Russland

„Propagandisten“ und „Illusionisten“

Moskau (n-ost) - Dass in Russland 2008 ein neuer Präsident gewählt wird, macht sich jetzt schon bemerkbar. Das staatliche Fernsehen widmet den beiden möglichen Putin-Nachfolgern, Verteidigungsminister Sergej Iwanow und dem ersten Vize-Ministerpräsidenten Dmitri Medwedjew, auffallend viel Sendezeit. Der halbstaatliche Gasprom-Konzern, der bereits den Fernsehkanal NTW besitzt, will weitere Medien unter seine Kontrolle bringen. Das Tochterunternehmen des Gas-Giganten, „Gasprom-Media“, will das Massenblatt „Komsomolskaja Prawda“ kaufen. Es gibt auch Gerüchte, der Gaskonzern wolle die Tageszeitung „Kommersant“ kaufen. Noch gehört das liberal-kritische Blatt Badri Patarkazischwili, einem Geschäftspartner des nach London geflüchteten Oligarchen Boris Beresowski.

Ein in dieser Woche vorgelegter Untersuchungsbericht über das russische Fernsehen fördert neue Details über die staatlich gelenkte Berichterstattung in dem Riesenland zutage. Das Moskauer „Zentrum für Journalisten in extremen Situationen“ hat im Monat März mit Unterstützung der slowakischen Organisation „Memo98“ die Sendungen von vier landesweit ausgestrahlten russischen Fernsehkanälen, die vom Staat kontrolliert werden, mit der Stoppuhr gemessen. Untersucht wurden die Sendungen von Erster Kanal-ORT, Rossija-RTR, TWZentr (Kanal des Moskauer Bürgermeisters), NTW sowie der private Kanal Ren-TV.

Diese fünf Kanäle bestimmen die Meinungsbildung in Russland. Ein öffentlich kontrolliertes Fernsehen gibt es in Russland bisher nicht, und die Chancen dafür stehen nicht besonders gut. Zurzeit bemüht sich der bekannte ORT-Moderator Wladimir Posner, bei Putin mit einem öffentlich-rechtlichen Projekt Gehör zu finden.

0,6 Prozent der Sendezeit für die Opposition

Dem Untersuchungsergebnis zufolge kommen die staatlichen Medien ihrer Informationspflicht nicht nach. Über die Opposition wird so gut wie gar nicht berichtet. Die Berichterstattung über den russischen Präsidenten ist ausschließlich positiv. Igor Jakowenko, Generalsekretär der russischen Journalisten-Union, der den Bericht der Medienbeobachter in Moskau mit vorstellte, meint, nur „drei Prozent“ der Fernsehmacher könne man als Journalisten bezeichnen, die übergroße Mehrheit seien „gut bezahlte“ „Propagandisten“ und „Illusionisten“. In einer derart gleichgeschalteten Medienlandschaft könnten sich unmöglich politische Parteien entwickeln.

Typisch für die russische Fernsehlandschaft sind die Untersuchungsergebnisse über den staatlichen Kanal „Rossija“. Dieser widmete 88 Prozent seiner Nachrichten in der Hauptsendezeit der staatlichen Macht, d.h. Berichten über die Tätigkeit des Präsidenten (19 Prozent), der Regierung (53 Prozent) und der Kreml-nahen Partei „Einiges Russland“ (14 Prozent) sowie der Präsidialadministration (2 Prozent). Die Berichte waren ausschließlich positiv oder neutral. Die Aktivitäten der Opposition (Union der Rechten Kräfte, Jabloko, Republikanische Partei, Kommunisten) wurden in 0,6 Prozent der Sendezeit abgehandelt. Die Berichte waren überwiegend negativ. Nur beim Kanal Ren-TV kommt die Opposition mit 19 Prozent der Sendezeit ihrer Bedeutung in der Gesellschaft entsprechend zur Gehör.

Lichtstreifen gibt es hingegen in einigen russischen Regionen. Die Situation dort sei extrem unterschiedlich, so Jakowenko. Es gebe Regionen, in denen die Medien noch mehr am Gängelband seien wie in Moskau. Es gebe aber auch Regionen, in denen ein deutlich freieres Klima herrsche. Zu den Fernsehkanälen, die den staatlich verordneten Mainstream nicht mitmachten, gehörten der Kanal TV2 in Tomsk, der Kanal STS in St. Petersburg sowie private Fernsehkanäle in Perm und Swerdlowsk (Ural-Gebiet), Krasnojarsk (Sibirien) und Kostroma (europäischer Teil Russlands). In Regionen wie Kalmykien und Baschkortostan dagegen herrschten so diktatorische Zustände „wie in Turkmenistan“.

In Einigem – so Jakowenko - erinnere die heutige Situation in Russland an Sowjetzeiten. Damals gab es für die Intellektuellen als Nische die „Literaturnaja Gaseta“. Die Nische im Zeitalter Putin heiße „Radio Echo Moskwy“ und „Nowaja Gaseta“.

Der russische Medienbericht auf Englisch:
http://www.memo98.sk/en/index.php

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Ulrich Heyden


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