Russland

Die Fernsehzuschauer werden gefoppt

Moskau (n-ost) – Die staatlichen russischen Fernsehkanäle werden „durch Anweisungen aus der Präsidialadministration gelenkt.“ Tabu-Themen „rühren sie nicht an“. Die staatlichen Kanäle „foppen die Fernsehzuschauer“. Der Mann der diese Sätze sagte, ist kein Dissident am Rande der Gesellschaft sondern, Wladimir Pozner (gesprochen Posner), einer der bekanntesten russischen Fernsehmoderatoren. Seine Talk-Show „Wremena“ („Zeiten“), startet jeden Sonntag um 18 Uhr und hat hohe Einschaltquoten.

Direkte Zensur gibt es in Russland nicht mehr, meint Pozner in einem Interview mit der „Nesawisimaja Gaseta“, dafür gäbe es Kontrolle und eine „kolossale Selbstzensur“ der Journalisten. Doch die Fernsehzuschauer seien misstrauisch geworden. „Sie merken dass da etwas nicht stimmt“.

Pozner hat alle Säuberungen der russischen Medien überstanden. Seine Kollegen vom ehemals kritischen Kanal NTW mussten sich neue Jobs suchen. Sie emigrierten nach Kiew, wie NTW-Talkmaster Sawik Schuster, oder gingen zu den Print-Medien, wie Leonid Parfjonow, der jetzt die russische Ausgabe des US-Magazins „Newsweek“ leitet.

Pozner ist kein scharfzüngiger Kritiker, eher ein ausgleichender Typ. Aber selbst mit dieser Haltung eckt der 72jährige im heutigen Russland an. Und er behauptet seine Position. Der Talk-Master mit dem gütigen Gesicht ist ein Mann von Welt, den man nicht so einfach zur Seite schiebt. Pozner lebte lange im Ausland und obwohl er den Einmarsch der sowjetischen Truppen in die Tschechoslowakei kritisierte, wurde er Sprecher im sowjetischen Auslandsfunk. In dem Zeitungs-Interview erläutert Pozner seinen journalistischen Ethos: Fernsehjournalisten sollen dem Zuschauer die Möglichkeit geben, sich über verschiedene Positionen zu informieren, damit sie sich „dann selbst ein Urteil bilden können.“ Jubel-Berichterstattung zugunsten der Macht ist seine Sache nicht.

Weltbürger Pozner

Vladimir Pozner kommt aus einer jüdischen Familie. Seine Eltern flohen nach der Oktoberrevolution aus der Sowjetunion nach Deutschland und nach dem Machtantritt von Hitler weiter nach Paris. Dort wurde Vladimir Pozner 1934 geboren. 1941 flüchtete die Familie in die USA. Bis zu seinem fünfzehnten Lebensjahr sprach Pozner nur französisch. Erst im Alter von 15 begann er Russisch zu lernen. Noch heute hat sein Russisch einen leichten Akzent. Nach dem Krieg siedelte Vladimir Pozner in die Sowjetunion über. Er wird Sprecher für die englischen Sendungen von „Radio Moskau“. Zu Zeiten von Gorbatschow´s Perestroika moderiert Pozner zusammen mit seinem amerikanischen Kollegen Phil Donahue per Satelliten-Brücke Talk-Shows, an denen sich Bürger der Sowjetunion als auch Amerikaner beteiligten. Seit 1994 ist Pozner Präsident der russischen Fernsehakademie.

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Ulrich Heyden


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