Russland

Der letzte Artikel von Politkowskaja

In ihrem letzten, jetzt veröffentlichten Artikel schildert Anna Politkowskaja grausame Folter-Fälle in Tschetschenien

Moskau (n-ost) – „Auf meinem Arbeitstisch liegen zwei Fotografien. Es geht um Quälereien in den Folterhöhlen von Kadyrow“. Ramsan Kadyrow ist der von Moskau eingesetzte tschetschenische Ministerpräsident. Zwei Tage nachdem Anna Politkowskaja im russischen Dienst von „Radio Liberty“ über ihre neuesten Ermittlungen berichtete, wurde die Journalistin am vergangenen Samstag von einem Killer erschossen. In dem Live-Interview, das am 30. Geburtstag von Kadyrow gesendet wurde, bezeichnet Politkowskaja den tschetschenischen Ministerpräsidenten als „bis an die Zähne bewaffneten Feigling“. Und sie erklärt, sie hoffe, dass er irgendwann „auf der Anklagebank“ sitzt.Am Donnerstag, fünf Tage nach dem Tod der Journalistin, veröffentlichte die „Nowaja Gazeta“ den Artikel, von dem die Journalistin in ihrem Radiointerview sprach. Mit dem unvollendeten Text und vier Photos werden grausame Foltermethoden von Mitarbeitern der pro-russischen tschetschenischen Sicherheitsorgane gegen Tschetschenen dokumentiert.

Erschütternde Dokumente

„Warum schreibe ich „Terrorismus“ in Anführungszeichen?“, fragt Politkowskaja in ihrem letzten Text. „Weil der Großteil dieser Leute zu Terroristen ernannt wird.“ Die „Ernennung von Terroristen“ schaffe „von selbst Rächer, potenzielle Terroristen.“ Die Journalistin zitiert aus dem Brief der Mutter eines Inhaftierten, der die Straflager in Tschetschenien als „Konzentrationslager“ bezeichnet. Politkowskaja schreibt, sie habe Angst vor dem Hass, der durch die brutale Folter auf tschetschenischer Seite entsteht. „Er überschreitet alle Grenzen.“In ihrem letzten Text zitiert Politkowskaja auch aus dem Brief eines tschetschenischen Untersuchungshäftlings, der von der Ukraine ausgeliefert worden war und jetzt im Untersuchungsgefängnis von Grosny sitzt. Der Mann mit dem Namen Beslan Gadajew hatte einen Raubüberfall auf tschetschenische Polizisten gestanden. Im Gefängnis versuchten Mitarbeiter der tschetschenischen Sicherheitsstrukturen durch Folter weitere Geständnisse zu erzwingen. Der Mann wurde an Händen und Füßen hängend an eine Stange gebunden, geschlagen und mit Elektroschocks gequält. Über den Kopf hatte man ihm eine schwarze Tüte gestülpt. Das Kreml-kritische Moskauer Blatt veröffentlichte auch vier Photos von Männern, die offenbar von Mitarbeitern tschetschenischer Sicherheitsorgane gefoltert wurden. Die Fotos stammen von einem Video, das die Folterer selbst aufgenommen hatten und das in den Besitz der Journalistin gelangte. Die Männer haben Folterspuren im Gesicht und auf dem Körper. Die Zeitung schreibt: „Einer der Gefangenen sitzt in einem Auto. Ein Messer steckt im Bereich des Ohrs.“ Ein anderer liegt auf dem Asphalt. Die Zeitung veröffentlichte auch den Dialog der Folterer, die selbst nicht zu sehen sind. „Putin hat gesagt: Guckt - sagte er - von allen Seiten.“ Andere Stimme: „Esel, Kinderschänder. Guck wie schön er ist.“ Andere Stimme: „Atme Bruder, atme. Zum Segen Gottes, sage ich Dir.“

Kein Kreml-Vertreter auf der Beerdigung

Die Aktionäre der „Nowaja Gazeta“ – zu ihnen gehören Michail Gorbatschow und der Duma-Abgeordnete und Bankier Alexander Lebedew – haben 25 Millionen Rubel (740.000 Euro) Belohnung ausgesetzt, um die Mörder Politkowskajas und deren Auftraggeber zu finden.
Dmitri Muratow, Chefredakteur der „Nowaja Gazeta“, erklärte der Nachrichtenagentur Interfax, die Redaktion habe bereits „bestimmte Materialien“ zum Mord gesammelt. Diese könnten aber noch nicht veröffentlicht werden. Die Redaktion arbeite eng mit den ermittelnden Staatsanwälten zusammen. Man habe den Ermittlern ein extra Zimmer in der Redaktion zur Verfügung gestellt, wo Zeugenaussagen aufgenommen und Informationen gesammelt werden. Wladimir Putin hatte in Dresden die Aufklärung des Mordes versprochen. Doch Beobachter in Moskau sind skeptisch, denn die meisten Morde an Journalisten in Russland wurden bisher nicht aufgeklärt. Nachdenklich stimmt auch, dass zu der Beerdigung von Politkowskaja zwar zahlreiche ausländische Botschafter aber kein ranghoher Vertreter des Kreml oder der russischen Regierung erschienen war. Nur ein stellvertretender Kulturminister war gekommen. Unmittelbar nach dem Mord hatte die Redaktion der „Nowaja Gazeta“ in einer Erklärung zwei mögliche Mordversionen genannt. Entweder sei es Rache des tschetschenischen Ministerpräsidenten Ramsan Kadyrow gewesen oder „Jemand“ wollte auf den tschetschenischen Ministerpräsidenten einen Schatten werfen, um zu verhindern, dass Kadyrow Präsident Tschetscheniens. Der tschetschenische Ministerpräsident soll Mitarbeiter des russischen Geheimdienstes aus der Kaukasusrepublik verdrängt haben. Kadyrow erklärte am Mittwoch gegenüber dem russischen Fernsehkanal NTW, die Arbeit von Politkowskaja habe ihn „nicht gestört“, sie habe sich auch nicht auf seine Arbeit ausgewirkt. Er hätte keinen Grund gehabt die Journalistin zu verfolgen. Außerdem würde er niemals mit einer Frau abrechnen.

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