Deutsche Experten forschen in russischer Nuklearforschungsanlage
Dubna (n-ost) - Christian Scheffzük ist zufrieden. Der junge Physiker aus Potsdam arbeitet seit neun Jahren im Internationalen Kernforschungszentrum in Dubna, einem kleinen Städtchen zwei Autostunden nördlich von Moskau. Das Forschungszentrum, das vor genau 50 Jahren gegründet wurde, verfügt über einen der weltweit wenigen Impuls-Forschungsreaktoren. Der deutsche Physiker nutzt die vom Reaktor erzeugten Neutronen zur Untersuchung der mechanischen Spannungseigenschaften von Gestein vor dem Bruch. Seine Arbeit gehört zur Grundlagenforschung.
Scheffzük freut sich, dass er in Dubna durch den Betrieb eines eigenen Messplatzes vergleichsweise viel Experimentierzeit bekommt. An deutschen Forschungsreaktoren ist die Messzeit „viel knapper bemessen“, berichtet er. Zur Untersuchung der Gesteinsproben nutzt der junge Physiker ein von Deutschland entwickeltes Neutronen-Diffraktometer. Über einen 100 Meter langen Kanal werden die Neutronen auf die Gesteinsprobe geschossen, um Kristallgitterabstände und Kristallorientierungen in den Gesteinsproben zu bestimmen. Die Ergebnisse sollen helfen, auch die Deformationsgeschichte der Gesteine zu entschlüsseln.
Der junge Physiker konnte sich Dank seiner perfekten Russischkenntnisse in Russland vielseitig entwickeln. In seinem Labor leitet er eine deutsch-russische Arbeitsgruppe zur Neutronenforschung. In seiner Freizeit photographiert er und bereist das Land. Scheffzük ist schon bis nach Kamtschatka, im russischen Fernen Osten, gekommen.
Der Physiker aus Potsdam ist einer von zwei Deutschen, die konstant in Dubna arbeiten und wohnen. Jährlich kommen etwa 150 deutsche Forscher, um an den bis zu sechs Meter hohen Teilchenbeschleunigern und dem Forschungsreaktor zu arbeiten. 1990 forschten noch 60 Wissenschaftler aus der DDR in dem Wolga-Städtchen. Nach der Vereinigung führte das Bundesforschungsministerium die Zusammenarbeit weiter.
Das Forschungsministerium fördert Projekte in Dubna mit jährlich zwei Millionen Euro. Heute geht es für die deutschen Wissenschaftler vor allem darum, von dem russischen Wissen beim Bau von Teilchenbeschleunigern und Detektoren (Geräten zur Experiment-Überwachung) zu profitieren, berichtet Irene Reinhard von der Gesellschaft für Schwerionenforschung in Darmstadt. Die russischen Erfahrungen sind hilfreich beim Bau entsprechender Geräte in Deutschland. Im Gegenzug werden russische Experten zu Forschungsaufenthalten nach Deutschland eingeladen.
Betonblöcke auf der Straße
Die Forschungszentrum in Dubna liegt inmitten eines Fichten-Wäldchens. Ein einfacher Zaun schützt die in den 50er Jahren gebauten Gebäude im Stil der Neoklassik von der Außenwelt. Die Einfahrt zum Zentrum ist mit Betonblöcken gegen mögliche Kamikadze-Terroristen gesichert. Zwei Damen von der Polizei kontrollieren ankommende Fahrzeuge. Direkt am Eingang stehen rechts und links zwei weiße Scanner, mit denen geprüft wird, ob Jemand wissentlich oder versehentlich radioaktives Material mit ausführt.
Mit der Kernforschung begann man in Dubna bereits 1947. Damals wurde in dem kleinen Städtchen, in dem heute 60.000 Menschen leben, der damals größte Teilchenbeschleuniger gebaut. Er ging 1949 in Betrieb. Im Frühjahr 1956 gründete man in dem Städtchen, dass direkt an der Wolga liegt, ein streng abgeschirmtes Forschungszentrum, an dem sich elf Länder des sozialistischen Lagers beteiligten. An der diesjährigen Jubiläumsfeier nahm auch ein Vertreter des Bundesforschungsministeriums teil. Kremlchef Wladimir Putin schickte ein Glückwunschtelegramm. Er lobte die „unikalen Forschungen“, welche die internationale Wissenschaft „bereichert“ haben.
Dubna war einst die Perle der sowjetischen Forschung. Rund die Hälfte der in der Sowjetunion registrierten Entdeckungen auf dem Gebiet der Kernphysik entfielen auf Forscher in Dubna.
