Ungarn

Rechtsextreme in Ungarn: Gegen die Regierung, gegen Juden, gegen den Westen

Trianon – das Thema der ungarischen Rechtsextremen15. März 2007: Nationalfeiertag in Ungarn.  Jugendliche Vermummte randalieren abends auf dem Budapester Prachtboulevard Andrássy út.  Aus Telefonhäuschen, Mülltonnen und Sitzbänken haben sie Barrikaden gebaut. Die Polizei antwortet mit Wasserwerfern und Tränengas. Es sind nicht viele, ein paar Hundert vielleicht. Aufhören, fordert die Polizei sie immer wieder auf. Doch die Jugendlichen hören nicht auf. Sie zünden die Barrikaden an. Sie werfen mit Steinen auf die Polizisten. Sie schwenken die rot-weiß-gestreifte Àrpáden-Fahne – unter ihr schickten in den 40er Jahren die Pfeilkreuzler die ungarischen Juden in den Tod.Wer sind die jugendlichen Randalierer? „Viele gehören Parteien an. Andere sympathisieren nur“, sagt einer der Barrikadenbauer. „Vor allem aber denken sie national“. Der Mann trägt einen Aufnäher auf der Jacke: Großungarn – in den Àrpádfarben. Und in den Grenzen vor 1920. Denn das ist Thema Nummer Eins der ungarischen Rechtsextremen: Trianon – der Friedensvertrag nach dem ersten Weltkrieg, durch den Ungarn zwei Drittel seines Territoriums an die Nachbarstaaten verloren hat. „In der Rhetorik, in den Symbolen, im Fühlen spielt das eine riesige Rolle“, meint Endre Bojtár, Chefredakteur der liberalen Wochenzeitung „Magyar Narancs. „ Wenn es Trianon nicht gäbe, müsste man es erfinden“. Denn Trianon sei ein „emotionaler Zement“, der diese Gruppe zusammenhält, meint der Journalist.
Demonstration gegen die Regierung - mit ungarischer Nationalflagge. Foto: Oszkár JankovichInternet als Vertriebsmedium„Weg mit Trianon – unsere Fahne wird siegen“, singt die Band „Romantikus eröszak“, zu Deutsch: „Romantische Gewalt“. Auch in den Texten von „Karpátia“ und anderen „Nemzeti-Rock“-Gruppen spielt das Thema eine Rolle. Herunterladen kann man sich die Musik aus dem Internet. Zahlreiche Internetportale wie lelkiismeret88.hu (Gewissen  88) oder kuruc.info werben um die Köpfe der Ungarn. Im Angebot: Internetradio, T-Shirts und natürlich Ideologie. Revisionismus und Protest gegen die linksliberale Regierung vermischt sich. So werden auf dem Portal kuruc.info die Mobilfunknummern von ungarischen Politikern veröffentlicht. Aber auch vermeintliche Polizeispitzel werden mit Foto ausgestellt. Unter der Rubrik „Zigeunerkriminalität“ werden Straftaten von Roma akribisch gesammelt: ein digitaler Pranger. Márta Pánczél vom Ungarischen Roma-Parlament, einer Nichtregierungsorganisation, schimpft: „Es gibt keine Zigeunerkriminalität, auch keine deutsche, armenische oder ungarische Kriminalität“. Die Juristin glaubt, dass die „Mehrheit“ diesen Versuch von Extremisten, Vorurteile gegenüber den etwa 600.000 ungarischen Roma zu schüren,  nicht unterstützt. Doch die Ressentiments sind schon da. Eine Umfrage der International School Psychology Association aus dem Jahr 2005 ergab: Etwa jeder zweite ungarische Pennäler würde sich nicht neben einen Roma-Mitschüler setzen. Jobbik - die Bewegung für UngarnGanz in der Nähe des Nobelhotels „Gellért“, im Stadtteil Buda, betreibt Gábor Szabó einen kleinen Laden. Er verkauft T-Shirts mit aufgedruckten Großungarn-Landkarten, Aufkleber mit der Aufschrift „Ich bin Ungar – kein Tourist“ – und rot-weiß-gestreifte Armbänder. An der Wand fordert ein Plakat die Revision des Trianon-Vertrages. „Wir wollen ein Ungarn, das stolz ist: Stolz auf die Vergangenheit und die Gegenwart“, erklärt der Parteidirektor von Jobbik , einer strammrechten Partei, die ihre Anhänger an den Hochschulen rekrutiert. Bei Wahlen hatte die Partei  bisher keine Chance. Aber die Rechtsextremen sind umtriebig. Sie geben eine eigene Zeitung heraus, sie haben Kontakte zur polnischen „Samoobrona“ (Selbstverteidigung), und sie betreiben das Internet-Portal „kuruc.info“. Antiwestlich, Anti-Roma, Anti-GyurcsányJobbik ist gegen den „Ausverkauf Ungarns an Multinationale“, sagt Gábor Szabó. Die Rechtsextremen waren gegen den Irak-Krieg. Und für Jobbik ist die sogenannte „Zigeunerfrage“ zentral, die Partei will die weit verbreiteten Ressentiments in der Bevölkerung gegenüber der größten Minderheit aufgreifen. „Bisher konnte man darüber nicht reden, das war Tabu. Wir wollen das ändern“, kündigt Szabó an. Er schlägt Sondereinheiten der Polizei vor, die sich exklusiv der Bevölkerungsgruppe der Roma widmen. Szabó begründet das damit, dass angeblich „ihre ganze Kultur anders ist“. Und er erklärt: „Auch Ungarn sind arm, aber sie beklauen nicht die Oma in der Nachbarschaft und lösen Familienkonflikte nicht mit Messern oder Handgranaten.