Russland

Gorbatschow steigt bei Kreml-kritischer Zeitung ein

Gorbi steigt bei Kreml-kritischer Zeitung ein.
Der moderate Putin-Kritiker will der wichtigsten Oppositionszeitung unter die Arme greifen.Moskau (n-ost) – Zu den wenigen in Russland noch verbliebenen kritischen Zeitungen gehört die „Novaja Gaseta“. Weil das Blatt es zunehmend schwer hat, sich gegenüber den anderen Medien, die mit staatlichen Geldern und Zuwendungen Kreml-naher Unternehmer finanziert werden, zu behaupten, holte man nun zwei private Investoren ins Boot. Für zwei Millionen Dollar kauften sich der moderate Putin-Kritiker Michail Gorbatschow sowie der mit dem Ex-Präsidenten befreundete Milliardär Aleksandr Lebedew bei dem Blatt ein.Der Banker, der seine Karriere Ende der 80er Jahre als zweiter Sekretär der sowjetischen Botschaft in Großbritannien begann und später die Nationale Reserve Bank leitete, übernahm 39 Prozent der Zeitungs-Aktien. 2003 wurde Lebedew für die linksnationale Partei „Heimat“ in die Duma gewählt, wechselte dann aber zur Kreml-nahen Partei „Einiges Russland“, die er häufig für ihren Präsidenten-freundlichen Kurs kritisierte. Gorbatschow kaufte „von seinem privaten Kapital“ - wie man in der Zeitung betont - zehn Prozent der Zeitungs-Aktien. Die Belegschaft - bisher Alleinbesitzer der Zeitung - behält ein Kontrollpaket von 51 Prozent.  Für das Blatt, das in Moskau mit einer Auflage von 170.000 Exemplaren erscheint, aber auf große Werbeaufträge verzichten muss, sind die neuen Finanziers eine wichtige Unterstützung. Der stellvertretende Chefredakteur Sergej Sokolow erklärte gegenüber dieser Zeitung, man werde die Qualität des Blatts verbessern und ab Anfang nächsten Jahres von der zwei- auf die dreiwöchentliche Erscheinungsweise umsteigen. Unablässige EnthüllerDas Kreml-kritische Blatt konzentriert sich in der Berichterstattung auf Themen, die vom staatlichen Fernsehen totgeschwiegen werden. Die Journalisten decken Korruptionsfälle auf, berichten über Soldatenschinderei und Menschenrechtsverletzungen in Tschetschenien. Zwei Journalisten, die an der Aufdeckung von Korruptionsfällen arbeiteten, mussten für ihre Arbeit mit dem Leben bezahlen. Der Journalist Igor Domnikow und der stellvertretende Chefredakteur Juri Tschekotschichin wurden bei Anschlägen getötet.
  
Gorbatschow ist für die Novaja Gaseta kein Unbekannter. Der ehemalige Präsident der Sowjetunion gab dem Blatt das Geld für die ersten Computer, berichtete der Stellvertretende Chefredakteur Sergej Sokolow. Gorbatschow sei ein Garant für „Glasnost“(Offenheit), einen Schlüsselbegriff aus der Perestroika-Zeit. Gorbatschow ist im Unterschied zu vielen Autoren der Novaja Gaseta in seiner Kritik an der Kreml-Politik immer moderat aufgetreten. Man könne nicht sagen, „dass es in Russland keine Pressefreiheit gibt“, erklärte Gorbatschow im Rahmen des internationalen Zeitungs-Kongresses, der Anfang Juni in Moskau stattfand. Die Situation vor 20 Jahren sei verglichen mit heute so unterschiedlich wie „Himmel und Erde“. Einen Rückfall in die Vergangenheit „wird es nicht geben.“ Gleichzeitig sieht der Ex-Präsident aber auch Gefahren. „Die Presse muss frei und verantwortungsvoll sein, aber wie ist das zu machen, wenn sie sich in den Händen von Oligarchen befindet oder unter Kontrolle des Staates steht?“, so Gorbatschow in einem Artikel für „Rossiskaja Gaseta“. Während es bei den Printmedien Pluralismus gäbe, klammere das Fernsehen „viele prinzipielle Fragen des Lebens“ aus. Chefredakteur Dmitri Muratow, der die Zeitung zusammen mit Kollegen vom Massenblatt „Komsomolskaja Prawda“ 1993 gründete, hat keine Sorgen, dass „Novaja Gaseta“ mit den neuen Eigentümern zahm wird. „Wir werden unsere Politik fortführen, die Hauptlinie sind  Enthüllungen. Wir wollen alles über die Korruption wissen.“ Die Mitarbeiter des Blattes „sagen, was sie denken“. Für Gorbatschow werde es da einige „Kopfschmerzen“ geben. Den neuen Eigentümer Lebedew lobte Muratow als „zivilisierten Unternehmer“, der in keinen einzigen Korruptionsfall verwickelt ist. Etwas anders sieht das Zeitungs-Mitarbeiter Wladimir Kara-Murza. Lebedew – so der Journalist - werde versuchen, die Zeitung auf die Linie der Kreml-nahen Partei „Einiges Russland“ zu bringen. Ob die Sorgen berechtigt sind, muss sich zeigen. Mit neuer finanzieller und politischer Unterstützung könnte die Novaja Gaseta eine wichtige Rolle im Duma- und Präsidentschaftswahlkampf spielen. Die russische Opposition ist heillos zersplittert, und die Zeitung sorgte für gemeinsame Diskussionen. In dem Kreml-kritischen Blatt kommt das ganze kritische Spektrum des Landes zu Wort, Menschenrechtler, Personen des öffentlichen Lebens, liberale und linke Kritiker des Kreml-Chefs. Dieser Pluralismus war bisher ein Markenzeichen des Blattes. Gorbatschow hat erklärt, man müsse ihn erhalten.
     
EndeName des Autors: Ulrich Heyden
 


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