Russland

Hilflos gegen die Mafia

Trotz „Machtvertikale“ bekommt Wladimir Putin das Problem Mafia nicht in den Griff

Moskau (n-ost) –  Ein dunkler Parkplatz im Nordosten Moskaus - das war der Ort, an dem der stellvertretende Zentralbankchef Andrej Koslow am Mittwochabend vergangener Woche von zwei Killern erschossen wurde. Prompt fühlte sich die russische Öffentlichkeit in die 90er Jahre zurück versetzt. Damals verging keine Woche ohne Auftragsmord. Dass der Mord mit Koslows hartem Kurs gegenüber Geldwäschern zu tun hatte, daran zweifelt in Moskau niemand. Erst vor kurzem hatte Koslow erklärt, dass es mit dem Entzug von Lizenzen „wahrscheinlich in diesem Tempo weiter gehen wird.“ Andreas Schwung, Chef der Commerzbank-Eurasija, einem Moskauer Tochterunternehmen der Commerzbank AG, erklärte gegenüber dieser Zeitung, er habe mit Koslow mehrmals persönlich zu tun gehabt. „Er stand für die Bankreform. Das hat man ihm auch persönlich abgenommen.“ Koslow „machte einer bestimmten Sorte von Finanzinstituten Probleme“, erklärte der frühere Zentralbankchef Viktor Geraschenko. Seit 2004 entzog Koslow, der für die Bankaufsicht zuständig war, über Hundert Banken die Lizenz, weil sie in Geldwäsche und „graue Importe“ verwickelt waren. Bei den „grauen Importen“ ging es um Bank-Operationen in einer Gesamthöhe von 16,2 Mrd. Dollar. Um die Zollgebühren zu senken, wurden Import-Papiere gefälscht. In den Papieren wurden billigere Waren oder Beratungsdienstleistungen angegeben. Da den Exporteuren im Ausland der reale Warenwert gezahlt werden muss, stellten die Banken fiktive Zahlungsbescheinigungen an Händler in Drittländern - meist GUS-Staaten - aus.
Flucht nach vornDer Kreml-Chef setzt nun alles daran, den durch den Mord an Koslow entstandenen Image-Verlust für Russland einzudämmen. Denn schon mehrmals hatten hohe Beamte vor einem Wiedererstarken der russischen Mafia gewarnt. Ex-Staatsanwalt Wladimir Ustinow und Innenminister Raschid Nurgalijew erklärten in diesem Jahr, das organisierte Verbrechen und die Korruption hätten Ausmaße erreicht, welche „die nationale Sicherheit bedrohen“. Doch der russische Staat scheint trotz Putins in den letzten Jahren aufgebauten „Machtvertikale“ immer noch hilflos gegenüber der Mafia.Der Mord sei „das Ergebnis der Verschärfung der Situation im Kampf mit dem Verbrechen in der Wirtschaft“, erklärte Wladimir Putin. Viele „problematische Banken“ gebe es, so Putin, deren Dienstleistungen „für kriminelle Ziele“ genutzt würden. Jeden Monat würden „Milliarden Dollar“ gewaschen und „riesige finanzielle Ressourcen“ ins Ausland gebracht. Mit dem gewaschenen Geld würden nicht nur Beamte bestochen, sondern auch „terroristische Aktivitäten“ und die Drogenmafia finanziert.
 
