Tödliches Fensterputzmittel
5.000 Menschen haben sich in Russland mit Alkohol-Ersatzmitteln vergiftet. Die Vergiftungswelle ist Ausdruck der Armut in der russischen ProvinzMoskau (n-ost) – In dem Krankenhaus des Provinzstädtchens Balaschow im Gebiet Saratow liegen Männer in Trainingshosen auf Krankenhausbetten. Eine Ärztin tastet nackte Bäuche ab. Die Männer haben zerfurchte, ausdruckslose Gesichter. Sie haben sich an gepanschtem Wodka vergiftet. Die Diagnose lautet „toxischer Gelbsucht“. Bei Vielen ist die Leber so schwer geschädigt, dass eine Heilung ausgeschlossen ist, meinen die Ärzte.Polizei beschlagnahmt 1.200 Flaschen FuselAm Montag beschlagnahmte die Polizei im Bezirk Balaschow große Mengen von gepanschtem Alkohol. In der Garage eines Vorbestraften stellten sie 876 Fünf-Liter-Plastikflaschen der „Wodka“-Marke „Monolit“ und 352 Flaschen der Marke „Kowtscheg“ (“Schrein“) sicher.
Für viele Menschen, die ohne größere Mengen Alkohol nicht leben können, ist der vom Staat festgesetzt Wodka-Preis viel zu hoch. Eine Halbliter-Flasche kostet 65 Rubel (zwei Euro). Während in den russischen Großstädten inzwischen viel Bier und Wein getrunken wird, ist Wodka in der oft armen Provinz immer noch der Spitzenreiter.5.000 Menschen wurden in den letzten Wochen in russische Krankenhäuser wegen Alkoholvergiftungen eingeliefert, berichtete die „Nowaja Gazeta“ in ihrer Montagsausgabe. Viele von ihnen sind arbeitslos und meist auch Alkoholiker. Sie kaufen sich ihren meist gepanschten Wodka in irgendeiner Garage oder direkt von einem Lastwagen. So eine Flasche kostet nur 25 Rubel (73 Cent). Manche greifen auch zum selbstgebrannten „Samogon“. Doch der ist im Gegensatz zu dem Pansch-Wodka meist von hoher Qualität und nicht schädlich. Gepanscht wird mit allem was Alkohol enthält, Fensterputzmittel, Sprit zum Entzünden von Holzfeuern und Mittel zur persönlichen Hygiene.Schon geringe Mengen von Methyl-Alkohol können zum Tod führen, erklärte Osman Paragulgow, Präsident der „Union des Alkoholmarktes“ der „Nowyje Iswestija“. „Es vergiften sich die, welche billigen Alkohol trinken“, erklärte Paragulgow. Seit die Behörden im Juli das computergestützte Erfassungssystem für alkoholische Produkte (EGAIS) eingeführt haben, wird Fensterputzmittel nicht mehr mit Äthyl- sondern dem lebensgefährlichen Methyl-Alkohol hergestellt.„Geplante Aktion“Jährlich sterben in Russland Zehntausende an Alkoholvergiftungen, im letzten Jahr waren es 42.000 Menschen. In den ersten acht Monaten dieses Jahres gab es bereits 20.000 Tote. Der russische Oberarzt Gennadi Onischenko sieht trotzdem eine positive Tendenz. Die Zahl der Todesfälle sei in diesem Jahr um 4.275 Fälle zurückgegangen, erklärte der Oberarzt im Fernsehsender ORT. Onischenko sprach in Zusammenhang mit der Vergiftungswelle von einer „geplanten Aktion“ bestimmter Kräfte, welche die Anstrengungen der Regierung zur Kontrolle des Alkoholmarktes unterlaufen wollen. Um den hohen Anteil der illegalen Wodka-Produktion einzuschränken hatte die Regierung im Juli ein automatisches Erfassungssystem EGAIS eingeführt, welches aber wegen Programmierfehler ständig zusammenbrach und zu einem starken Defizit an alkoholischen Getränken führte, denn die Produzenten wurden nicht mit einer ausreichenden Zahl von Steuermarken versorgt. Wochenlang waren Wodka und Wein aus den russischen Regalen verschwunden. Die Preise stiegen stark an. Die Krise machten sich die Schwarzhändler zu Nutze. Der stellvertretende Leiter der Innenbehörde des Gebietes Irkutsk, Aleksej Iwanow, erklärte gegenüber dem Fernsehkanal ORT, findige Händler hätten Alkohol-Ersatzstoffe bei Großhändlern aufgekauft, um sie dann auf dem Schwarzmarkt anzubieten. Die Behörden in Irkutsk verhängten ein Verkaufsverbot über bestimmte Reinigungs- und Hygienemittel. 900 Vergiftungen im Gebiet BelgorodDie meisten Fälle - mit 938 Vergiftungen - wurden aus dem südlich von Moskau gelegenen Gebiet Belgorod gemeldet. Im Gebiet Irkutsk starben 36 Menschen an Vergiftungen. 800 Menschen – unter ihnen 192 schwere Fälle - werden dort zurzeit in Krankenhäusern behandelt. Im Gebiet Pskow wurden 490 Menschen mit Vergiftungen in Krankenhäuser eingeliefert. 17 Menschen starben. In zehn russischen Verwaltungsgebieten wurde der Notstand ausgerufen. Ministerpräsident poltert Der russische Ministerpräsident Michal Fradkow polterte auf der Kabinettssitzung am Montag, er gebe den für die Alkohol-Krise zuständigen Ministern drei Tage und drei Nächte Zeit um für Ordnung zu sorgen. Fradkow erklärte, er kenne die Namen derjenigen die für die Unordnung auf dem Alkoholmarkt die Verantwortung tragen. „Wir kennen die Namen und bald wissen sie alle.“ Die Minister und Beamten guckten ängstlich. Es gab weder Fragen noch Wiederreden. Sergej Mironow, Vorsitzender des russischen Föderationsrates und Boris Gryslow, Vorsitzender der Duma forderten die Einführung eines Staatsmonopols auf dem Alkohol-Markt. Mironow meinte, nur so könne man „Tausende wenn nicht zehntausende Menschenleben“ retten. Wie die „Nowyje Iswestija“ berichtete, wird in einigen Regionen, die besonders unter der Vergiftungswelle leiden, über die Einführung eines totalen Alkoholverbots diskutiert. Die letzte derartige Maßnahme, 1986, eingeführt vom damaligen Generalsekretär Michail Gorbatschow, scheiterte grandios. Die Alkohol-Liebhaber teilten sich brüderlich eine Flasche, die sie vorher zum überteuerten Preis auf dem Schwarzmarkt erstanden hatten. Ende----------------------------------------------
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