„Es wäre dumm, keine Angst zu haben“
Interview mit dem Ex-Schachweltmeister Garri Kasparow über seine Kritik an Putin Moskau (n-ost) – Ex-Schachweltmeister Garri Kasparow gilt in Russland als prominentester Kritiker des Systems Putin. Im Jahre 2004 gründete er das „Komitee 2008“, das eine dritte Amtszeit von Wladimir Putin verhindern will und sich für faire Wahlen einsetzt. Zuletzt engagierte sich Kasparow auch für die Freilassung des ehemaligen Yukos-Chefs Michail Chodorkowski. Anlässlich des G8-Gipfels an diesem Wochenende in St.Petersburg (15.-17.7.) hat Kasparow mit Menschenrechtsgruppen eine Gegenkonferenz in Moskau organisiert. Im Interview mit unserem Korrespondenten Ulrich Heyden erklärte Kasparow, warum Russland es nicht wert ist, G8-Mitglied zu sein.
Frage: Herr Kasparow, warum gehört Ihrer Meinung nach Russland nicht in den Club der acht wichtigsten Industrienationen? Kasparow: Die Mitgliedschaft Russlands diskreditiert die Idee der G 8 als Club der entwickelten Demokratien. Man muss aufhören so zu tun, als ob Russland ein Partner des Westens wäre. Russland kann kein Partner sein, weil wir eine korrumpierte Verwaltung haben. Unsere Führung hat eine andere Sicht auf die Weltordnung, als Deutschland, Frankreich und Amerika. Das sind nicht taktische Differenzen, sondern das ist die Sicht auf die Welt insgesamt.Garri Kasparow bei einer Diskussion in Moskau, Foto: Ulrich Heyden Frage: Beim G8-Gipfel in St. Petersburg wird es auch um das Thema Rohstoffe gehen. In Europa gibt es Ängste, Russland könnte seine Gasvorräte nutzen, um politische Forderungen durchzusetzen. Zu recht? Kasparow: Ich verstehe die Leute nicht, die meinen, man könne Russland nichts entgegensetzen. Die russische Macht kann dem Westen den Gasboykott erklären. Aber wohin wird es dann sein Gas exportieren? Außerdem haben die Personen, die das russische Gas verwalten, Konten bei westlichen Banken und Grundstücke im Westen. Wenn es den politischen Willen gäbe, würde sich die russische Macht ganz anders verhalten. Frage: Sie meinen, man müsste auf bestimmte Personen Druck ausüben? Kasparow: Natürlich. Auf bestimmte Leute. Ich glaube, dass das Geld nicht auf völlig legalem Wege in den Westen gelangt. Die ganze russische Macht ist daran beteiligt. Das Problem besteht darin, dass sich alle Naturressourcen Russlands im Besitz des jetzigen Regimes befinden. Die Beamten nutzen ihre Dienstposition aus. Da wird geschwindelt. Mir scheint, die wichtigste Frage ist die Liquidierung der staatlichen Korruption. Diese Korruption kann man heute schon als offiziell bezeichnen. Die Gas- und Ölkonzerne des Landes werden von den höchsten Beamten geleitet. Sie nutzen ihre Position für die Realisierung der eigenen Interessen. Frage: Der Kreml hat erklärt, er wolle in Zukunft verstärkt gegen die Korruption vorgehen. Kasparow: Die Macht ist selbst korrumpiert. Rohstoffunternehmen wie RosUkrEnergo und Rosneft werden von höchsten staatlichen Stellen geleitet. Es ist klar, dass das alles nur unter direkter Beteiligung von Putin möglich ist. Es gibt einen Clan, der die Naturressourcen des Landes parasitär für sich nutzt. Frage: Sie sind Mitorganisator der Konferenz „Das andere Russland“, einer Gegenveranstaltung zum G8-Gipfel, an der russische Menschenrechtsgruppen und Oppositionelle beteiligt sind. Gibt es Politiker aus dem Westen, die sie unterstützen? Kasparow: Aus den USA kommen zwei stellvertretende Außenminister. Der britische Botschafter in Moskau wird eine Rede halten. Der Co-Vorsitzende der deutschen Grünen, Reinhard Bütikofer, hat sich angemeldet. Deutschland und Frankreich haben ansonsten eine kühle Haltung zu der Konferenz. Das deutsche Außenministerium setzt die Politik von Schröder fort. Der deutsche Außenminister sagte in einem Interview mit der Zeitung „Kommersant“, dass Russland sich in die richtige Richtung entwickelt. Mit dieser Äußerung unterstützt er die Diktatur in Russland. Frage: Beteiligt sind an der Konferenz auch alle wichtigen Oppositionsparteien, darunter sogar die Kommunisten. Wie wollen sie mit denen zusammenarbeiten? Kasparow: Es geht darum, überhaupt erst einmal einen Dialog, eine neue politische Kultur und neue Prinzipien zu entwickeln, beispielsweise dass man keine Gewalt gegen politische Opponenten anwendet, dass man Zensur ablehnt und Wahlen anerkennt. Frage: Es gibt nicht viele in Russland, die das Regime Putin derart heftig kritisieren. Haben sie persönlich Angst in Russland zu leben? Kasparow: Es wäre dumm, keine Angst zu haben. Aber was soll ich tun? Man muss sich schützen, so weit es geht. Ich habe zwei Leibwächter. Zur Person Garri Kasparow wurde in Baku, der damaligen Hauptstadt der Sowjetrepublik Aserbaidschan als Sohn einer armenischen Mutter und eines deutschstämmigen Juden geboren. Die Eltern waren Ingenieure. In ihrer Freizeit spielten sie Schach. Kasparows Liebe zu dem Brettspiel begann im zarten Alter von fünf Jahren. 1975 gewann er die Schach-Meisterschaft in Aserbaidschan. 1985 wurde er Weltmeister. Den Titel behielt er bis 1993. Neben dem Schachspiel engagierte sich Kasparow immer auch politisch. 1984 trat er in die Kommunistische Partei ein, die er 1990 allerdings wieder verließ. Anfang der 90er Jahre – seine Familie war wegen antiarmenischer Pogrome in Baku inzwischen nach Moskau geflüchtet - war Kasparow einer der Mitbegründer der Demokratischen Partei Russlands. 1996 engagierte er sich für die Wiederwahl von Präsident Boris Jelzin. Im Jahre 2004 gründete Kasparow das „Komitee 2008“, welches eine dritte Amtszeit von Wladimir Putin verhindern will und sich für faire Wahlen einsetzt. Kasparow engagierte sich für die Freilassung des ehemaligen Yukos-Chefs Michail Chodorkowski. Der Ex-Schachweltmeister bezeichnete die Verurteilung des Yukos-Chefs als Präzedenzfall, mit dem der Kreml seine Macht gegenüber ehrlichen Unternehmern und Demokraten demonstriert.
EndeUlrich Heyden