Sterben für das demokratische Russland
Bei der Jahrespressekonferenz nimmt Putin auch zu den jüngsten Mordfällen in seinem Land Stellung Moskau (n-ost) - Wladimir Putin schnippte nervös mit seinem Kuli. Die Journalistenfragen wollten kein Ende nehmen. Der Kreml-Chef wollte offenbar einen neuen Rekord aufstellen. Die sechste große Pressekonferenz des russischen Präsidenten im Kreml war mit dreieinhalb Stunden die längste, die es je gegeben hat.Jetzt, wo die Amtszeit von Putin zu Ende geht, präsentierte sich der Kreml-Chef noch mal als ein Präsident, der für alle Fragen offen ist. Doch Putin hatte leichtes Spiel: Von den 1232 akkreditierten Journalisten traute sich nur Einer, eine Frage zu den Morden an der Journalistin Anna Politkowskaja und dem Ex-Geheimdienstoffizier Aleksandr Litwinenko zu stellen. Wer hinter dem Mord an Politkowskaja stehe, "dass können nur die Ermittlungen und mehr noch das Gericht zeigen", meinte Putin. Man werde "alles dafür tun", um die Journalisten in Russland zu schützen, versprach der Kreml-Chef.Das erste Mal fand Putin ein positives Wort für die Ermordete. Anna Politkowskaja war "eine ziemlich scharfe Kritikerin der Macht und das ist gut", beschied der Präsident. Dann holte der Kreml-Chef zum Seitenhieb auf Aleksandr Litwinenko aus. Dieser habe gar keine Staatsgeheimnisse gekannt und somit keinen Grund gehabt nach Großbritannien zu flüchten, erklärte der Kreml-Chef. Von dem ermordeten ehemaligen Chefredakteur der russischen Ausgabe des US-Magazins, "Forbes", Paul Chlebnikow - er hatte die erste Liste der reichsten Russen veröffentlicht - sprach Putin dagegen mit Anerkennung. Putin erklärte, er könne der Aussage eines "amerikanischen Partners" zustimmen. Danach starb der US-Amerikaner russischer Abstammung "für das demokratische Russland".Wie schon bei den vergangenen Pressekonferenzen waren die Fragen der Journalisten für Putin mehr Stichpunkte, anhand deren der Kreml-Chef seine Amtsgeschäfte erläuterte. Der Großteil der Fragen bezog sich auf Wirtschaft- und Außenpolitik. Mit konkreten Fragen zu den sozialen Problemen im Land und zu rechtsradikalen Attacken auf Ausländer und Andersdenkende wurde der Kreml-Chef weitgehend verschont.Für die russischen Regionen, die sonst selten die Möglichkeit haben, Wladimir Putin in aller Öffentlichkeit zu befragen, war die Pressekonferenz eine einmalige Möglichkeit die Aufmerksamkeit auf sich zu lenken. Hunderte Journalisten hielten selbstgemalte Schilder hoch. Darauf war der Heimart oder die Heimatregion zu lesen. Gegen Ende der Versammlung begannen Hunderte von Journalisten, die noch nicht dran gekommen waren, zu Schreien, doch auch das half nichts. Man hätte noch ein paar Tage tagen müssen, damit alle eine Frage hätten stellen können.Bohrende Fragen nach dem NachfolgerEnde dieses Jahres stehen in Russland Parlamentswahlen an, im März nächsten Jahres wird der Präsident gewählt. Bis heute rätselt die Öffentlichkeit, wen Putin als Nachfolger unterstützt - denn nach dem Ende der zweiten Amtszeit muss Putin sein Amt niederlegen, es sei denn, lässt die Verfassung ändern. Nach der gestrigen Pressekonferenz ist die Öffentlichkeit immer noch nicht schlauer. Putin antwortete allgemein und zeigte dabei sein überlegenes Lächeln. Der Wähler habe da das letzte Wort. Es werde "keine Nachfolger" sondern nur "Kandidaten für das Amt des Präsidenten" geben.Putin erklärte, er werde seine Präferenz erst im Wahlkampf bekannt geben. Wer für das in Frage komme, sei schon "im Amt". Damit spielte der Kreml-Chef offenbar auf zwei Kandidaten an, die seit Wochen gehandelt werden, Vizeministerpräsident Dmitri Medwedjew und Verteidigungsminister Sergej Iwanow.
Unsicherheit beim Thema RechtsradikalismusNur stockend antwortete Putin auf die Frage nach dem wachsenden Rechtsradikalismus. Wie es überhaupt komme, dass es in dem Land, "welches den Faschismus besiegte", Nationalismus und Ausländerfeindlichkeit gebe, wollte ein bekannter Journalist des staatlichen TV-Kanals RTR wissen. "Das alarmiert alle, die Machtorgane und die Gesellschaft", meinte Putin. Leider reagierten die Machtorgane aber "nicht immer adäquat auf diese Erscheinungen". Das Problem habe "mehrere Ursachen". In der Gesellschaft gäbe es ein bestimmtes Maß an "Verzweiflung". Auch das "ideologisches Vakuum" nach dem Zerfall der Sowjetunion wurde vom russischen Präsidenten als Argument angeführt.Ende-----------------------------
Wenn Sie einen Artikel übernehmen oder neu in den n-ost-Verteiler
aufgenommen werden möchten, genügt eine kurze E-Mail an n-ost@n-ost.org. Der Artikel wird sofort für Sie reserviert und für andere Medien aus Ihrem Verbreitungsgebiet gesperrt.Ulrich Heyden
Zwei Belegexemplare gerne auch als pdf bitte UNBEDINGT an die folgende Adresse:
n-ost
Schillerstraße 57
10627 Berlin
n-ost@n-ost.org