Sturz des Zaren vor 90 Jahren
Ende der russischen Monarchie vor 90 Jahren // Nicht die Oktoberrevolution, sondern die Februarrevolution 1917 beendete das Regime Zar Nikolaus II.Frankfurt/Moskau (n-ost) - Viele Westeuropäer schreiben den Sturz der russischen Monarchie im Jahre 1917 heute den Aktivitäten Lenins und der russischen Bolschewisten zu. Dabei dankte der letzte russische Zar Nikolaj II. lange vor der Oktoberrevolution ab, nämlich am 2. März 1917. Gezwungen wurde er zu diesem Schritt durch die russische Februarrevolution, die bürgerlich-liberale Kreise anstrengten. Lenin wurde in Zürich von den Ereignissen in Russland überrascht und gelangte dann erst mit Hilfe des Deutschen Reiches in einem verplombten Waggon nach Sassnitz/Rügen und von dort über Schweden nach Russland. Am 23. Februar 1917 kam es in Petrograd (früher Sankt Petersburg) zu Unruhen. Anstoß waren die Proteste aufgebrachter Frauen, die vor Lebensmittelläden in langen Schlangen nach Grundnahrungsmitteln anstehen mussten. Bald weiteten sich die Proteste zu Großdemonstrationen aus, denen sich viele Bewohner der Stadt anschlossen. Zar Nikolaj II. ließ daraufhin Militär in die Stadt einmarschieren, Demonstranten wurden in den Straßen erschossen. Am 26. Februar wechselten allerdings viele Soldaten die Seite und liefen zu den Protestierenden über. Auf Druck eines Übergangskomitees der Staatsduma (russisches Parlament) unterschrieb Zar Nikolaj II. am 2. März seine Abdankungsurkunde. Am 21. März wurde er mit seiner Familie verhaftet und nach Sibirien verbannt. So kam es zum Ende der Romanow-Dynastie, die über 300 Jahre (1613-1917) in Russland regierte.
Der Peterhof in St. Petersburg: Vor 90 Jahren wurde der letzte russische Zar gestürzt. Foto: Andreas MetzBis heute wird über die genauen Ursachen der Februarrevolution diskutiert. Nach Ansicht des russischem Exil-Historikers Georgij Wernadskij sind alle drei russischen Revolutionen (1905 und Februar und Oktober 1917) auf die starke Europäisierung in den Großstädten Moskau und St. Petersburg zurückzuführen, die vor allem den Adel und die oberen Schichten der Gesellschaft erfasst habe. Die Landbevölkerung dagegen blieb arm, ungebildet und stark den alten russischen Traditionen verhaftet. Nach Wernadskij bereitete der Gegensatz dieser unterschiedlichen gesellschaftlichen Entwicklungen in Stadt und Land den Boden für die Revolutionen. Auch die Erfolglosigkeit der russischen Armee begünstigte die Stimmung für bedeutsame gesellschaftliche Veränderungen. 1904/05 erlitt Russland in einer kriegerischen Auseinandersetzung mit Japan eine peinliche Niederlage. Diese führte zu einem spürbaren Autoritätsverlust des Hauses Romanow. Revolutionäre Kräfte nutzten die Niederlage gesellschaftliche Gruppen gegen die Monarchie aufzubringen. Im Laufe der ersten Revolution erließ Zar Nikolaj II ein Manifest, das erstmals auch den Russen europäischen Freiheitsrechte garantierte und die Einrichtung eines Parlaments (Duma) vorsah. Dieses Manifest vom Oktober 1905 führte zu einer Spaltung der oppositionellen Kräfte in drei Lager, wie der moderne russische Historiker Jefim Himpelson ausführt: Das Regierungslager – bestimmt durch das reaktionäre Bürgertum und Großgrundbesitzer, die sich für die Erhaltung der russischen Monarchie einsetzten. Das zweite Lager bildeten liberale Kräfte, die Russland eher als eine konstitutionelle Monarchie oder gar als Republik sehen wollten. Zum dritten Lager gehörten die radikalen Revolutionäre, die für den Sozialismus und die Abdankung der Monarchie eintraten. Zu diesen Kräften gehörten unter anderen auch die beiden sozialdemokratischen Gruppierungen Bolschewiki und Menschewiki. Für die Februarrevolution spielte der Erste Weltkrieg eine bedeutsame Rolle. Die Katastrophen an der Front wurden von erheblichen wirtschaftlichen Problemen begleitet. Viele Menschen litten Hunger. Zum Februar 1917 erreichten die Verluste der russischen Armee die Zahl von über neun Millionen Menschen. Die aus Deutschland stammende russische Zarin Alexandra Fjodorowna (vor der Heirat Großherzogin Alisa von Hessen) verlor bei der russischen Bevölkerung immer mehr an Ansehen. Sie und ihre deutsche Umgebung wurden verdächtigt, Deutschland im Krieg zu unterstützen. Sogar eine Spionagetätigkeit wurde ihr unterstellt. Dass die Zarin eine Bestrafung des deutstämmigen russischen Generals Rannenkampf wegen militärischer Unfähigkeit verhinderte und die Absetzung des Oberkommandeurs der russischen Armee durchsetzte, untermauerte diesen Verdacht. Ein anderer Forscher der jüngsten russischen Geschichte, Alexander Kaz, hält dem entgegen dass bisher kein belastendes Dokument gefunden wurde, das eine Konspiration der Zarin gegen Russland