Russland

Juden in Moskau

Es gibt erfolgreiche Geschäftsleute, ein reges Kulturleben und einen kurzen Draht zur Macht.Moskau (n-ost) - Chodorkowski, Beresowski, Abramowitsch - drei Namen, die international für Juden in Russland stehen. Abseits dieser schillernden und tragischen Figuren gibt es ein reges jüdisches Kulturleben und einen kurzen Draht zum Kreml. Die Diskriminierung der Juden in Russland hat nachgelassen. Doch die Besorgnis der Jüdischen Gemeinde über das Auftreten von Rechtsradikalen hält an.Vor dem jüdischen Gemeindezentrum Marina Rostsche herrscht reger Betrieb. Gläubige wollen zum Gebet, Familienangehörige begrüßen sich auf dem Weg zu einer Jubiläumsfeier, Männer mit Sporttaschen sind auf dem Weg zum Trainingssaal.  Das imposante sechsstöckige Gemeindezentrum mit Synagoge, Bibliothek, Restaurant und Sportzentrum nördlich des Stadtzentrums wurde an Stelle einer 1993 abgebrannten Holsynagoge gebaut.Am Eingang des neuen Zentrums geht es zu wie auf einem Flughafen. Mitarbeiter eines privaten russischen Wachdienstes kontrollieren Besucher-Taschen in einer Röntgenbox. Alle Neuankömmlinge müssen durch eine Sicherheits-Schleuse. Die Besucher des Zentrums nehmen die Sicherheitsmaßnahmen gelassen. Am 11. Januar 2006 wollte der junge Rechtsradikale Aleksandr Kopzew in das Gemeindezentrum eindringen. Als er die Polizeistreife davor sah, zog er weiter ins Stadtzentrum. In der Synagoge an der Bolschaja-Bronnaja-Straße gelang ihm der Zutritt, obwohl er ein großes Jagdmesser dabei hatte. Mit "Heil-Hitler"-Rufen lief er durch die Gänge und verletzte neun Gläubige zum Teil lebensgefährlich.Mendel Sack, ein junger Religions-Lehrer mit einem rotblonden Bart, der an einer jüdischen Jungen-Schule in der Nähe des Gemeindezentrums arbeitet, denkt nicht an Auswanderung. Wenn man sich in Russland über jeden derartigen Vorfall wundere, "verliert man sehr viel Nerven. Wir versuchen so weiterzuleben, wie wir vorher gelebt haben." Der 25-Jährige fühlt sich Russland tief verbunden. "Ich liebe Israel und bin russischer Patriot. Das ist kein Widerspruch." In Russland gäbe es heute viele jüdische Geschäftsleute. Man kann heute als Jude ohne Probleme eine Ausbildung machen. Es gäbe "relativ viel Freiheit", meint der Religionslehrer. Dass in den letzten Monaten Tausende Georgier ausgewiesen wurden, ist nach Meinung von Sack kein ethnisches Problem. Dahinter stehe ein "politischer Konflikt zwischen zwei Staaten." Solange Russland mit Amerika und Israel befreundet sei, drohe den Juden in Russland keine Gefahr. "Aber", so schränkt der junge Lehrer ein, "das kann sich ändern. In Russland ist alles möglich."Ein typisches jüdisches Restaurant in MoskauAusgeh-Warnung am Hitler-GeburtstagAn bestimmte Einschränkungen mussten sich die Juden in Moskau gewöhnen. Anja Lewina, Sekretärin der jüdischen Studentenorganisation "Gelel", meidet bestimmte Metro-Stationen, wo sie schon öfter rechtsradikale Jugendliche gesehen hat. Die Studenten an der Moskauer Staatlichen Universität - so berichtet die 24-Jährige - werden von ihren Lehrern gewarnt, an bestimmten Tagen auf die Straße zu gehen. Wer nicht eindeutig slawisch aussieht, bleibt an Tagen wie dem Hitler-Geburtstag oder dem "Tag der nationalen Einheit" lieber zuhause.In Russland gibt es verschiedene Gedenktage, an denen man den militärischen Sieg über Hitler-Deutschland feiert. Die Ursachen für Faschismus werden in den Schulen und in der Öffentlichkeit jedoch kaum thematisiert. Dass in Europa während der Naziherrschaft sechs Millionen Juden ermordet wurden, wurde zu Sowjetzeiten verschwiegen und auch heute ist das Wissen darum sehr gering.Der Holocaust wird heute an russischen Schulen in 20 Minuten abgehandelt, berichtet Ilja Altmann. Er ist Vorsitzender des Moskauer Holocaust-Zentrums. Seit Anfang der 90er Jahre arbeitet das Zentrum daran das öffentliche Schweigen über die Judenvernichtung zu durchbrechen, mit äußerst geringem Erfolg. Aus der Vernichtung von Millionen Juden habe die russische Gesellschaft keine Lehren gezogen. Als die russische Presse in den letzten Monaten behauptete, unter den Georgiern gäbe es besonders viele kriminelle Elemente, fühlte sich Altmann an das Deutschland von 1933 erinnert.Für den Leiter des Holocaust-Zentrums, ist der "Russische Marsch" ein "gefährliches Symptom". 