Blau will Orange besiegen
Es ist ein bunter und fröhlicher Wahlkampf. 45 Parteien und Wahlbündnisse bewerben sich um 450 Abgeordnetenplätze in der Werchowna Rada, dem ukrainischen Parlament. Sie ziehen mit Autokorsi und Flaggen durchs Land, verteilten Geschenke und manchmal auch Geld. Der Wahlzettel ist 78 cm lang. Von „gelenkter Demokratie“ wie im Nachbarland Russland ist die Ukraine weit entfernt.
Um die politikmüden Ukrainer an die Wahlurnen zu bekommen, haben die Parteien bekannte Persönlichkeiten auf ihren Listen platziert. Für „Unsere Ukraine“, die Partei von Präsident Viktor Juschtschenko, kandidiert die Sängern Ruslana, im Block von Parlamentspräsident Wolodymyr Lytwin kandidiert die berühmte Sängerin Sofija Rotaru und der ehemalige Kosmonaut Leonid Kadenjuk. Der Wahlblock „Pora-PRP“ – die Bewegung „Pora“ war maßgeblich an der orangefarbenen Revolution beteiligt - wird von Ex-Boxer Vitalij Klitschko geführt. Klitschko bewirbt sich gleichzeitig um das Amt des Bürgermeisters in Kiew.
Zahlreiche Unternehmer, die auf undurchsichtige Weise zu ihrem Vermögen gekommen sind, kandidieren, in der Hoffnung auf parlamentarische Immunität, so auch Rinat Achmetow, der reichste Mann der Ukraine. Der Oligarch finanziert den Wahlkampf von Viktor Janukowitsch, der die Präsidentschaftswahl 2004 verlor. Janukowitsch, der im Osten der Ukraine und der Krim die Mehrheit der Wähler hinter sich weiß, diskreditierte sich bei der Präsidentschaftswahl 2004 durch Wahlfälschungen. Doch seine „Partei der Regionen“ – die mit der Farbe Blau für sich wirbt – profitiert von den Fehlern und Versäumnissen der orangenen Revolutionäre und konnte den eigenen Stimmenanteil laut Umfragen in den letzten sechs Monaten auf 30 Prozent verdoppeln.
Die Blauen profitieren auch von der Ukrainisierungs-Kampagne, die Juschtschenko anordnete. Taras Tschornowil, Sprecher der „Partei der Regionen“ erklärte, die Namen russischer Wähler seien auf den Wählerlisten ins Ukrainische übersetzt worden, aus „Medwedjew“ wurde „Wedmidjew“ und aus „Skworzow“ wurde „Schpak“. Die Partei von Janukowitsch klagt außerdem über die Schließung russischer Schulen und die Übersetzung russischer Fernsehfilme ins Ukrainische.
Zusätzliche Information:
Wahlen ausschließlich über Parteilisten
37
Millionen Ukrainer sind am Sonntag aufgerufen die Abgeordneten für die
Werchowna Rada, das Parlament der Ukraine, zu wählen. Die 450
Abgeordneten werden ausschließlich über Parteilisten und nach dem
Verhältniswahlrecht gewählt. Die Sperrklausel liegt bei drei Prozent. 28
Parteien und 17 Wahlbündnisse bewerben sich.
Zwischenfall beim Plakate-Kleben
Am Mittwoch wurde der bunte Wahlkampf von einem Zwischenfall überschattet. Der 17jährige „Pora“-Aktivist Oleksandr Globenko wurde nachts beim Kleben des Plakats „Pora für Klitschko“ von Polizisten festgenommen und durch einen Schuss schwer verletzt. Der Jugendliche soll bereits mit dem Gesicht zum Boden gelegen haben. Ein Polizeisprecher erklärte, der Vorfall werde untersucht. Der Tod sei das Ergebnis einer von Bürgermeister Aleksandr Omeltschenko in den letzten Monaten geschürten Hysterie, erklärte ein „Pora“-Sprecher. Der Bürgermeister behindere die Plakatwerbung anderer Kandidaten. Am Donnerstag demonstrierten 2.000 „Pora“-Anhänger vor dem Innenministerium in Kiew.