beweisen könnte. Schon Mitte des 19. Jahrhunderts gab es zwei Lager unter den Intellektuellen, Künstlern und Politikern die sich mit der Frage der Entwicklung Russlands beschäftigten. Die so genannten Panslawisten waren gegen die Europäisierung, sie traten für die Monarchie ein und sprachen vom besonderen Weg Russlands. Das westlich orientierte Lager war dagegen überzeugt, dass Russland den Europäern in der Entwicklung hinterherhinkt und man schnell die Europäisierung des Landes vorantreiben müsste. Einen starken Einfluss gewannen die Westler auf die revolutionären Kräfte, insbesondere auf die Bolschewiki. In der Revolution 1905 waren die Bolschewiki stark vertreten, im Gegensatz zur Februarrevolution, die überwiegend von Konservativen und Liberalen getragen wurde. Lenin erfuhr von der Februarrevolution einige Tage später aus Genfer Zeitungen. Wie Lenin den Weg nach Russland fand, wo er im April 1917 ankam, und welches Interesse Deutschland an seiner Rückkehr hatte, ist bis heute Thema heftiger Diskussionen. Viele Wissenschaftler halten Alexander Parwus, einen in Odessa geborenen Marxisten jüdischer Herkunft mit früherem Namen Israel Gelfand für eine Schlüsselfigur. Parwus war nach Deutschland immigriert, er war nicht nur Marxist, sondern auch Geschäftsmann und wollte eine Vermittlerrolle zwischen der deutschen Regierung und den russischen Revolutionären einnehmen. Für Deutschland war jemand mit den defätistischen Ansichten Lenins von Vorteil, um den Kriegsgegner Russland zu schwächen. Lenin nannte den ersten Weltkrieg imperialistisch. Alle Sozialdemokraten, die zu jener Zeit die Zweie Sozialistische Internationale gebildet hätten, müssten für die Niederlage ihrer Länder in diesem Krieg sein. Sie müssten dafür kämpfen, dass die Massen die Bajonette gegen die eigene Regierung richten würden. So müsste man sich auf dem revolutionären Weg aus dem imperialistischen Krieg herausziehen. Das könnte später zur Weltrevolution führen, wie es Karl Marx prophezeit hätte.Allerdings unterstützte der Führer der deutschen Sozialdemokraten Karl Kautski diese Ideen nicht und erklärte seine Solidarität mit der deutschen Regierung. Das führte zum Auseinanderbrechen der Sozialdemokraten Europas und zum Ende der Zweiten Internationale. Lenin blieb bei seiner Position, was der deutschen Regierung sehr gelegen kam. Parwus stellte nach der Februarrevolution einen Kontakt zwischen russischen Exilpolitikern und der deutschen Regierung her. Lenin und anderen russischen Sozialdemokraten wurde die Erlaubnis erteilt, im versiegelten Zugwagon Deutschland zu passieren, von Sassnitz/Rügen aus mit der Fähre nach Schweden überzusetzen und über Stockholm weiter nach Petrograd zu reisen.Deutschlands Rechnung ging auf: Nach seiner Rückkehr radikalisierte Lenin die Partei der Bolschewiki und nach einigen Monaten kam es zum bewaffneten Aufstand gegen die Regierungsmacht in Russland (Oktoberrevolution). Mit dem erlassenen Dekret „Über den Frieden“ schloss Lenin im März 1918 mit der deutschen Regierung einen Friedensvertrag. Der Vertrag bestimmte auch die staatliche Unabhängigkeit von Polen, den baltischen Ländern sowie einem Teil Weißrusslands. Darüber hinaus sollte Russland dem kaiserischem Deutschland eine Kontribution in Höhe von sechs Millionen Reichsmark zahlen. Nach dem Ende des Krieges und der damit verbundenen Revolution im November 1918 in Deutschland wurde der Vertrag sofort von Russland annulliert.Auf Lenin geht auch das endgültige Ende der Romanows zurück. Die Zarenfamilie befand sich nach der Oktoberrevolution in der Hand der Bolschewiki und war Monatelang in Jekaterinburg im Ural interniert. In der Nacht vom 16. auf den 17. Juli 1918 wurde die Familie ermordet. Den Befehl dazu hatte Lenin erteilt.Großen Streit entzündet sich über die Frage, ob die Revolution der Bolschewiki in Russland von Seiten Deutschlands finanziert wurde? Nach Wernadskij ist eine wichtige Figur im Geschehen der polnische Sozialist und Bekannte Lenins Jakob Ganetzki. Parwus könnte Gelder für die russische Revolution über Ganetzki an die Bolschewiki weitergeleitet haben. Die Meinung Pjotr Romanows, für viele Führer der Bolschewiki seien die Konten der deutschen Regierung in Schweden geöffnet gewesen, klingt jedoch wenig glaubhaft. Wie Wernadskij und Wolkogonow mehrfach betonten, Lenin habe nirgendwo offizielle Spuren hinterlassen. Dennoch gelang es dem bekannten russischen Fernseherjournalisten Jewgenij Kiseljow ein Dokument der Deutschen Reichsbank ausfindig zu machen, das Ausgaben von fünf Millionen Reichsmark für „den Frieden in Russland“ ausweist.
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Vougar Aslanov
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