöttisch. „Die Frauen blieben in den Hallen, hörten Nachrichten im Radio und kochten für die Streikenden.“

Im betriebsübergreifenden Streikkomitee arbeiteten vier Frauen: Anna Walentynowicz, Anna Pienkowska, Helena Krzywonos und die Ingenieurin Joanna Duda-Gwiazda. Sie sammelten die Postulate der Arbeiter ein, arbeiteten diese aus, setzten sich für den Ausbau der Kinderbetreuung und Mutterschaftsurlaub ein. Doch nur drei von ihnen unterzeichneten später das Abkommen mit der Regierung. „Mehr Frauen hätten sie damals nicht zugelassen“, sagt Henryka Krzywonos. Auf dem berühmten Foto mit Lech Walesa sitzen sie abseits.
Auch die anderen Arbeiterinnen trugen zum Erfolg bei. „Hunderte von uns schmuggelten Essen und Briefe hin- und her“, erinnert sich Helena Dmochowska. Krankenschwestern vergipsten und bandagierten die vom Sicherheitsdienst gesuchten Aktivisten und schleppten sie vermummt aus der Werft heraus. „Hätten sie ohne uns den Streik überhaupt durchgeführt?“, fragt Helena rhetorisch. Etwas verbittert ist sie schon.


Auf den Spuren der Solidarnosc

„Der Konflikt um die Macht unter den Politikern, auch innerhalb der Solidarnosc hat die Erinnerung an die Frauen verdrängt“, sagt Helena Dmochowska, die immer noch oft auf dem Werftgelände unterwegs ist. Sie arbeitet ehrenamtlich für das Stadtkulturinstitut in Gdansk, das Touren auf den Spuren der Solidarnosc veranstaltet.

Einige Streik-Veteraninnen sind bereits tot: Anna Pienkowska war für kurze Zeit Abgeordnete und starb 2002. Anna Walentynowicz starb 2010 später bei der Flugzeugkatastrophe von Smolensk. Joanna Duda-Gwiazda arbeitete bis zur Rente als Ingenieurin. Sie blieb zerstritten mit Lech Walesa. Henryka Krzywonos hat es am weitesten gebracht: Sie kandidiert derzeit als unabhängige Kandidatin auf der Liste der liberalen Bürgerplattform für die Parlamentswahl in diesem Herbst.


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