Eins steht jetzt schon fest: Die Parlamentswahlen werden mindestens so spannend wie die Präsidentschaftswahlen im Winter 2004. Denn die Gegner der orangefarbenen Revolution wittern die Chance für eine Revanche. Weil die führenden Kräfte der Revolution zerstritten sind, ist die Macht von Präsident Viktor Juschteschnkos gefährdet. Es ist unsicher, ob Juschtschenko im neuen Parlament eine Mehrheit findet. Durch eine jetzt wirksam gewordene Verfassungsreform wählt das Parlament den Premier und die meisten Minister. Juschtschenkos Widersacher Viktor Janukowitsch macht sich bereits Hoffnungen auf den Posten des Ministerpräsidenten.
Juschtschenko hofft auf Orange-Orange
Viktor Juschtschenko hofft, dass es im neuen Parlament zu einem Bündnis zwischen seiner Partei „Unsere Ukraine“ und der Parlamentsfraktion von Ex-Ministerpräsidentin Julia Timoschenko kommt. Doch ob es für eine Mehrheit im Parlament reicht, ist ungewiss. „Unsere Ukraine“ kommt in den Meinungsumfragen zurzeit auf nur 21 Prozent, der Block von Julia Timoschenko auf 16 Prozent. Die Kommunisten, Sozialisten und die Partei von Parlamentspräsident Wolodymyr Litwin – einem Zentristen –, der wie die Sozialisten die Revolution unterstützte, liegen zwischen vier und sieben Prozent. Janukowitschs Partei wird nach den Umfragen mit über 30 Prozent stärkste Kraft im Parlament. Viktor Juschtschenko und Julia Timoschen schlossen für ihre Parteien eine Koalition mit Viktor Janukowitsch aus. Sie werde sich nicht mit den Stimmen von Janukowitschs Partei zur Ministerpräsidentin wählen lassen, erklärte die ehemalige Revolutions-Ikone Timoschenko in entschiedenem Ton.
Enttäuschte Hoffungen
Millionen Ukrainer hatten im Winter 2004 die orangefarbene Revolution unterstützt oder mit ihr sympathisiert. Man hoffte auf ein Ende des Clan-Wesens - das unter Präsident Kutschma schlimme Blüten trieb-, eine Presse unabhängig von Oligarchen und staatlicher Einflussnahme und eine Verbesserung der Löhne und Gehälter. Doch vieles lief nicht so, wie es sich die Bürger erhofft hatten. Das orangene Lager zerfiel. Man überschüttete sich gegenseitig mit Korruptionsvorwürfen. Revolutions-Ikone Julia Timoschenko musste ihren Posten als Ministerpräsidentin räumen. Das Wirtschaftswachstum fiel von 12 auf zwei Prozent. Die Inflation liegt bei 13 Prozent. Wegen der Kritik an dem zwischen Russland und der Ukraine zu Jahresbeginn ausgehandelten Gas-Abkommens sprach das Parlament der Regierung das Misstrauen aus. Julia Timoschenko geißelte das Abkommen als „nationalen Verrat“. Der Mord an dem Journalisten Grigori Gongadse, der mit zum Ende der Kutschma-Herrschaft führte, wurde nicht – wie versprochen – aufgeklärt. Stattdessen kamen neue Rätsel hinzu. Im März 2005 fiel Innenminister Juri Krawtschenko einem mysteriösen Mordanschlag zum Opfer. In Kiew spekuliert man, dass Krawtschenko etwas über die Hintermänner des Journalisten-Mordes wusste.
Das Vertrauen in den Wahlprozess ist auch unter Juschtschenko nicht besonders hoch. Nach einer Umfrage des Meinungsforschungsinstituts FOM-Ukraina glauben 49 Prozent der Befragten, dass es „kleinere Verstöße“ gegen die Wahlordnung geben werde. 18 Prozent erwarten gar „weitreichende Fälschungen“. Trotz aller Versäumnisse und Rückschritte steht die Ukraine - was demokratische Freiheiten betrifft – im Vergleich mit anderen Nachfolgestaaten der Sowjetunion allerdings noch gut da.