Janukowitsch vor Comeback
Im Kontrast zum bleichen Frühjahrshimmel ist Kiew seit Wochen voll von bunten Farben: blauen, roten, weißen und, natürlich, orangenen. Die politischen Parteien haben alle Wände mit Wahlplakaten zugeklebt, die Parteienanhänger zeigen ihre Unterstützung mit bunten Schals, um die Köpfe gebundenen Bändern oder mit bunten Transparenten auf den Demonstrationen. Von allen Wahlen, die je in den Staaten der früheren GUS stattgefunden haben, sind die Parlamentswahlen in der Ukraine am 26. März wohl die demokratischsten - ein Resultat der orange-farbenen Revolution.
Präsident und Revolutionsheld Wiktor Juschtschenko steht zwar nicht direkt zur Wahl, dennoch dürfte er dem Wahlsonntag mit gemischten Gefühlen entgegen sehen. Laut Umfragen liegt ausgerechnet die „Partei der Regionen“ seines Erzfeindes, des Ex-Premierminister Wiktor Janukowitsch, in Führung. Vor eineinhalb Jahren hatten die Vorwürfe, die Janukowitschs Präsidentschaftskampagne in Zusammenhang mit Wahlbetrug brachten, die Revolution ausgelöst, die zusammen mit ähnlichen Erhebungen in Georgien und Kirgisien nun auch demokratische Unruhen im benachbarten Weißrussland ermutigt hat.
Die weit verbreitete Enttäuschung über die unerfüllten Versprechungen der „Orangenen Revolution“, den Lebensstandart zu erhöhen und die Korruption zu bekämpfen, hat jedoch dazu geführt, dass die Partei des Präsidenten „Unsere Ukraine“ sich nun sogar anstrengen muss, den zweiten Platz zu gewinnen. Die dritte wichtige Kraft im jetzigen Wahlkampf ist der Block um die ehemalige „Kampfgenossin“ des Präsidenten und gescheiterte Ministerpräsidentin des ersten „postrevolutionären“ Kabinetts, Julia Timoschenko. Daneben haben noch Sozialisten, Kommunisten und der Block um den Parlamentsvorsitzenden Vladimir Litvin reale Chancen, die in der Ukraine geltende Drei-Prozent-Hürde zu überwinden.
Eines scheint schon jetzt sicher: eine klare Mehrheit im neuen ukrainischen Parlament werden weder die „Orangenen“ um Juschtschenko, noch die „blau-weiße“ Opposition um Janukowitsch gewinnen. Für die ersten bedeutet dieser Ausgang die größeren Probleme. Im letzten Herbst haben sich der Präsident Juschtschenko und die damalige Ministerpräsidentin Timoschenko zerstritten und beide ihre jeweils eigene Partei gegründet, was die Mannschaft der „Orangenen Revolution“ entzweite. Eine Koalition zwischen den beiden Parteien und den Sozialisten als drittem Regierungspartner ist äußerst unwahrscheinlich. Versuche, eine Koalition zwischen diesen drei Kontrahenten zu schließen, scheiterten bereits im Februar diesen Jahres.
Die charismatische Timoschenko, deren glühende Reden im November 2004 die Protestierenden begeisterten, will den Job der Premierministerin zurück und hat ihre Kampagne auf desillusionierte Revolutionsunterstützer ausgerichtet. Der Block von Juschtschenko hat indessen die meiste Energie darauf verwendet, Timoschenko für die schlechte wirtschaftliche Situation verantwortlich zu machen: das Sinken des jährlichen Wirtschaftswachstums von zwölf auf zwei Prozent, das Steigen der Preise für Grundnahrungsmittel und für die Renationalisierung wichtiger Unternehmen, die ausländische Investoren verprellte.
In letzter Zeit spricht man in Kiew mehr und mehr von einer möglichen Koalition zwischen den Parteien der einstigen Revolutionsgegner Janukowitsch und Juschtschenko. An dieser Union ist vor allem die Wirtschaft interessiert. Die Vorteile einer solchen Koalition wären, dass sie die Spaltung zwischen den Befürwortern und Gegnern der „Orangenen Revolution“ überwinden könnte. Zudem könnte diese Koalition das schwierige Verhältnis zwischen Kiew und Moskau verbessern.
Kritiker befürchten dagegen, dass dies die Wendung der Ukraine zum Westen verlangsamen und die Macht in die Hände derjenigen zurückgeben könnte, die den Führern der „Orangenen Revolution“ mit Gefängnis gedroht haben. „Ich kann mir nicht vorstellen, dass diese zwei Parteien eine Koalition bilden“, betonte der Parlamentsvorsitzende Litvin. „Aber falls ich mich getäuscht habe, kann ich nur sagen, dass es keine Prinzipien mehr in der Politik gibt“. Ähnlich äußerte sich Julia Timoschenko letzte Woche im ukrainischen Fernsehen: „Wenn diese Koalition gebildet wird, was war dann der ganze Sinn der Revolution?“ Im Falle der Vereinigung könnten die Wähler den Glauben verlieren, dass es zwischen den „Orangenen“ und den „Blau-weißen“ irgendeinen Unterschied gibt.
Die Parlamentswahlen sind so wichtig wie nie zuvor, denn im Zuge der „Orangenen Revolution“ ist ein wesentlicher Teil der Kompetenzen des Präsidenten auf das Parlament übergegangen, um die Demokratie zu stärken. Die Abgeordneten haben nun das Recht, die früher vom Präsidenten eingesetzten Kandidaten für das Amt des Ministerpräsidenten, Verteidigungs- und Außenministers selbst zu wählen und über die weiteren vom Ministerpräsidenten vorgeschlagenen Kabinettsmitglieder abzustimmen. Reibungen zwischen dem Präsidenten und dem Parlament sind in der unklaren politischen Situation nach den Wahlen nicht auszuschließen.