Kalter Wind für NGOs
Fast hundert Nichtregierungsorganisationen in Russland müssen ihre Arbeit vorläufig einstellen.Moskau (n-ost) – Am Mittwochnachmittag erreichte Dr. Matthes Buhbe, Vertreter der Friedrich-Ebert-Stiftung in Moskau, ein erlösender Anruf. Die Registrierungsbehörde für Nichtregierungsorganisationen (NGO) hatte den Antrag der Stiftung für eine Weiterarbeit in der Russischen Föderation positiv beschieden. Buhbe war gerade auf dem Weg zum Flughafen. Er hätte eigentlich ausreisen müssen, denn sein Visum lief aus. Nun erklärte ihm ein russischer Beamter überraschend, er könne im Land bleiben. Der Antrag der Stiftung werde genehmigt. Am Mittwoch um 24 Uhr lief die Frist für die Registrierung der rund 200 ausländischen NGOs ab. Die Organisationen mussten sich nach einem Ende letzten Jahres beschlossenen Gesetz neu registrieren lassen. Ein ganzer Berg von Antragspapieren und Dokumenten war so zu bearbeiten, ins Russische zu übersetzen und notariell zu beglaubigen. Prophylaxe gegen den orangenen Virus Wladimir Putin hatte erklärt, dass die Finanzierung politischer Aktivitäten durch ausländische Organisationen beendet werden müsse. Der Kreml sieht in den ausländischen NGOs potenzielle Förderer einer orangenen Revolution. Da Russland von solch einer Revolution weit entfernt ist, hat das Gesetz rein prophylaktischen Charakter. Hart traf es Falk Bomsdorf, den Vertreter der liberalen Friedrich-Naumann-Stiftung. Der Anruf eines russischen Beamten, die Naumann-Stiftung würde nun doch registriert, erreichte Bomsdorf am Mittwoch erst, als er bereits ausgereist war. Auch der Antrag der Rosa-Luxemburg-Stiftung wurde nicht rechtzeitig bearbeitet.Dass die Registrierungsbehörde mit ihrer Zusage praktisch bis auf die letzte Minute wartete, mache ihn „ein bisschen nervös“, erklärte Buhbe gegenüber dieser Zeitung. Die Friedrich-Ebert-Stiftung hatte ihren ins Russische übersetzten und notariell beglaubigten Antrag bereits am 20. September eingereicht. Am Mittwochvormittag war Buhbe noch in der offiziellen Sprechstunde der Registrierungsbehörde. „Da hieß es, es ist noch nicht so weit, wir sollten auf einen Telefonanruf warten.“ Ein „bisschen sonderbar“ sei das Ganze schon, meint Buhbe, „denn wir wurden am Dienstag bereits als registrierte Stiftung in der Iswestija prominent aufgeführt.“Monatelanger PapierkriegAm Donnerstag lief die Frist für die Neuregistrierung ab. Wie die Nachrichtenagentur Itar- Tass mitteilte, wurden 113 Organisationen registriert. 88 Organisationen müssen bis zur endgültigen Überprüfung der Anträge ihre Arbeit einstellen. „Wir arbeiten zurzeit mit den Dokumenten der Organisationen, die noch nicht registriert wurden. Ich glaube aber, es wird bei ihnen keine Probleme geben“, beruhigte Anatolij Pantschenko, ein für die Registrierung zuständiger Beamter.Zu den Nichtzugelassenen gehören so namhafte Organisationen wie Amnesty International, Human Rights Watch sowie einige Unterabteilungen von „Ärzte ohne Grenzen“. Alle drei Organisationen waren in den vergangenen Jahren in Tschetschenien aktiv.Auf die NGOs kommt nach dem neuen Gesetz ein immenser bürokratischer Aufwand zu. Jede Organisation muss einen Jahresplan vorlegen. Abweichungen vom Plan können mit Verwarnungen bestraft werden. Alle drei Monate muss ein Finanzbericht vorgelegt werden. Der Kreml beruft sich gerne darauf, dass es ähnliche Regelungen für ausländische Organisationen auch in anderen Ländern gibt.Die Umweltorganisation World Wide Fund versuchte die Schwierigkeiten galant zu umgehen. Man löste die Organisation auf und gründete gleich anschließend eine neue mit ausschließlich russischen Gründungsmitgliedern. Der Aufwand war gewaltig, wie Jekaterina Paul gegenüber der Internetzeitung aktuell.ru berichtete. „Mitarbeiter, Bankkonten, unser gesamtes Eigentum mussten von der alten auf die neue Organisation umgeschrieben werden.“Für die Nichtregierungsorganisationen hat ein neues Zeitalter begonnen. Sie müssen nun einen großen Teil ihrer Arbeitszeit für die Erstellung von Anträgen und Arbeitsplänen aufwenden. Ende