Eine Kirche für Frau Merkel
Berlin (n-ost) - Für die sibirische Provinzstadt Tomsk ist das deutsch-russische Gipfeltreffen, das am (morgigen) Mittwoch beginnt, ein historisches Ereignis, das dauerhafte Spuren in der Stadt hinterlassen wird: Die alten, halbeingestürzten Holzhäuser im Zentrum der Stadt wurden schnell renoviert, die hohen Funktionäre haben sich rasch für Fremdsprachenkurse eingeschrieben und die Sicherheitsorgane sorgen dafür, dass keine Reibungen während der Regierungskonsultationen entstehen. So wurden rechtzeitig die Aktivisten der radikalen Gewerkschaftsorganisation „Sibirische Konföderation der Arbeit“ verhaftet, damit sie keine öffentlichen Protestaktionen organisieren können.
Am 8. deutsch-russischen Regierungstreffen nehmen neben Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) und dem russischen Präsidenten Wladimir Putin auch mehrere Mitglieder der Regierungen beider Länder teil. Das genaue Programm und die Zusammensetzung der Teilnehmer bleiben allerdings bis zur letzten Minute geheim, angeblich auf Wunsch der russischen Seite. Geplant sind Verabredungen über eine engere wirtschaftliche Kooperation, aber auch über eine Zusammenarbeit zwischen deutschen und russischen Institutionen auf dem Bildungs- und Forschungssektor und im Bereich Jugendaustausch.
In der Tat spielen Bildung und Forschung in Tomsk eine große Rolle. Mit sechs großen Universitäten ist fast jeder fünfte der 425.000-Einwohner-Stadt Student. Die Regierungskabinette beider Länder werden sich im großen Lesesaal der Tomsker Universitätsbibliothek treffen, einer der ältesten in Sibirien. Das Gespräch zwischen Putin und Merkel findet im Saal für Buchraritäten statt, wo extra dafür die wertvolle Sammlung des Fürsten Stroganoff ausgestellt wird.
Internationale Themen werden einen wichtigen Platz im Gespräch zwischen den beiden Regierungschefs einnehmen, dabei bleibt der Atomstreit mit dem Iran das Hauptthema. Am 28. April läuft die vom Weltsicherheitsrat gesetzte Frist ab, nach der der Iran seine Urananreicherung stoppen und offene Fragen zu seinem Atomprogramm beantworten soll. Deutschland und Russland haben übereinstimmend ihr Interesse an einer „diplomatischen Lösung” des Atomstreits mit dem Iran betont.
Am Rande der Regierungskonsultationen findet ein Wirtschaftsforum führender deutscher und russischer Wirtschaftsvertreter statt. Unter den russischen Teilnehmern sind die Chefs der Konzerne „Lukoil“ und „Gasprom“. Dass es bei diesem Forum um Gas und Energie geht, ist angesichts des Baus der Ostseepipeline und des bevorstehenden G-8-Gipfels, der sich ganz dem Thema „Energie“ widmet, sicher keine Überraschung. Außerdem zeichnet sich momentan ein neuer Gaskonflikt zwischen Russland und der EU ab, da Gasprom einen freien Zugang zum europäischen Markt fordert als Gegenleistung für sichere Gaslieferungen. Die EU will dagegen ihre Energieabhängigkeit von Russland senken. Daraufhin hat der russische Konzern gedroht, sich auf China und die USA umzuorientieren, was Konsequenzen für die Energiesicherheit der EU haben könnte.
Auf dem Programm von Bundeskanzlerin Merkel stehen zudem ein Treffen mit den Absolventen deutscher Ausbildungsprogramme, die Einweihung einer evangelischen Kirche und ein Treffen mit Russlanddeutschen. In der Region Tomsk leben 13.000 Russlanddeutsche, unter ihnen der Gouverneur Viktor Kress. Die Einweihung der lutherischen Kirche ist ein neuer Punkt im Programm des Gipfeltreffens. Für das ursprünglich geplante Regierungstreffen mit Gerhard Schröder im September 2005, das wegen der vorgezogenen Wahlen in der Bundesrepublik verschoben werden musste, gab es diesen Programmpunkt nicht. Damals gab es auch keine Kirche – sie wurde in den 30er Jahren des letzten Jahrhunderts zerstört. Als man erfuhr, dass Angela Merkel evangelisch ist, hat die Stadtregierung beschlossen, die Kirche wiederaufzubauen. Das geschah in der Rekordzeit von drei Monaten.
Für die hohen Gäste stehen auch Geschenke bereit: ein traditioneller Teller aus Birkenrinde, Zedernnüsse, ein Fässchen mit sibirischem Honig, traditionelle Steinpilze und drei Flaschen Bier der Marke „Altes Tomsk“. Für Frauen sind Halstücher mit den Motiven der Tomsker Holzarchitektur geplant, für Männer ein Schal mit dem Wappen von Tomsk, einem Pferd. Das dürfte manche Gäste an ihre deutsche Heimat erinnern: das Wappen von Tomsk ist mit dem Wappen von Niedersachsen identisch, unterschiedlich sind nur die Hintergrundfarben. Dem damaligen Bundeskanzler und Ex-Ministerpräsidenten von Niedersachsen Gerhard Schröder hätte dieser Zufall in der Ortswahl, getroffen von seinem „Freund“ Putin, bestimmt sehr imponiert.
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Elena Stepanova