Russland

Den Russen tut der Klimawandel gut

Die Aussicht auf ein erblühendes Sibirien verringert die Begeisterung für den UmweltschutzMoskau/Berlin (n-ost) - Fruchtbare Äcker in der einst unfruchtbaren Tundra, ein eisfreies Eismeer und freier Zugang zu Bodenschätzen - in Russland wächst die Hoffnung, am Ende aus der Katastrophe des Klimawandels als Gewinner hervorzugehen. Dem nördlichen Riesen mit Millionen von Quadratkilometern Permafrost-Böden könnte die Wechselwirkung zwischen Polarität und Kontinentalklima im Fall der globalen Erwärmung einen enormen nationalen Gewinn bescheren. Auch die anderen Länder rund um den Nordpol malen sich bereits das Anbrechen einer neuen Blütezeit aus. Die Vereinigung der Nordländer wäre eine strategische Allianz der Zukunft, die dank der Klimaerwärmung in der globalen Konkurrenz mit China und Indien bestehen könnte.
Russland, dem größten Land der Erde, kommt beim Kampf gegen Treibhausgase unbestritten eine Schlüsselrolle zu: Erst als das russische Parlament am 18. November 2004 im Gegensatz zu den USA das Kyoto-Protokoll ratifizierte, konnte diese Vereinbarung, die eine weltweite Senkung des Ausstoßes von Treibhausgasen vorsieht, überhaupt in Kraft treten.
Vereiste Blumen am Baikal-See: Werden solche Bilder in Zukunft der Vergangenheit angehören? Foto: Franka Kühn Für Russland sieht das Protokoll eine Senkung des Ausstoßes von klimaschädlichen Gasen bis 2012 um 17,4 Prozent gegenüber dem Jahr 1990 vor. Da der Zusammenbruch der Sowjetunion bereits für einen Rückgang um etwa 30 Prozent sorgte, ist Russland derzeit in der komfortablen Lage, seiner inzwischen boomenden Wirtschaft keine besonderen Zügel anlegen zu müssen. Zudem könnte das Land durch den Verkauf von Emissionsrechten nach Schätzungen des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung bis zu 20 Milliarden Dollar verdienen.Doch während sogar die USA angesichts schmelzender Eisberge und Gletscher und des zu erwartenden Anstiegs des Meeresspiegels, angesichts weltweiter Dürren, verheerender Orkane und anderer zerstörerischen Phänomene die Bedrohung des Weltklimas zum Politikum machen und viele Stimmen eine Verschärfung der Kyoto-Ziele fordern, werden in Russland andere Stimmen laut.
In Russland wächst die Hoffnung, am Ende aus der Katastrophe des Klimawandels als Gewinner hervorzugehen. Foto: Andreas MetzSo glaubt Georgij Grusa, einer der führenden russischen Klimatologen, dass selbst eine "mittelfristige Klimaprognose im Prinzip nicht möglich ist, weil es absolut unklar ist, wie sich die Faktoren verhalten werden, die den Klima-Wandel beeinflussen". Zu Schlüsselfaktoren wie Vulkanausbrüchen, Taifunen, Hurrikanen und der Sonnenaktivität ließen sich kaum Voraussagen machen.Nach Meinung von Juri Golubtschikow von der geographischen Fakultät der Moskauer Universität, ist selbst der Zusammenhang zwischen der Konzentration des klimaschädlichen Kohlendioxids in der Atmosphäre und der globalen Erwärmung alles andere als bewiesen. Die Hauptursache für die Erwärmung glaubt man eher in den periodischen Schwankungen der ozeanischen Temperaturen auszumachen. "Die Meeresoberschicht  enthält 57 bis 60 Mal mehr Kohlendioxid als die Atmosphäre. Steigt die Temperatur des Ozeans ein wenig, werden bei der Verdampfung des Wassers gigantische Vorräte an Kohlendioxid freigesetzt. Die summarischen Volumen der Freisetzung und Absorption des Kohlendioxids ist fünfmal höher als dessen industrieller Ausstoß", rechnet Golubtschikow vor.
Es könnte sein, dass man Eisangler in Russland in Zukunft immer seltener zu Gesicht bekommen wird. Foto: Tino KünzelRussland ist auch eine Hochburg der Anhänger der "Sonnentheorie". Der Leiter des Hauptlabors des Pulkower Observatoriums Chabibullo Golubtschikow führt die gegenwärtige Erderwärmung auf eine praktisch das ganze 20. Jahrhundert über andauernde Erhöhung des integralen Stroms der Sonnenstrahlung zurück. Seit sechshundert Jahren sei eine derartig mächtige Sonnenstrahlung wie im 20. Jahrhundert nicht zu beobachten gewesen, wobei die Steigerung der Sonnenaktivität ihr Maximum in den 90er Jahren erreicht haben soll. Genau in dem Zeitraum sei die wachsende Zunahme der durchschnittlichen Temperatur der Erdoberfläche beobachtet worden. Gegenwärtig, so stellt Golubtschikow in Aussicht, trete die Intensität der Sonnenstrahlung in die abnehmende Phase des Jahrhundertzyklus ein. "In 50 Jahren werden sich die Erdbewohner mit harten, langen Winter und kühlen Sommer konfrontiert sehen."Die Skepsis in Russland bezüglich des europäischen Glaubens, mit Hilfe von Technik Berge versetzen zu können, ist nicht nur rationalen Ursprungs. Tatsächlich obsiegten in der russischen Geschichte Natur und Gewalt stets das fragile menschliche Geschöpf. So ist es kein Wunder, dass der Zweifel an der menschlichen Omnipotenz als Klimazerstörer und die Betonung kosmischer Kräfte, die immer noch mächtiger als die mächtigste Technik sind, russische Wissenschaftler an Sinn und Geist des Kyoto-Protokolls zweifeln lässt. Der Mensch, behauptet der Ozeanologe Alexander Lissizyn, sei "immer noch zu schwach, um einen ernsthaften Einfluss auf das Klima unseres Planeten zu nehmen".
Schwer zu sagen, was weitsichtiger ist: die europäische Hektik und das Vorantreiben von milliardenteuren Klimarettungsaktionen oder das fatalistische, östliche Warten auf das Schmelzen des Polar-Eises und die Fruchtbarwerdung der Tundra.Ende------------------------------
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