Medien unter Druck
Durch den Mord an Anna Politkowskaja haben sich Angst und Anpassungsdruck in Russland erhöht.Moskau (n-ost) – „Damit der Name Anna Politkowskaja im landesweiten Fernsehen auftaucht, musste man sie töten“, so die nüchterne Analyse in der „Nowaja Gaseta“, jener Zeitung, für die die Ermordete ihre mutigen Reportagen aus Tschetschenien lieferte. Die staatlichen Fernsehsender hatten die kritische Journalistin, die schonungslos über Folter, Korruption und Amtsmissbrauch berichtete, jahrelang aus der Berichterstattung verbannt. Das letzte Mal war das Gesicht von Anna Politkowskaja im Oktober 2002 auf den Fernseh-Bildschirmen aufgetaucht. Während der Geiselnahme im Moskauer „Nord-Ost“-Musical-Theater hatte sie zu vermitteln versucht und den Geiseln, die von tschetschenischen Terroristen gefangen gehalten wurden, Wasser gebracht.Anfang der Woche teilten Mitarbeiter der „Nowaja Gaseta“ mit, die Staatsanwaltschaft habe in dem Mordfall Politkowskaja ein Strafverfahren eingeleitet. Grundlage für das Verfahren sei ein Videoband, das Politkowskaja kurz vor ihrer Ermordung zugespielt worden sei. Auf dem Band sei zu sehen, wie zwei junge Männer offenbar durch Mitglieder der Moskau-treuen tschetschenischen Sicherheitsorgane misshandelt werden. Angeblich zeigt das Band auch den tschetschenischen Ministerpräsidenten Ramsan Kadyrow. Gegen wen genau ermittelt wird, wurde nicht mitgeteilt.
Zeitung ermittelt selbstDie Redaktion der „Nowaja Gaseta“ hat unterdessen auch mit eigenen Ermittlungen begonnen - die Hoffnung darauf, dass die Staatsanwaltschaft die Mörder und ihre Auftraggeber findet, sind äußerst gering. Von den zahlreichen Journalistenmorden – teilweise auch spektakuläre Fälle aus der Jelzin-Ära – sind bis heute nur wenige aufgeklärt. Mit 43 Journalistenmorden seit 1991 liegt Russland weltweit mit an der Spitze.Größerer Einfluss als behauptetDie Journalistin Anna Politkowskaja war weit über das kleine demokratische Spektrum im Land bekannt und geachtet. Selbst Bürger, die noch nie etwas von der Journalistin gelesen hatten oder ihr nicht in Allem folgten, waren erschüttert. Denn der Mord am helllichten Tag im Zentrum von Moskau zeigte erneut, wie wenig ein Menschenleben in Russland zählt.
Dass der Einfluss der Tschetschenien-Reporterin größer war als von Putin behauptet, zeigt auch die Fernsehberichterstattung nach ihrem Tod. Für drei Tage wurde die Nachrichtensperre über Politkowskaja aufgehoben. Nachrichtensprecher und Moderatoren sprachen mit anerkennenden Worten von der „mutigen Journalistin“.
„Vor Wahlen wird aufgekauft“Seit dem Machtantritt von Wladimir Putin befindet sich die Medienlandschaft in Russland unter extremen Druck. Alle kritischen Fernsehkanäle – am bekanntesten wurde der Fall „NTW“ im Jahre 2001 - und viele kritische Zeitungen wurden geschlossen und von Kreml-nahen Unternehmen übernommen. Vor den anstehenden Wahlen -im Dezember 2007 wird das Parlament, im März 2008 der Präsident gewählt- nimmt der Druck auf die Medien noch einmal zu. Kritische Zeitungen wie die „Iswestija“, die „Nesawissimaja Gaseta“ und „Moskowski Nowosti“ wurden durch Gasprom oder Kreml-loyale Unternehmer aufgekauft und verloren ihren Biss. Der Holländer Derk Sauer, der 1992 das Verlagshaus „Independent Media“ gründete, sieht in dem Übernahme-Karussel eine Gesetzmäßigkeit. In einem Interview mit der „Nowaja Gaseta“ erklärte er: „Ich sehe immer diesen Zyklus. Bis zu den Wahlen wird gekauft. Nach den Wahlen verkauft.