Rattengift gegen Kreml-Kritiker
Britische Ärzte kämpfen um das Leben des ehemaligen FSB-Offiziers Aleksandr Litwinenko
Moskau (n-ost) – Aleksandr Litwinenko der zurzeit an einem unbekannten Ort von britischen Toxilogen behandelt wird, war im Jahre 2000 nach London geflüchtet, wo er als politischer Flüchtling anerkannt wurde. Inzwischen ermitteln in dem Fall Scotland Yard und der britische Militärgeheimdienst MI5. Der Toxikologe John Henry, der Litvinenko behandelt, erklärte, der Patient sei mit dem toxischen Schwermetall Thallium vergiftet worden. Möglicherweise befinden sich in dem Körper des ehemaligen FSB-Offiziers aber noch weitere unbekannte Gifte. Henry hatte bereits den ukrainischen Präsidenten Viktor Juschtschenko behandelt, der 2004, während des ukrainischen Präsidentenwahlkampfs ebenfalls einem Anschlag mit Dioxin zum Opfer fiel.
Der Kreml schweigt
Der ehemalige FSB-Oberst Gennadij Gudkow, Mitglied der Duma-Fraktion der Kreml-nahen Partei „Einiges Russland“, erklärte der Moskauer Zeitung Kommersant, bei dem Giftanschlag handele es sich um ein von Boris Beresowski inszeniertes „Spektakel“. Beresowski ist ein so genannter Oligarch, der in der Ära Putin nach London flüchtete und von dort aus den Kreml bekämpft. Eine ähnliche These war nach dem Mord an der Journalistin Anna Politikowskaja aus dem Umkreis des Kreml laut geworden. Es hatte geheißen, Beresowski habe den Mord an Politkowskaja in Auftrag gegeben, um Wladimir Putin zu diskreditieren und in Russland eine orange-farbene Revolution anzustoßen. Angeblich wolle der Oligarch, der in den 90er Jahren zum engeren Machtzirkel um Boris Jelzin gehörte, in Russland Ereignisse wie in der Ukraine provozieren.
Schwere Vorwürfe gegen den FSB
Giftopfer Litwinenko erhebt seit Jahren schwere Vorwürfe gegen seinen ehemaligen Arbeitgeber, den russischen Inlandsgeheimdienst FSB. Er hatte erklärt, dass er in Moskau vom FSB den Auftrag erhalten habe, einen Mordanschlag auf Beresowski auszuführen. Litwinenko beschuldigt den russischen Geheimdienst außerdem, die Bombenanschläge gegen russische Wohnhäuser im Jahre 1999 koordiniert zu haben. Die Anschläge, bei denen 300 Menschen getötet wurden und die angeblich auf das Konto tschetschenischer Rebellen gehen, hatten den zweiten Tschetschenienkrieg ausgelöst. Litwinenko hatte 1999 und 2000 wegen Amtsmissbrauchs neun Monate in einem russischen Gefängnis gesessen. Nach seinem Freispruch war er nach London geflüchtet.
Informationen zum Fall Politkowskaja
Am 1. November hatte sich Litwinenko mit dem italienischen Geisteswissenschaftler Mario Scaramella in einer Sushi-Bar am Picadilly getroffen. Der Italiener, welcher die Tätigkeit des KGB in Italien während des Kalten Krieges untersucht, überreichte Litwinenko vier maschinengeschriebene Blätter mit Namen und Information über angebliche Hintermänner des Politkowskaja-Mordes aus Kreisen des FSB. Scaramella habe sehr zur Eile gedrängt und erklärt, er fühle sich bedroht, erinnert sich Litwinenko. Nach dem Treffen sei der Italiener verschwunden. Er wolle ihn jedoch nicht wegen der Vergiftung beschuldigen. Zuhause angekommen, brach Litwinenko zusammen. Experten vermuten, dass ihm jemand Gift in den Kaffee gemengt hat.
Erprobtes Mittel gegen Kritiker
Der Anschlag gegen Litwinenko erinnert an ähnliche Fälle, bei denen Kritiker des Kreml die Opfer waren. Der Journalistin Anna Politkowskaja wurde im September 2004 während eines Fluges in den Kaukasus ein vergifteter Tee gereicht, worauf die Journalistin zusammenbrach und in ein Krankenhaus eingeliefert werden musste. Politkowskaja befand sich damals auf dem Weg zum Geiseldrama in Beslan, wo sie vermitteln wollte. Später berichtete die Journalistin, im Flugzeug seien ihr „verdächtige Leute“ aufgefallen.
Auslandseinsätze wieder möglich
Für Auslandseinsätze gegen Kreml-Kritiker gibt es in Russland inzwischen wieder eine gesetzliche Grundlage. Die Duma beschloss im März ein Gesetz, nach dem Auslandseinsätze gegen „Terroristen“ möglich sind. Nach der Ermordung von vier russischen Diplomaten im Irak gab Wladimir Putin die Anweisung, die Mörder „ausfindig zu machen und zu vernichten“.
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