Belarus

Schalom. Ein Schelmenroman

Zum Interview mit Artur Klinau zu seinem aktuellen Roman

Am Morgen weckte ihn ein mörderischer Durst. Er stellte fest, dass er in seinen Kleidern geschlafen hatte, rappelte sich hoch, goss eine halbe Flasche Mineralwasser in sich hinein, zog sich aus und sank zurück ins Bett. So hatte er bis zum Abend weitergeschlafen, und die ganze Geschichte wäre womöglich nie passiert, wären da nicht die vermaledeiten Schwiegermutterstiefel gewesen.


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Wir verschenken zwei Exemplare von Artur Klinaus „Schalom. Ein Schelmenroman“.
Beantworten Sie uns hierfür bis zum 08. Dezember 2015, 11Uhr folgende Frage: Nach welchem berühmten Schriftsteller ist im Roman eine Trinkmethode benannt?
Im Interview mit Artur Klinau finden Sie einen kleinen Tipp, Antworten bitte an abo@ostpol.de. Viel Glück!


Sie fielen ihm zwei Stunden später ein, als er abermals aufstand, um die restliche halbe Flasche zu leeren. Schmerzlich regte sich in seinem Bewusstsein der Gedanke, dass heute Samstag war, sein letzter Tag in Bonn, schon morgen ging es zurück nach Mogiljow. Aber vorher wollte noch der Shoppingauftrag erledigt sein – Geschenke besorgen für Ehefrau und Tochter und vor allem die Stiefel für die Schwiegermutter, die eigens dafür Geld herausgerückt hatte. Natürlich könnte er auch noch in Berlin einkaufen gehen, aber da würde er nur ein paar Tage bleiben. Hier hatte er in seinen drei Wochen schon alles ausgeguckt, jetzt musste er sich nur noch vom Kissen losreißen und die entsprechenden Läden abwandern.

Er kroch zurück ins Bett und glotzte auf die große weiße Kugellampe an der Decke. Mit der Einkaufstour im Hinterkopf war an entspanntes Weiterschlafen nicht mehr zu denken. Schöne Scheiße!, schimpfte er in Gedanken und wälzte sich auf die Seite. Da wartest du auf die Vernissage, als ob sich damit die Tür zu einem neuen Leben auftut. Alles da: Ruhm, Geld, Ehre, schicke Autos, ein Häuschen in Frankreich. Und dann – immer nur dieselbe Kacke: Suff und Brummschädel, Fjodor Michailowitsch, die Drecksau … besoffen … Jetzt ein Schweppes, Limo. Und dann diese dämlichen Schwiegermutterstiefel!


„Bring zu jedem Bankett dein eigenes Material mit“

Am Vorabend hatte er an einem Festbankett anlässlich der Vernissage ihrer Freilichtskulpturenausstellung teilgenommen. Mit der Ausstellung hatte er seine Zeit hier zugebracht. Kurz vor der Eröffnung war er mit Heinrich zu Lidl gegangen, wo sie sich zwei Flaschen Wein und zwei Mal Billigwhisky für vier Euro siebzig die Pulle gekauft hatten. Seine langjährige Vernissageerfahrung hatte ihn ein ehernes Gesetz gelehrt: Bring zu jedem Bankett, auch wenn es noch so edel ist, dein eigenes Material mit. Dann ersparst du dir das Gedränge um die Tische mit dem Weinausschank. Du musst keine besorgten Blicke auf die noch verkorkten Flaschen hinter den Kellnern werfen und kannst dir gänzlich sicher sein, dass du nicht um zehn in der nächsten Tanke den überteuerten Fusel kaufen musst, weil alle Laden im Umkreis schon geschlossen haben.

Eine Stunde vor der Eröffnung hatten sie es sich auf einer Bank hinter einer Heinrich-Skulptur gemütlich gemacht und jeder hatte eine Flasche Chilenischen geköpft. Heinrich war ein feiner Kerl, genau wie er einer der einfachen Soldaten in der großen Kunstarmee, deren namenlose Gräber sich dereinst in den endlosen Weiten von Land-Art, Pop-Art, Video- und Konzeptkunst verlieren würden. Aber mit Heinrichs Skulptur, einer Art hölzernem Datschenplumpsklo, das sich auf die zentrale Parkallee verirrt hatte, wurde er nicht so richtig warm. Frankas Installation, ein Labyrinth aus riesigen Plastikfolien, war ihm da deutlich näher. Wenn man es betrat, bauschten sich die Folien im Wind und lockten einen tiefer ins Herz seiner Verzweigungen – und dort konnte den Betrachter, so schien es, doch nur eine freudige erotische Überraschung erwarten.


André, das klingt nach Picasso und Moulin Rouge

Die Arbeit gefiel ihm, noch besser gefiel ihm aber Franka. Als sie zum ersten Mal ins Atelier gekommen war, hatten ihn ihre schonen traurigen Kulleraugen angerührt. Sie hatten ihm sofort verraten, dass Franka eine dieser durchgeknallten Kunstsoldatinnen war, die ihr Leben für die Sache ließen und als Gegenleistung nur Einsamkeit und einen Stapel Kataloge von Freilichtausstellungen und anderen sinnlosen Events bekamen. Aus Sympathie, vielleicht auch aus Mitleid bot er ihr sogleich Bier, Wein oder Whisky zur freien Wahl an. Sie ließ sich auf einen Whisky ein, war aber nach nicht einmal einem halben Glas schon wieder verschwunden und ließ nur einen Hauch Chanel № 5 im Atelier zurück.

Von da an kam Franka häufig auf ein halbes Glas Whisky bei ihm vorbei, redete von ihren Projekten und sprach seinen Namen französisch aus: André. Normalerweise nannten ihn seine Freunde beim Nachnamen oder einfach Andrej, seine Frau sagte manchmal Andrejka, aber André hatte einen besonderen Klang. Nicht das alltägliche Andrej, nicht das plumpe Andrejka – in André schwang etwas mit, das ihn auf den Montmartre erhob, in romantische Luftschlösser, das ihn unweigerlich in eine Reihe stellte mit Modigliani, Rodin und Picasso.

André mochte Frankas traurige Augen. Er erkannte die Muse in ihr. Schon ihrem Namen haftete das Wunderbare an. Franka … La France … Das sagenumwobene Land, das ihn seit seiner Jugend anzog. Die Pariser Cafés, Eiffelturm, Moulin Rouge, Place Pigalle. Van Gogh, Degas, Lautrec. Andrejka dagegen schwebte etwas Schlichteres vor. Er wollte Franka einfach im Bett haben. Aber die war noch vor Einbruch der Dunkelheit in die Stadt gefahren, wo sie bei einer androgynen Freundin mit Kurzhaarschnitt übernachten wollte. Die letzte Chance, sie zu verführen, bot noch die Vernissage, bei der niemand in Eile sein wurde und sich irgendwelche Grüppchen beschwipst und berauscht zusammenfinden wurden mit der Aussicht auf eine lange Nacht.

9783940524355   

SCHALOM

Artur Klinau

Aus dem Russischen von Thomas Weiler

ISBN 978-3-940524-35-5
Broschur, 13 x 22 cm
272 Seiten
16,80 € (D)
edition.fotoTAPETA

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