“ Bisheriger Höhepunkt der Übernahme-Welle ist der Eigentümerwechsel bei dem wirtschaftsliberalen Blatt „Kommersant“, das durch seine kritischen und faktenreichen Berichte zu hohem Ansehen gelangte. Anfang September wurde die Zeitung – sie hat eine Auflage von 115.000 Exemplaren – von dem Metallurgie-Unternehmer Alischer Usmanow für 300 Mio. Dollar gekauft. „Kommersant“ gehörte seit 1999 dem nach England geflüchteten Oligarchen Boris Beresowski. Bevor das Blatt von Milliardär Usmanow aufgekauft wurde, war es kurze Zeit im Besitz des Beresowski-Vertrauten Badri Patarkatsischwili, einem georgischen Geschäftsmann. Medienberichten zufolge hat der neue „Kommersant“-Eigentümer ein enges Verhältnis zu dem stellvertretenden Ministerpräsidenten und Leiter des Gasprom-Aufsichtsrates, Dmitri Medwedjew. Dieser gilt als einer der möglichen Nachfolger von Putin. Alischer Usmanow gehört außerdem die Gasprom-Tochter „Gasprominvestholding“. Dürres politisches LebenBeobachter halten es auch für möglich, dass Alischer Usmanow das Blatt weiter verkauft. Alexej Simonow, Leiter der „Glasnost“-Stiftung, welche die Medien in Russland beobachtet, glaubt, dass sich der „Kommersant“ „nicht über Nacht“ ändere. Die Zeitung werde ihre ironische und unabhängige Sichtweise verlieren, erklärte Simonow gegenüber der „Moscow Times“. „Die Transformation, wird allerdings schrittweise erfolgen und dem täglichen Zeitungsleser nicht auffallen.“Waleri Panjuschkin zog bereits die Konsequenzen. Er werde von nun an keine Kolumnen mehr schreiben, erklärte der „Kommersant“-Kolumnist. „Von Jahr zu Jahr fällt es mir schwerer zu schreiben“, erklärte er den Lesern in einer Abschieds-Kolumne. Der Grund: In Russland gebe es „einen Mangel an Politik“. ENDE
INFO-KASTENFernsehkanäle
Die landesweiten Fernsehkanäle (ORT, RTR, NTW, Ren TV) gehören bis auf eine Ausnahme dem Staat. Nur bei dem kleinen Fernsehsender Ren TV (Miteigentümer ist u.a. RTL) kommt auch die russische Opposition zu Wort. Mit Unterstützung des St. Petersburger Geschäftsmannes Juri Kowaltschuk – ein Freund des Kreml-Chefs - will nun auch der St. Petersburger „5. Kanal“ landesweit senden. Ein Ziel des Senders sei es, so die Vorsitzende des Direktorenrates, Alla Manilowa in einem Zeitungs-Interview, die Zuschauer des „frühen NTW“, „die in das Internet abgewandert sind“, zurückzugewinnen.
Gasprom-Media
Der halbstaatliche Gasprom-Konzern hat sich mit seiner Tochter Gasprom-Media ein festes Standbein in der Medienlandschaft aufgebaut. Zu Russlands größter Medienholding gehören die Fernsehsender NTW, TNT und der Satellitensender NTWPlus sowie fünf Radiosender, u.a. „Radio Echo Moskwy“, das seinen Kreml-kritischen Kurs mit Mühe verteidigt. Zu Gasprom-Media gehört auch die „Iswestija“ (Auflage 200.000 Exemplare), das politische Wochenmagazin „Itogi“ sowie die mit 310.000 Exemplaren auflagenstärkste Boulevardzeitung „Komsomolksaja Prawda“. „Nowaja Gaseta“
Das zweimal in der Woche erscheinende Kreml-kritische Blatt musste wegen finanzieller Schwierigkeiten 49 Prozent seiner Anteile an Michail Gorbatschow und den Milliardär Alexander Lebedew verkaufen. Die Zeitung erscheint mit einer Auflage von 100.000 Exemplaren.Springer-Verlag
Der deutsche Verlag gibt in Russland die Magazine „Russkij Newsweek“ und „Forbes“ heraus.Independent Media
Der Verlag „Independent Media“ gibt Magazine wie Cosmopolitan und Esquire heraus. Außerdem gehören zum Verlagsprogramm die „Moscow Times“ und (in Zusammenarbeit mit der „Financial Times“) die liberale Wirtschaftszeitung „Wedomosti“. Das 1992 von dem Holländer Derk Sauer gegründete Verlagshaus wurde im Januar 2005 an die finnische Mediengruppe „Sanoma Magazines“ verkauft. ENDE----------------------------------------------------------------------------
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