Polen

Deutsche Praktikanten im polnischen Parlament

Deutsche Praktikanten im polnischen Parlament Johanna Möller und ihre Kollegen fühlen dem deutsch-polnischen Verhältnis den Puls

Warschau (n-ost) - Gleich beginnt die Sitzung des Europaausschusses. Karoline Wilczek, Alexandra Brzezinski und Johanna Möller hetzen über den Vorplatz des polnischen Parlaments (Sejm). Unter dem Arm tragen sie die Positionspapiere ihrer Abgeordneten. Nach einem Monat Parlamentsarbeit in Warschau haben sie sich schon an das bewegte Leben der polnischen Abgeordneten gewöhnt. Die polnischen Abgeordneten haben keine Büros in Warschau, sondern erledigen ihre Hauptarbeit zu Hause in ihrem Wahlkreis. „Deswegen sind die Abgeordneten hier im Zentrum selbst nicht so fest installiert“, erklärt Johanna Möller.Sie ist eine von fünf deutschen Stipendiaten des „Internationalen Programms der Parlamentspraktika“. Die frisch examinierte Hochschulabsolventin aus Herford nutzt nun die Chance, fünf Monate lang das polnische Parlamentsleben kennen zu lernen. Seit einem Monat arbeitet sie für den Abgeordneten Jan Rzymelka. Der sitzt für die liberale Oppositionspartei Bürgerplattform im Parlament und ist außerdem Vorsitzender der deutsch-polnischen Parlamentariergruppe. Als Experte für deutsch-polnische Beziehungen ist er sehr an dem Praktikantenprogramm interessiert.
Der polnische Abgeordnete Jan Rzymelka mit seiner deutschen Praktikantin Johanna Möller. Foto: Linda Vierecke„Die Beziehungen zwischen Polen und Deutschland waren zwischen den normalen Menschen selten besser. Das schlimmste für die Verbindung ist der Wahlkampf. Denn da wird immer Stimmung gemacht und die nationalen Themen werden hochgefahren“, fasst Johanna Möller ihre Beobachtungen zusammen. Es sei vor allem die aktuelle Regierung, die mit anti-deutschen Ressentiments Politik macht. Während dies in der großen Politik oft zu Missverständnissen führe, verstünden sich die einfachen Menschen sehr viel besser. Die Städtepartnerschaften florierten und das Deutsch-Polnische Jugendwerk verzeichne jährlich steigende Projektanträge. Auch die sozialdemokratische Abgeordnete Jolanta Ciemniak war sofort von dem Praktikantenprogramm begeistert. „Gerade in der Zeit der deutschen Ratspräsidentschaft ist es doch interessant gemeinsam mit einer Deutschen zu arbeiten.“ Nun arbeitet sie gemeinsam mit Praktikantin Alexandra Brzezinski an der Europapolitik ihres Landes.Beim Praktikantenprogramm geht es nicht um polnische Parteipolitik. Die Stipendiaten sind Abgeordneten des gesamten politischen Spektrums zugeordnet: von der links-liberalen SLD bis zur rechts-populistische Bauernpartei Samobroona. Es geht darum, im parlamentarischen Leben aktiv mitwirken. Und dabei ist Fachkompetenz gefragt.Praktikantin Anne Papendick hat in Frankfurt/Oder Jura studiert und arbeitet in Warschau für den Abgeordneten Jacek Tomczak. Dieser findet es besonders praktisch, dass Papendick wie er Jurist ist. „In Meinungsfragen wie zum Beispiel dem Bau der deutschen Ostseepipeline haben wir schon verschiedene Ansichten. Das ändert aber nichts an unserem guten Verhältnis.“ Politisch betrachtet gäbe es zwischen Abgeordnetem und Praktikantin sicherlich einigen Zündstoff, denn Jacek Tomczak sitzt für die national-konservative Partei der Kaczynski-Zwillinge „Recht und Gerechtigkeit“ im Parlament. Doch für Papendick spielt ihre politische Meinung im Praktikum keine Rolle. Sie betrachtet das Praktikum als Karrieremöglichkeit. „Natürlich stehen die Türen für mich jetzt ein wenig weiter offen, wenn Tomczak mich unterstützt.“Mit dem, was die Praktikanten in Warschau lernen, können sie in vielen Parlamenten Europas arbeiten. Reden schreiben, Sitzungen vorbereiten und wissenschaftlich recherchieren – und das alles auf Polnisch. Hinzu kommt die Innensicht auf das polnische Parlamentsleben. Slawistikabsolventin Karoline Wilczek aus Frankfurt am Main sind schon so einige Dinge aufgefallen. „Die Polen sind emotionaler und führen lebhaftere Diskussionen. Aber die Ordnung hier im Sejm wird trotzdem genauso strikt eingehalten wie im Bundestag.“Die Praktikanten bleiben nicht nur Zaungäste. Bei Staatsbesuchen, wie der von Angela Merkel im März, sind sie in der ersten Reihe mit dabei. Am Ende wundern sie sich nicht selten, wie die Medien die deutsch-polnische Zusammenarbeit  darstellen. „Als hier vor kurzem Bundestagspräsidenten Lammert mit dem polnischen Parlamentspräsidenten zusammen traf, waren wir mit dabei. Und eigentlich hatte ich den Eindruck, dass die beiden sehr gut miteinander gesprochen haben. Ich war dann sehr überrascht und sehr erschrocken, als ich danach die Pressereaktionen in Deutschland gelesen habe. Die waren sehr negativ, fast destruktiv.“ Die deutschen Praktikanten hinterlassen im Allgemeinen einen guten Eindruck bei „ihren“ Abgeordneten. Da deckt sich das Vorurteil mit der Realität: Abgeordneter Rzymelka etwa ist sehr zufrieden mit dem Fleiß seiner deutschen Praktikantin, die gerade einmal 400 Euro im Monat erhält. „Johanna ist sehr gewissenhaft. Wenn ich um vier schon an Feierabend denke, fragt sie um zehn nach vier, was noch zu machen sei.“ Infokasten:Weitere Informationen zum Praktikantenprogramm gibt es unter:
http://mpsp.sejm.gov.pl
Die Bewerber müssen über sehr gute polnische Sprachkenntnisse verfügen, ein abgeschlossenes Hochschulstudium vorweisen können und dürfen nicht älter als 30 Jahre sein. Das Praktikum geht über sechs Monate und wird mit 1600 Zloty (ca. 400 Euro) vergütet.Ende
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