Triumph der Umweltschützer
Tomsk (n-ost) - Wladimir Putin steht vor einer großen Landkarte. Mit einem Filzschreiber macht der Kreml-Chef ein paar Striche. Semjon Wajnstock, der Chef des staatlichen russischen Pipelinkonzerns „Transneft“, guckt ungläubig. Soeben hat der Kreml-Chef die Strecke der geplanten Ölpipeline nach China um 40 Kilometer nach Norden verlegt. Das russische Fernsehen übertrug die Szene. Russlands Umweltschützer jubelten. Mit einer derartigen Anordnung hatte eigentlich Niemand mehr gerechnet. So war die Sensation perfekt. Umweltschützer hatten landesweit demonstriert, Wissenschaftler in Sibirien eindringlich gewarnt. Das größte Trinkwasserreservoir der Welt mit seiner einzigartigen Tier- und Pflanzenwelt sei in Gefahr.
Wer denkt, die Russen kümmerten sich vor allem um ihre sozialen Probleme wird in Irkutsk –einer Industriestadt mit 600.000 Einwohnern - eines Besseren belehrt. In den vergangenen Wochen hatte man den Eindruck, die Pipeline werde direkt durch die Gärten der Leute verlegt, so aufgebracht war die Stimmung. Auf Information und Aufklärung über seine Pläne hatte „Transneft“ bis dahin verzichtet. Offenbar hoffte man, das sensible Projekt ohne öffentliche Diskussion durchziehen zu können. Doch es kam anders.
Im März und April gab es in Irkutsk drei Demonstrationen gegen die Pipeline, an den zwischen 5.000 und 7.000 Menschen teilnahmen. An den Protesten beteiligten sich Vertreter aller Parteien. Ein Schamane von der Baikal-Insel Olchon versprach den Versammelten Kraft. Viele Bürger gingen erstmals in ihrem Leben überhaupt auf die Straße.
„Wir brauchen hier keine Öl-Pipeline“, sagt etwa Tatjana, die im Dorf Listwjanka, am Ufer des großen Sees, an der Luft getrocknete und geräucherte Sik-Fische an Touristen verkauft. „Der Baikal ernährt uns. Wir leben hier vom Tourismus. Wenn nur ein bisschen Öl ausläuft, ist unser See hin.“ Für sie ist es völlig unverständlich, warum man gerade hier eine Pipeline projektiert habe, wo es doch täglich zu kleinen Erdstößen kommt, die immerhin so stark sind, dass das Geschirr klappert.
Waleri Imajew, Professor für Seismologie am Institut zur Erforschung der Erdkruste in Irkutsk, hat die Erdbeben der vergangenen Jahrhunderte erforscht. „Am Baikal stoßen die indische und die eurasische Platte zusammen.“ Seit 26 Millionen Jahren bewegen sich die Kontinentalplatten aufeinander zu, derzeit etwa fünf Zentimeter im Jahr.
Die Moskauer Fernsehkanäle berichteten nicht über die Proteste am Baikal. „Die haben eine Anweisung von oben bekommen“, erklärte Waleri Lukin, stellvertretender Vorsitzender des Gewerkschaftsdachverbandes im Gebiet Irkutsk und einer der Anführer der Proteste.
„Transneft“ wollte es sich einfach machen und für den Pipeline-Bau die Infrastruktur der Baikal-Amur-Bahn nutzen, die sich am Nord-Rand des Sees durch bis zu 17 Kilometer lange Tunnel gräbt. „Transneft“-Chef Wajnstock hatte in den letzten Wochen immer wieder beteuert, die Pipeline durch die Berge weiter nördlich zu verlegen, sei wirtschaftlich „nicht machbar“. Das treibe die Kosten um 900 Millionen Dollar hoch und mache das 12-Milliarden-Dollar-Projekt „unwirtschaftlich“.
Doch in Tomsk, wo sich Putin zuvor mit Bundeskanzlerin Angela Merkel getroffen hatte, präsentierte sich der russische Präsident als oberster Umweltschützer seines Landes: „Wenn es auch nur eine geringfügige Wahrscheinlichkeit gibt, dass der Baikal verschmutzt wird, dann dürfen wir, wenn wir an die zukünftigen Generationen denken, diese Gefahr nicht minimieren, sondern müssen sie ausschließen.“ Die Symphatiewerte für den Kreml-Chef schnellten umgehend auf eine neue Rekordhöhe. Pipeline-Bauer Wajnstock fügte sich kleinlaut. „Ich bin Soldat, der Präsident ist der Oberkommandierende. Befehle werden nicht diskutiert.“
Bereits am vergangenen Freitag wurde im sibirischen Tajschet die erste Schweißnaht für die 4.000-Kilometer-Pipeline gelegt. Man begann mit dem Bau, obwohl das Strecken-Stück nördlich des Baikal noch neu vermessen werden muss. Trotzdem will „Transneft“ die Pipeline, wie geplant, bis Ende 2008 fertig haben. Die russischen Umweltschützer können es noch immer nicht ganz fassen, dass sie mit ihren Aktionen Erfolg hatten. Wenn die Entscheidung von Putin umgesetzt wird, sei das ein Beweis, dass es in Russland eben doch „so etwas wie eine Zivilgesellschaft gibt“, so Jewgeni Ussow, Vertreter von Greenpeace Russland.
Für Info-Kasten:
Der Baikal
Der Baikal-See speichert nicht nur ein Fünftel des weltweit vorhandenen Trinkwassers, er ist auch die Heimat vieler Tiere und Pflanzen, die man nur in dieser Region findet. Noch ist der stellenweise eineinhalb Kilometer tiefe See weitgehend unverschmutzt. 1996 wurde er auf Initiative der russischen Umweltschützer von der UNESCO zum Weltkulturerbe erklärte.
Umweltschutzorganisation „Baikal-Welle“
http://baikalwave.eu.org/Eng/index-e.html
Infostück-Pipeline:
Sibirisches Öl für China
Mit einer 4.200 km langen Ost-West-Pipeline sollen jährlich 80 Millionen Tonnen sibirisches Öl von Tajschet (Gebiet Irkutsk) bis nach Skoworodino (Grenzgebiet China) und weiter bis zum Pazifik-Hafen Nachodka gepumpt werden.
Über einen Abzweig von Skoworodino sollen jährlich 30 Mio. Tonnen Öl ins nordchinesische Dazin fließen.
Zum Vergleich: Deutschland importierte 2004 etwa 45 Millionen Tonnen Rohöl aus Russland.
Das Pipeline-Projekt nach China geht (...) auf einen Plan des vom Staat zerschlagenen Ölkonzerns Yukos zurück.
Die Pipeline nach China soll Ende 2008 fertig sein, das Streckenstück bis zum Stillen Ozean soll bis 2015 fertig sein.
Ende
Ulrich Heyden