„Das andere Russland“
In Moskau scharen sich die Gegner Putins um Schachweltmeister Kasparow Moskau (n-ost) – Vor dem Hotel Renaissance im Stadtzentrum von Moskau wehten rote Fahnen mit einem weißen Kreuz. Es waren nicht Fahnen der Schweiz, sondern Fahnen der Kreml-treuen Jugendorganisationen „Naschi“ („Die unseren“). Die jungen Leute hatten große Plakatwände aufgebaut auf denen sie die russischen Menschrechtler, Demokraten und Linken, welche die Konferenz „Das andere Russland“ organisierten als „Faschisten“, „Feinde von Familie und Staat“ und „korrupte Oligarchen“ anprangerten. Putins Berater Igor Schuwalow hatte gegenüber der Financial Times die Sprachregelung vorgegeben. Wenn ausländische Politiker und Diplomanten an der Konferenz teilnehmen, würde man dies als „unfreundlichen Akt“ sehen. Die 300 Teilnehmer im Saal absolvierten ein straffes Programm mit Vorträgen, unterbrochen von Statements ausländischer Politiker. Als Gäste waren der Russland-Beauftragte der deutschen Bundesregierung, Andreas Schockenhoff, der Co-Vorsitzende der deutschen Grünen, Reinhard Bütikofer und der stellvertretende US-Außenminister Daniel Fried gekommen. Fried erklärte gegenüber dieser Zeitung, er sehe in seiner Anwesenheit keinen unfreundlichen Akt. Schließlich habe man auch „sehr gute Beziehungen zur russischen Regierung“.Die international bekannte Buchautorin und Tschetschenien-Expertin Anna Politkowskaja schilderte die fortgesetzte Verletzung von Menschenrechten in Tschetschenien, Putins ehemaliger Wirtschaftsberater Andrej Illarionow sprach über die Bevorzugung staatlicher Unternehmen gegenüber Privaten, die ehemalige Präsidentschaftskandidatin Irina Chakamada forderte die Ausarbeitung eines alternativen Regierungsprogramms. Die Konferenz war bunt gemischt. Zu den Teilnehmern gehörte Michail Kasjanow (bis zu seiner Absetzung als Ministerpräsident im Februar 2004 noch Nummer zwei im russischen Machtgefüge) aber auch Alt-Stalinisten wie Viktor Anpilow und der hochumstrittene Buchautor Vorsitzende der Nationalbolschewistischen Partei (NBP) Eduard Limonow. Vor den Kameras zeigten sich Linomow und Konferenz-Organisator und Ex-Schachweltmeister Garri Kasparow freundlich vereint. Ein für Insider zumindest seltsames Bild, denn Anhänger von Limonows Partei, die sich eine krude Mischung aus nationalsozialistischen und kommunistischen Elementen auf die Fahnen geschrieben hat, greifen gelegentlich auf offenen Antisemitismus zurück. Andererseits machten Mitglieder der Nationalbolschewisten in den vergangenen Jahren auch mit Besetzungs-Aktionen, bei denen sie gegen die Abschaffung sozialer Vergünstigungen und gegen Wahlfälschungen protestierten, Schlagzeilen.
Kasparow ging es offenbar darum, in seine Konferenz möglichst alle Strömungen einzubinden, die in Opposition zum System Putin stehen. 20 Personen, die auf dem Weg nach Moskau waren, seien von russischen Sicherheitskräften unter fadenscheinigen Gründen aus Zügen und Flugzeugen geholt worden, berichtete Kasparow der Presse. Einige Stunden nach Konferenzbeginn wurden im Hotel-Foyer vier Mitglieder von Limonows Partei von Zivilpolizisten verhaftet. Zwei von ihnen werden wegen „Rowdytums“ angeklagt. Als „Focus“-Korrespondent Boris Reitschuster das Gerangel mit seinem Handy filmte, wurde ihm das Gerät von einem Mann in Zivil entwendet. Später wurde ihm das Handy – ohne die Bilder – von einem Mann, der sich nicht vorstellen wollte, zurückgegeben. Am zweiten Konferenztag kam es zu einem erneuten Zwischenfall. Sergej Glasjew, der Wirtschaftsexperte der Duma-Fraktion „Heimat“ wurde vor dem Eintreffen auf der Konferenz von Unbekannten auf den Kopf geschlagen. Er musste sich wegen Verdacht auf Gehirnerschütterung in ärztliche Behandlung begeben.Etwas Glanz verlor die Konferenz dadurch, dass die Führer von drei wichtigen Oppositionsparteien, um deren Teilnahme die Organisatoren gerungen hatten, nicht erschienen waren. Weder Nikita Belych, Vorsitzender der „Union der rechten Kräfte“, noch Grigorij Jawlinski (Partei „Jabloko“) noch der Kommunist Gennadij Selesnjow (KPRF) waren gekommen. Konferenz-Organisator Kasparow meinte die Nichterschienenen seien auf Schmusekurs mit dem Kreml.In St. Petersburg, wo vom 15. bis zum 17. Juli die G8 tagt, herrscht unter Gipfel-Kritikern ebenfalls eine gespannte Stimmung. Der Grund: Zwei Deutsche und ein Schweizer aus dem Spektrum der Globalisierungskritiker wurden verhaftet. Bei den beiden Deutschen handelt es sich um die Bielefelder Studenten Henning Wallerius und Eike Korfhage. Die beiden Studenten waren in einer Fahrradkarawane von Berlin über das Baltikum bis an die Newa geradelt. Am Dienstag wurden die beiden Deutschen wegen „öffentlichem Urinieren“ zu jeweils zehn Tagen Haft verurteilt. Die Zeitung „Kommersant“ berichtete bereits letzte Woche, dass Globalisierungskritiker, die an dem heute (13.7.) beginnenden „2. Russischen Sozialforum“ teilnehmen wollten, auf dem Weg nach St. Petersburg aus den Zügen geholt wurden. Mehreren Personen seien die Pässe abgenommen worden, um sie an der Weiterfahrt zu hindern. Die für Sonnabend geplante Demonstration der Globalisierungskritiker in St. Petersburg wurde bisher nicht genehmigt.EndeUlrich Heyden