“  Auch Jobbik wirbt am Nationalfeiertag mit Árpádfahnen und „Nemzeti-Rock“ für ihre Anliegen. In der Budapester Innenstadt, mitten auf dem Vörösmárty-Platz, in den die bekannte Einkaufsstraße Váci útca mündet, stehen sie. „Der Geist des Antisemitismus ist aus der Flasche“Auch auf dem Heldenplatz im Zentrum von Budapest wehen am Nationalfeiertag die Árpád-Fahnen. Ein paar Tausend Menschen sind gekommen, Alte und Junge mit Glatze und Springerstiefeln. Es kursieren Flugblätter mit Überschriften wie „Hatte Hitler doch Recht?“. Der britische Holocaustleugner David Irving spricht – auf Einladung der rechtsextremen Partei MIÉP (Wahrheits- und Lebenspartei) des antisemitischen Schriftstellers István Csurka. Zuvor war Irving schon in einer Kirche aufgetreten, organisiert hatte das der junge Pfarrer Loránt Hegedüs. Die Führung der Ungarischen Reformierten Kirche ist entsetzt. Es sei nicht akzeptabel, dass „wir einem Vertreter antisemitischer, rassistischer Gedanken dienen“, heißt es in einer Pressemitteilung. Während Irving in der Kirche spricht, wird der Oberbürgermeister von Budapest – der Liberale Gábor Demszky – am Ufer der Donau ausgepfiffen. Es fliegen Tomaten, Eier und Steine. Auch hier wehen die Àrpádfahnen. „Zionisten“ schreit einer. Ein anderer: „Gyurcsány in die Donau“ – so wie es die Pfeilkreuzler im Winter 1944/45 mit den ungarischen Juden gemacht haben. Der Ministerpräsident ist mit einer Jüdin verheiratet. Während der Proteste vor dem Parlament im Oktober vergangenen Jahres klebten Demonstranten die Konterfeis jüdischer Abgeordneter auf ein Plakat – ein antisemitischer Pranger, vermerkt auch ein Bericht des US-State-Department. 18 Prozent der Ungarn lehnen Juden nach einer Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Tárki ab. Gut ein Drittel wird als generell fremdenfeindlich identifiziert. Auch Ernö Lazarovics hat nach der Wende eine Veränderung wahrgenommen. Er vertritt die Ungarischen Jüdischen Gemeinden im Ausland. „Was vor der Wende latent vorhanden war“, sagt er, „zeigt sich jetzt offen“. Er berichtet von Drohbriefen an Rabbiner und Vandalismus auf jüdischen Friedhöfen. „Der Geist des Antisemitismus ist aus der Flasche entwichen.“ In einem Interview mit der „Times“ beklagte jüngst auch der Ministerpräsident den zunehmenden Antisemitismus. „Jobbik, MIÉP – diese Leute sind in einer Demokratie nicht salonfähig“, meint der Historiker Krisztián Ungváry, „und wer sich mit ihnen verbrüdert, der macht sich der Destabilisierung des Landes schuldig“.  Viktor Orbán: Fischen am rechten RandGemeint ist Oppositionsführer Viktor Orbán vom rechtskonservativen Bürgerbund Fidesz. Der ehemalige Ministerpräsident agiert in der Grauzone zwischen rechtskonservativ, rechtspopulistisch und rechtsextrem. Die Regierung wirft ihm mangelnde Distanz gegenüber den Rechtsextremen vor. Der Historiker Ungváry bestätigt diesen Eindruck. „Die der Partei nahe stehenden Medien – Hír TV, oder die Zeitungen „Magyar Demokrata“ und „Magyar Nemzet“ hetzen die Leute auf. Und auch gegen antisemitische Hetze in „Magyar Demokrata“ hat die Partei nie ein Wort gesagt, ganz im Gegenteil.“  Viktor Orbán fischt am rechten Wählerrand und dahinter steckt Machtkalkül. 37 Prozent der Ungarn würden ihm derzeit laut Umfragen ihre Stimme geben,  Neuwahlen würde er gewinnen. Die versucht er über Volksabstimmungen gegen das Reformprogramm der Regierung Gyurcsány zu erzwingen. Dabei geht es auch um Orbáns politisches Überleben, meint der Politologe Zoltán Kiszelly. „Wenn Orbán eine dritte Wahl verlieren würde, müsste er zumindest aus der Führungsriege des Fidesz abtreten“, so die Prognose Kiszellys. Deshalb versuche Orbán schnell Neuwahlen zu erzwingen, damit er die Früchte von Gyurcsánys Reformprogramm ernten kann. Bislang haben Orbáns Bemühungen aber keinen Erfolg. Denn die sozialliberale Koalition hat eine stabile Mehrheit. Und sie hält – obwohl der Sozialist Gyurcsány im vergangenen Jahr zugegeben hatte, die Wähler belogen zu haben. Nach der Wahl hatte er dem Land einen radikalen Sparkurs verordnet. Als die „Lügenrede“ bekannt wurde, begannen die Proteste. *** Ende ***----------------------------Wenn Sie einen Artikel übernehmen oder neu in den n-ost-Verteiler aufgenommen werden möchten, genügt eine kurze E-Mail an n-ost@n-ost.org. Der Artikel wird sofort für Sie reserviert und für andere Medien aus Ihrem Verbreitungsgebiet gesperrt. Das Honorar überweisen Sie bitte mit Stichwortangabe des Artikelthemas an den Autor:Stephan OzsváthBelegexemplar (gerne auch als pdf) bitte an die folgende Adresse:
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