„Virus der Demokratie“
15 Jahre nach ihrer Gründung steckt die Gemeinschaft Unabhängiger Staaten in der Krise
Moskau (n-ost) - Am 8. Dezember 1991 trafen die Russische Republik, die Ukraine und Weißrussland den Entschluss, eine „Gemeinschaft Unabhängiger Staaten“ als Ersatz für die auseinander fallende Sowjetunion zu gründen. Die offizielle Gründung der GUS erfolgte am 21. Dezember 1991 in der kasachischen Hauptstadt Alma Ata. Dem historischen Ereignis vor 15 Jahren wurde Ende November beim jüngsten Gipfeltreffen der GUS-Staaten in Minsk gedacht. Viele Experten befürchten, dass dieses Jubiläumstreffen auch das letzte Treffen der GUS sein kann: Die Gemeinschaft befindet sich heute in einer schweren Krise. Sie ist nicht in der Lage, den Mitgliedsländern zu Wohlstand zu verhelfen und Territorialkonflikte zu vermeiden. Kasachstan, das zurzeit den GUS-Vorsitz innehat, mahnt Reformen an, um der Gemeinschaft ein deutlicheres politisches Profil zu verschaffen. „Nicht alle konstruktiven Standpunkte wurden berücksichtigt“, äußerte der ukrainische Präsident Juschtschenko zurückhaltend seine Enttäuschung über das GUS-Gipfeltreffen. Moskau befürchtet zu Recht, dass sich immer mehr GUS-Mitglieder aus der Abhängigkeit Russlands befreien und sich selbständig machen wollen. Seit April des Jahres 2005 überschlagen sich die Ereignisse im postsowjetischen Raum wie selten zuvor in den vergangenen zehn Jahren. Die Angst oder Hoffnung vor „farbigen Revolutionen“ beherrscht die politischen Kreise in den Nachfolgestaaten der Sowjetunion. Moskau befürchtet, dass sich immer mehr GUS-Mitglieder aus der Abhängigkeit Russlands befreien und sich selbständig machen wollen. Dabei strebt Russland die Position einer Ordnungsmacht und Führungsnation im postsowjetischen Raum. Als geopolitisches Bündnis hat die GUS jedoch seit ihrer Gründung 1991 keine integrative Kraft entfalten können. Während auf der außenpolitischen Ebene noch einiges funktioniert, wie die militärische Zusammenarbeit und gemeinsame Blauhelm-Einsätze, ist die Existenz der GUS im Alltag der Menschen kaum bemerkbar. Laut einer Umfrage des Meinungsforschungsinstituts „Stiftung öffentliche Meinung“ können 30 Prozent der Russen nicht sagen, ob die Gemeinschaft mehr Nutzen oder mehr Schaden bringt. Kurz: Die Öffentlichkeit weiß nicht richtig, wozu die Gemeinschaft wirklich gut ist.Integrationskonkurrenz Gleichzeitig gibt es innerhalb der GUS eine starke Integrationskonkurrenz. Immer offensichtlicher werden auch die Interessenkonflikte zwischen dem Westen und Russland im postsowjetischen Raum. Vor allem die USA haben wirtschaftliche sowie geostrategische Interessen in den betroffenen Regionen. Es geht dabei vor allem um Erdöl-Ressourcen und Militärbasen. Einige der Nachfolgestaaten der untergegangenen Sowjetunion orientieren sich immer stärker in Richtung NATO und EU. Russland wiederum strebt weiterhin danach, seine Einfluss-Sphäre im postsowjetischen Raum auszubauen, was zu außenpolitischen Kollisionen führt. Je mehr sich die neuen demokratischen Staaten in Richtung auf Europa bewegen, desto intensiver versucht Moskau sich durch zentralistische und autoritäre Tendenzen vor dem „Virus der Demokratie“ zu schützen.Inzwischen besitzen die Mitgliedsstaaten unterschiedliche außenpolitische Orientierungen. Innerhalb der GUS haben sich parallele Bündnisse und Strukturen wie die Eurasische Wirtschaftsgemeinschaft, die Shanghai Cooperation Organisazion sowie die GUAM gebildet. Letztere ist eine Sicherheitsallianz von Georgien, Ukraine, Aserbaidschan und Moldawien, genannt nach den Anfangsbuchstaben der Mitgliedstaaten. Forciert wurde die Gründung der GUAM von den USA, die eine von Russland unabhängige Institution in der Region schaffen wollten. Die Ukraine und Georgien wollen sie zu einer Union jener Länder machen, die eine Integration in die euro-atlantischen Strukturen anstreben. Die Rosenrevolution in Georgien und die Orange-Revolution in der Ukraine waren ein klarer Beweis für Meinungsverschiedenheiten innerhalb der GUS. In der letzten Zeit gab es Spannungen vor allem zwischen Russland und diesen beiden Ländern: Der „Gas-Krieg“ mit der Ukraine sowie die völlig unverhältnismäßige Reaktion Moskaus auf die Festnahme russischer Offiziere in Georgien, die in eine Wirtschafts- und Transportblockade Georgiens und eine Massendeportation von georgischen Bürgern aus Russland mündete.Zukunft der GUS„Die GUS wurde gegründet, damit der Zerfall der Sowjetunion sich zivilisiert vollzieht“, betonte der russische Präsident Putin im März 2005 in der armenischen Hauptstadt Eriwan. „Während die westeuropäischen Länder auf die Vereinigung durch die EU zielgerichtet hingearbeitet haben, wurde die GUS für eine „zivilisierte Scheidung“ gegründet“, setzte Putin fort. Trotzdem ist der russische Präsident überzeugt, dass die GUS erhalten bleiben soll. In Russland werden vor allem zwei Möglichkeiten für die zukünftige Entwicklung der GUS diskutiert. Entweder soll die GUS in ihrer bisherigen Form als eine Institution für den informellen Dialog bestehen bleiben, oder unwillige Staaten sollen „entlassen“ und aus den übrig gebliebenen Mitgliedern ein neuer GUS-Integrationskern geschaffen werden. Eine weitere, von Russland ungewünschte Option wäre die Auflösung der GUS. Kasten:
Der GUS gehören alle Nachfolgestaaten der Sowjetunion mit Ausnahme der baltischen Staaten Estland, Lettland und Litauen an. Heute zählt die GUS zwölf Mitglieder: Armenien, Aserbaidschan, Georgien, Kasachstan, Kirgisien, Moldawien, Russland, Tadschikistan, Turkmenistan, Ukraine, Usbekistan und Weissrussland. Turkmenistan ist allerdings seit dem 25. August 2005 nur noch beigeordnetes Mitglied. Die GUS im Internet: http://www.eccis.org/ (Russisch / Englisch).Ende