Seinen Namen machte sich das Forschungszentrum an der Wolga mit der Erforschung neuer Elemente. 1967 fanden die Forscher das Element Hahnium. Später bekam es zu Ehren der Entdecker den Namen Dubnium. Die Amerikaner fanden das Element erst drei Jahre später. Als es in Russland zum wirtschaftlichen Umbruch kam, wurden nur noch unregelmäßig Löhne gezahlt. Der Staat war pleite. Doch Ende der 90er Jahre ging es wieder bergauf. Von 1998 bis 2005 haben die Forscher fünf neue Elemente synthetisiert, d.h. entdeckt. Man findet sie als gelbe Rechtecke in der „Insel der Stabilität“, rechts oben auf der Isotopentafel, die in der Eingangshalle des Forschungszentrums hängt. „Insel der Stabilität“ heißt der Platz auf der Tafel, weil man hier Elemente mit ungewöhnlich langer Lebensdauer fand.
Neuer Start nach der Krise
Dubna war die Antwort Moskaus auf die Gründung des Europäischen Kernforschungszentrums CERN in Genf, welches zwei Jahre zuvor gegründet worden war. In Dubna wurde die erste Nachkriegsgeneration von Kernphysikern des sozialistischen Lagers ausgebildet.
Heute wird das Forschungszentrum von 18 Ländern getragen. Es sind im wesentlichen die Länder; die früher zum sozialistischen Block gehörten. Doch das Zentrum hat heute beste Kontakte zu westlichen Forschungseinrichtungen. An Abschottung hat Niemand mehr ein Interesse. Gemeinsam mit dem CERN in Genf arbeitet man an der Entwicklung des größten Teilchenbeschleunigers der Welt, dem Large Hadron Collider.
Das Jahres-Budget des Forschungszentrums beträgt heute 37,5 Mio. Dollar. Zwei Drittel des Budgets trägt Russland. Den Rest tragen die anderen Ländern gemäss ihrer nationalen Wirtschaftsleistung. Zusätzliches Geld verdient man durch Aufträge aus dem Ausland. So baut man in Dubna Teilchenbeschleuniger für Kasachstan und die Slowakei.
Zu den Trägern des Zentrums gehören heute nicht nur europäische Länder wie Polen, Moldau und die Slowakei sondern auch Länder weit außerhalb Europas, wie Kuba, Vietnam und Nordkorea. Für Deutschland ist der Kontakt zu Forschern in Asien durchaus interessant, heißt es von Seiten des Forschungsministeriums.
Zehn Koreaner forschen zur Zeit in Dubna. „Nukleare Geheimnisse gibt es nicht“, so Direktor Aleksej Sissakian. Militärische Forschung ist laut Statut verboten. Natürlich könne man nicht ausschließen, dass Forschungsergebnisse militärisch genutzt werden.
Das Forschungszentrum beschäftigt nach offiziellen Angaben insgesamt 5.500 Mitarbeiter. Von den 1.200 Wissenschaftler kommen 500 aus dem Ausland. Die Gehälter für die russischen Mitarbeiter sind bescheiden. Deshalb ist man sehr an Fremdaufträgen interessiert. Ein Physiker verdient 700 Dollar im Monat. 500 Dollar verdient durch Zusatzaufträge für kommerzielle Auftraggeber.
Wegen der niedrigen Gehälter gibt es Probleme mit dem Nachwuchs. Dubna bildet zwar auch aus - im Zentrum sind 300 junge Wissenschaftler tätig – aber das Durchschnittsalter im Zentrum liegt über 50 Jahre.
Die russische Regierung hat Dubna jetzt den Status einer Sonderwirtschaftszone verliehen. In der Stadt sollen nun günstige Steuer- und Zolltarife gelten. Damit hofft man ein günstiges Klima für die Ansiedlung von Hochtechnologie-Firmen zu schaffen. Schon heute gibt es in dem Wolga-Städtchen etwa 30 Firmen, die im Hochtechnologiebereich tätig sind. Ob sich jedoch die eingesessene russische Bürokratie der Liberalisierung fügt, muss sich erst noch zeigen.
„Tschernobyl darf sich nicht wiederholen“
Wer in Dubna nach militärischen Aspekten der Nuklearforschung oder nach Tschernobyl fragt bekommt nur einsilbige Antworten oder allgemeine Ausflüchte. Direktor Alexej Sissakjan macht ein ernstes Gesicht wenn er sagt, „Tschernobyl darf sich nicht wiederholen“. Doch er klingt überaus selbstbewusst wenn er erklärt, „Atomenergie ist unverzichtbar.“ Stolz verweist er darauf, dass man an neuen Methoden zur Beseitigung radioaktiver Abfälle und zusammen mit Südafrika an einer neuen Generation sicherer Atomkraftwerke arbeitet.
Stolz zählt Sissakjan die Forschungsfelder des Zentrums auf. Das Themenfeld ist weitgespannt. Es reicht von der Tumorbekämpfung, der Entwicklung von Filtern für Wasser und Blut bis hin zu Scannern, die gegen den Schmuggel von radioaktivem Material eingesetzt werden. Man forscht an Membranen, die tausend mal dünner sind als ein menschliches Haar. Von den Forschungen profitiert die Entwicklung von Alzheimer-Medikamenten wie die Erkundung neuer Öllagerstätten. Nach 70 Jahren Abschottung pflegt man in Dubna einen humanen, weltoffenen Stil.
Ende
Ulrich Heyden