Russland

Der geheimnisvolle Dritte

Wladimir Putin bringt einen neuen Kandidaten für seine Nachfolge ins SpielMoskau (n-ost) – Bei Personalentscheidungen liebt Ex-Geheimdienstmann Wladimir Putin die Überraschung: Vor drei Wochen hat Russlands Präsident, dessen zweite und letzte Amtszeit 2008 endet, völlig unerwartet das Personalkarussell im Kreml in Gang gesetzt und sich mit einer überraschenden Erklärung zu seiner eigenen Zukunft zu Wort gemeldet. Am Rande einer Konferenz in Shanghai erklärte Putin Ende letzter Woche, er wisse um die Umfragewerte – zwei Drittel der Russen befürworten eine Verfassungsänderung, die Putin eine dritte Kandidatur ermöglichen würde – aber er werde sich nicht noch einmal bewerben. Als Nachfolger, so der Kreml-Chef, werde er möglicherweise nicht einen seiner bisherigen Favoriten, sondern eine neue, bisher unbekannte Person, vorschlagen. Russlands Präsident Wladimir Putin, Foto: Robert TeschnerFür die Putin-Nachfolge sind bisher der stellvertretende Ministerpräsident Dmitri Medwedjew und Verteidigungsminister Sergej Iwanow im Gespräch. Beide werden im Staatsfernsehen auffällig häufig gezeigt. Der Kreml-Chef erklärte, der von ihm vorgeschlagene Kandidat werde „jemand sein, der nicht sehr bekannt ist ... nicht unbedingt eine der beiden Personen.“ „Völlig unbekannt“ sei dieser „dritte“ Kandidat jedoch nicht. Beobachter rechnen damit; dass Putin seinen Nachfolger im Herbst nächsten Jahres nennt. Im Dezember 2007 finden Parlamentswahlen, im März 2008 Präsidentschaftswahlen statt.
Trotz Putins Erklärung halten Beobachter es immer noch nicht für völlig ausgeschlossen, dass die Verfassung geändert wird und Putin doch noch ein drittes Mal kandidiert. Als Gegenkandidaten treten wahrscheinlich der Ex-Ministerpäsident und Liberale Michail Kasjanow, der Ultranationalist Wladimir Schirinowski sowie der Kommunist Gennadij Sjuganow an.Zuvor hatte Putin überraschend Generalstaatsanwalt Wladimir Ustinow entlassen. Dieser war seit 1999 im Amt und diente dem Kreml-Chef bei dem Aufbau seiner Machtvertikale - der Unterordnung der Regionen unter das Zentrum und der Entmachtung politisch unliebsamer Oligarchen - immer als verlässliche Stütze. Der 52-Jährige hatte sich für Putin politisch immer weit aus dem Fenster gelehnt, so etwa im Fall Chodorkowski. Putin versprach Ustinow einen neuen, „im Prinzip gleichwertigen“ Posten.
Moskauer Zeitungen vermuten nun, Putin versuche mit dieser Entlassung die Machtbalance der Kreml-Clans wieder herzustellen. Ustinow soll zu eng mit Igor Setschin - einem der drei mächtigen Männer in der Präsidialverwaltung – und dem Moskauer Bürgermeister Juri Luschkow gekungelt haben. Setschin gehört zu der Gruppe der „Silowiki“ (Mitarbeiter der Sicherheitsstrukturen) und konkurriert mit liberalen Mitarbeitern der Präsidialverwaltung.Auch Putins Vorschlag den bisherigen Justizminister Juri Tschaika (55) zum neuen Generalstaatsanwalt zu ernennen, kam unerwartet. Tschaika, der von 1995 bis 1999 stellvertretender Generalstaatsanwalt war und 1999 Justizminister wurde, gilt als Reformer. Er wird quer durch das politische Lager als guter Jurist geschätzt. Tschaika hat als einziges Regierungsmitglied gute Kontakte zu den Moskauer Menschenrechtlern.Schmuggel-Affäre kocht weiter Offizielle Vertreter der Regierung haben angekündigt, den Kampf gegen die Korruption zu einem Kernthema in den kommenden Wahlkämpfen zu machen. In russischen Zeitungen war die Vermutung geäußert worden, dass der Rücktritt von Generalstaatsanwalt Ustinow mit einem Verfahren gegen die Möbelimporteure „Tri Kita“ und „Grand“ zusammenhängt, die des großangelegten Möbel-Schmuggels verdächtigt werden. Ein entsprechendes Verfahren hatte Ustinow 2001 einschlafen lassen. Unmittelbar nach Ustinows Entlassung ist es wieder aufgenommen worden. Fünf Verdächtige, unter ihnen Sergej Sujew, der Besitzer der beiden Unternehmen, wurden verhaftet. Den Verdächtigen wird die Unterschlagung von Millionen Dollar Zollgebühren vorgeworfen. Putin hatte den Fall persönlich an sich gezogen und einen Staatsanwalt aus dem Gebiet Leningrad mit den Ermittlungen beauftragt. Damit wollte der Kreml-Chef eine Einflussnahme Moskauer Behörden bei den Untersuchungen vorbeugen, wie er in Shanghai erklärte.Die Schmuggel-Affäre war nach dem Machtantritt von Putin der erste Fall, bei dem die Interessen verschiedener Gruppen im Umkreis des Kreml kollidierten. Die sogenannten „Silowiki“ wollten die Leitung der Zollbehörde auswechseln. Diese wehrte sich, indem sie nachzuweisen versuchte, dass die „Silowiki“ selbst in den Schmuggel von Möbeln verwickelt sind.EndeUlrich Heyden


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