Der Kreml-Chef forderte eine Neufassung der „normativ-rechtlichen Basis für die Arbeit der Banken mit ihren Klienten“. Korruption auf Schritt und TrittGlaubt man Jelena Panfilowa, Direktorin des russischen Zentrums von „Transparency International“, so wäre das eine Maßnahme, die keinesfalls genügte. Gegenüber dem Fernsehkanal ORT erklärte sie, es gäbe „keinen Lebensbereich ohne Korruption. Unsere Untersuchung vom Dezember zeigte, dass die Bürger die Korruption überall sehen, in der Verwaltung, im Parlament, in den politischen Parteien, im Gesundheitswesen, in der kommunalen Versorgung.“ Es sind oft die kleine Dinge, mit denen Korruption beginnt. Wer ohne in der Schlange zu stehen zu einem Arzt in seiner Poliklinik will, zahlt in Moskau 500 Rubel (15 Euro). Wer gut von einem Arzt behandelt werden will, zahlt ein Mehrfaches dieser Summe. Wer mit dem Auto von der Polizei wegen der Verletzung der Verkehrsregeln angehalten wird, ohne registriert zu werden, zahlt 200 Rubel. Wer betrunken am Steuer sitzt, kann sich mit 300 Dollar freikaufen.Bei einer Umfrage des Instituts für öffentliche Meinung gaben 28 Prozent der Befragten zu, in den letzten zwei Jahren Bestechungsgelder an Beamte gezahlt zu haben. 60 Prozent sind der Meinung, dass sich die Korruption in den letzten zwei Jahren verstärkt hat. Am meisten korrumpiert sind nach Meinung der Bürger die Polizei, der Zoll und andere Sicherheitsorgane. Enge Verbindung von Mafia und Business„Bei uns gibt es praktisch eine Clan-Wirtschaft“, meint Wladimir Pribylowski, Präsident des Analyse-Zentrums „Panorama“. „Es gibt keine rein kommerziellen und keine reinen Mafia-Gruppen. Es gibt nur administrativ-ökonomische Clans.“ Die hohen Staatsbeamten seien über ihre Ehefrauen und Kinder auch „Businessmeni“. Der Moskauer Bürgermeister Juri Luschkow habe selbst kein Vermögen. „Offiziell hat er nur eine Garage. Alles andere gehört der Frau und den drei Kindern.“ Und Luschkows Ehefrau, Jelena Baturina, ist die reichste Frau Russlands.Zu Sowjetzeiten gab es die enge Verwobenheit von Mafia und Business in dieser Form noch nicht. Zu den Hochburgen der Mafia zählten damals Gastronomie, Glücksspiel, Prostitution, Valuta- und Drogenhandel. Inzwischen sind die Kriminellen in alle Wirtschaftsbereiche eingedrungen. Die Zahl der Auftragsmorde ist konstant hoch. Nach Angaben des Innenministeriums wurden im letzten Jahr 62 Auftragsmorde verübt. Nach anderen Meldungen aus Sicherheitskreisen liegt die Zahl bei 800. Ein Killer tritt schon für 300 Dollar in Aktion. Die Hintermänner locken die Auftragsmörder mit dem Hinweis, das Opfer habe viel Geld bei sich. Dieses Geld gilt dann als das zweite Teil des „Honorars“. Seit Mitte der 90er Jahre strebten kriminelle Autoritäten in regionale Parlamente und versuchten ihr illegal erworbenes Geld zu legalisieren, indem sie Firmen aufbauten oder sich in der Industrie einkauften. Was Gesetz ist und Kriminalität, ist so kaum noch zu unterscheiden. Nach einem Bericht des russischen Innenministeriums gibt es in Russland heute 100 kriminelle Gruppen mit 4.000 Mitgliedern sowie 200 „Wory w sakonje“ (Diebe, die sich an das Diebesgesetz halten). Die „Wory w sakonje“ sind die „Ideologen“ der kriminellen Gruppen. Bei Streitigkeiten zwischen einzelnen Banden treten sie auch als Schiedsrichter auf. Dem Innenministerium zufolge leben die meisten „Wory w sakonje“ in Zentralrussland, in den Gebieten Moskau, St. Petersbug und Twer sowie in den südrussischen Gebieten Krasnodar und Stawropol. Das organisierte Verbrechen sei inzwischen weltweit aktiv. Die russische Unterwelt habe Kontakte in 40 Länder. „Säuberungsaktionen“ mit MedienunterstützungEin erschreckender Befund, den der Kreml mit medial unterstützten „Säuberungsaktionen“ abzumildern versuchte. Im Juni 2003 wurden sieben hohe Beamte der Moskauer Kriminalpolizei und des Notstandsministeriums verhaftet. Die „Oborotnej-Bande“ hatte mit Schutzgeld-Erpressung, Betrug und Mord ein Vermögen erwirtschaftet. Die Einkünfte wurden in großzügige Datschen im Moskauer Umland und Gründstücke im Ausland angelegt. Allein in den Banksafes der Bande stellte man drei Millionen Dollar sicher. Unter dem „Kryscha“ - dem „Dach“ - der Gruppe befanden sich zwei Kasinos, drei Restaurants, zwei Einkaufszentren und eine Geschäftsbank. Von ihren „Objekten“ kassierte die Organisation Schutzgelder. Anfang September wurden die sieben „Oborotnej“ zu Haftstrafen von bis zu 20 Jahren verurteilt.Putin zeigt sich neuerdings auch gerne selbst als Kämpfer gegen die Korruption. Diesen Kampf werde man „nie beenden“, erklärte der Kreml-Chef am 13. September. Es war zufällig der Tag, an dem Zentralbankchef Koslow erschossen wurde.  
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