3.000 Rechtsradikale zogen im November 2005 mit Hitler-Gruß und "Ausländer-raus"-Rufen durch die Moskauer Innenstadt. Im November 2006 wurde der Marsch - nicht jedoch die Kundgebung der Rechtsradikalen - verboten. Dass die Organisatoren von der "Bewegung gegen illegale Migration" (DPNI) "ihre Ideologie als offizielle Ideologie des Staates auszugeben", findet Altmann äußerst bedenklich.
Allein durch Verbote lasse sich das Problem des Rechtsradikalismus natürlich nicht lösen. In einem großen Teil der russischen Gesellschaft und insbesondere in der Jugend gäbe es "einen Wunsch lautstark auf sich aufmerksam zu machen." Das Problem sei jedoch nicht größer als beispielsweise in Ostdeutschland. Die "scharfen sozialen Gegensätze" und eine bestimmte Politik förderten ausländerfeindliche Einstellungen.
Oberrabbiner wirbt für Anerkennung Russlands. "Wenn sie einer Diskriminierung aus religiösen oder nationalen Gründen ausgesetzt sind oder Zeugen eines Vorfalls auf antisemitischer Grundlage werden, oder selbst darin verwickelt sind, wenden sie sich an uns. Ein erfahrener Jurist berät sie." Wer die Website der Föderation der jüdischen Gemeinschaften (FEOR) aufruft, findet diesen Aufruf und Nummern von Not-Telefonen.Der Antisemitismus ist immer noch lebendig. Trotzdem habe sich die Lage sehr verbessert, meint Timur Kirejew, Sprecher der Föderation jüdischer Gemeinschaften (FEOR), welche die Interessen der etwa eine Million Juden in Russland vertritt. Wenn der Oberrabbiner Russlands, Berl Lasar, in die USA fährt, wirbt er dafür, Russland endlich als normales Land anzuerkennen, berichtet Timur Kirejew, der auch Sprecher des Oberrabbiners ist. In Russland - so Lasar - könnten Juden heute wieder frei leben.
Israel als geistige Stütze"Israel ist unsere geistige Stütze", so Kirejew, "aber unsere Haupt-Stütze sind Hunderte von jüdischen Geschäftsleuten und Politikern in Russland." Die "helfen bei der Regelung von organisatorischen und finanziellen Fragen." Vorsitzender des FEOR-Beirats ist kein geringerer als Roman Abramowitsch. Der 40-jährige Selfmade-Unternehmer stieg in den 90er Jahren in das russische Öl- und Aluminiumgeschäft ein. Heute ist Abramowitsch mit einem geschätzten Vermögen von 18 Milliarden Dollar der reichste Mann Russlands. Im Gegensatz zu dem ehemaligen Jukos-Chef Michail Chodorkowski - auch er ist Jude - hat sich Roman Abramowitsch unter Putin aus der Politik weitgehend herausgehalten. Der Kreml behelligte den Milliardär nicht, spannte ihn aber erfolgreich als Sponsor für die fernöstliche Armutsregion Tschukotka ein. Abramowitsch, der weltweit durch den Kauf des englischen Fußballclubs Chelsey bekannt wurde, wurde auch Sponsor des russischen Armee-Fußballclub ZSKA. Jetzt will er außerdem in Moskau für 226 Millionen Euro ein neues Fußballstadion bauen.
Kurzer Draht zum KremlDie FEOR - so Kirejew - habe nichts gegen den vom Kreml neu eingeführten Feiertag der "nationalen Einheit". Alle Völker in Russland hätten "Anteil an der russischen Kultur, auch die Juden." Im Kommunismus sei viel zerstört worden, deshalb sei es gut, wenn sich die Russen wieder auf ihre Traditionen besinnen. Die Rechtsradikalen versuchten den neuen Feiertag "für ihre Zwecke" zu missbrauchen. "Das russische Volk", so Kirejew, habe "keinen Hang zum Extremismus."Ende-----------------------


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