Abrüstung in sibirischem Fichtenwald
Moskau (n-ost) Die Einweihung der zweiten mit deutscher Hilfe in Russland gebauten Anlage zur Vernichtung von Chemiewaffen lief ganz praktisch. Die angereisten Spezialisten aus Deutschland und Russland, Militärs und Bauleute schnitten nicht nur das symbolische rote Band vor der hochmodernen Fabrik durch. Über einen Videobildschirm konnten sie auch beobachten, wie ein Arbeiter in einem C-Waffen-Schutzanzug die Anlage zur Vernichtung hautschädlichen C-Waffen-Kampfstoffes Lewisit in Betrieb setzte.
Es war das erste Mal, dass man Journalisten den Zugang zum Sperrgebiet gestattete. Die schwerbewachte Lagerstätte für Kampfstoffe liegt in einem Fichtenwald, anderthalb Kilometer von der Stadt Kambarka entfernt. Die 240 Jahre alte Stadt im Westural hat 50.000 Einwohner.
Seit dem Herbst 1941 hat man hier Lewisit gelagert. Der Bestand wuchs während der Jahrzehnte auf 6.400 Tonnen. Der Kampfstoff lagert in 50 Kubikmeter-großen Behältern. Über die Behälter haben Spezialisten jetzt aus Sicherheitsgründen eine große Metallkuppel gebaut.
Bis April nächsten Jahres will man die Hälfte des Bestandes und bis 2008 den gesamten Bestand vernichten. Der Bau der hochmodernen Anlage hat 270 Millionen Euro gekostet. Deutschland trägt ein Drittel der Kosten.
Russland hatte von der Sowjetunion 40.000 Tonnen chemischer Waffen in sieben Lagerstätten geerbt. 16 Prozent der Kampfstoffe lagern in der Nähe der Stadt Kambarka. Russland ist der größte Besitzer chemischer Waffen weltweit. 1997 hatte sich Russland in einem internationalen Abkommen verpflichtet, bis 2012 seinen gesamten Bestand an Chemiewaffen zu vernichten. Die geblichen Kristalle, die nach der Vernichtung des Kampfstoffes übrig bleiben, will man – da sie unschädlich sind – in der chemischen Industrie weiterverarbeiten.
Wiktor Cholstow von der föderalen Agentur für Industrie pries das hohe ökologische Niveau der 15 Hektar großen Anlage in Kambarka. Man tue alles, um Arbeiter und Anwohner zu schützen. Auch der deutsche Botschafter in Russland, Walter Jürgen Schmid, der der Einweihung beiwohnte, zeigte sich zufrieden. Deutsche Spezialisten hatten die Anlage bereits während und nach einem Probebetrieb im Dezember geprüft und erklärt, dass sie den Sicherheitsanforderungen entspreche.
In der Anlage arbeiten viele Frauen. Zur Sicherheit tragen sie bei der Arbeit in einem grünen Täschchen ständig eine Gasmaske bei sich. Die Löhne in der Anlage sind mit 340 Euro vergleichsweise hoch. Die Durchschnittslöhne im Westural liegen bei 85 Euro.
Die Zusammenarbeit zwischen Deutschland und Russland auf dem Gebiet der Chemiewaffenvernichtung begann bereits 1992. Deutsche Spezialisten waren schon beim Bau der ersten Anlage zur Vernichtung von Chemiewaffen in Gorni im Gebiet Saratow beteiligt. Auch der Bau dieser Anlage wurde von Deutschland finanziell unterstützt.
Zwei weitere Anlagen zur Vernichtung von russischen Chemiewaffen im Dorf Maradykowo im Gebiet Kirow und nahe der Stadt Shchuchye im Kurgan-Gebiet sollen in den nächsten Jahren ihren Betrieb aufnehmen.
Wladimir Putin lobte die Einweihung in Kambarka in einer Grußbotschaft als einen „ernsthaften Schritt auf dem Wege der Realisierung wichtiger internationaler Abkommen und Verpflichtungen.“ Der Kreml-Chef erklärte, er sei sicher, „dass das gebaute Objekt zur Lösung der aktuellen Probleme der chemischen Abrüstung beitragen wird.“
Es war tatsächlich ein Tag für den Frieden. Die Sonne schien, und um das von hohen Fichten und Zäunen umgebene Fabrikareal stapften Soldaten-Patrouillen in Dreigruppen mit aufgepflanztem Bajonett durch den tiefen Schnee. Früher schützten sie die Waffen, heute schützen sie ihre Vernichtung, wie der Fernsehkanal NTW lakonisch kommentierte.
Ende
Ulrich Heyden