Putins unsicherer Gefährte
Moskau (n-ost) - In Grosny steht ein großes Ereignis bevor. Am 5. April tritt der von Putin auserwählte Ramsan Kadyrow sein Amt als Präsident Tschetscheniens an. Es wird eine Feier mit viel Pomp und strengen Sicherheitsvorkehrungen. Für russische Menschenrechtler erhält mit dem Festakt ein Terrorregime seine öffentliche Weihe. In den letzten Jahren sind laut Angaben der Menschenrechtsorganisation Memorial über 3.000 Menschen verschwunden. Kadyrows Leibgarde entführt Menschen, foltert und mordet, so der Vorwurf der Menschenrechtler. Die Botschaft der Festveranstaltung - die auf großen Plakaten in Grosny verkündet wird - ist: In Tschetschenien herrscht Frieden. Diesen Frieden schufen Wladimir Putin und Ramsan Kadyrow. Vom Boxer zum PräsidentenDer Weg von Ramsan Kadyrow führte unaufhaltsam nach oben. In seiner Jugend war er Boxer. Dann leitete er die Leibwache seines Vaters, Achmed Kadyrow, damals Mufti der Kaukasusrepublik, den Putin nach der Rückeroberung Grosnys zum Verwaltungschef Tschetscheniens ernannte. Im Mai 2004 wurde Achmed Kadyrow von einer Bombe getötet. Damals war Sohn Ramsan 27 Jahre alt, zu jung um die Nachfolge anzutreten, denn für das Präsidentenamt sieht die Verfassung Tschetscheniens ein Mindestalter von 30 Jahren vor. Heute preist sich Ramsan Kadyrow als der Mann, der Tschetschenien wieder aufbaut. Und er kann tatsächlich etwas vorweisen. Ständig zeigt ihn das tschetschenische Fernsehen bei der Einweihung wiederhergerichteter Schulen und Krankenhäuser. Bis Ende 2008 soll der Wiederaufbau abgeschlossen sein, verspricht der Aufsteiger.Nur ein paar Hundert Separatisten kämpfen noch in den Bergen. Mit diesen Terroristen werde man bald aufräumen, kündigt der junge Präsident an. Die "Kadyrowzi", seine mehrere Tausend Mann starke Leibwache, hilft auch schon mal mit ausgefallenen Methoden nach. Mehrere Führer der Separatisten zwang man zur Aufgabe, indem man ihre Familien als Geisel nahm. Einer dieser erzwungen Rückkehrer ist Magomed Chambijew. Der ehemalige Verteidigungsminister der Untergrundregierung sitzt jetzt als Abgeordneter im tschetschenischen Parlament.Die Achse Putin-KadyrowAls der Tschetschenienkrieg 1994 begann, war Ramsan Kadyrow 17 Jahre alt. Damals kämpfte er zusammen mit seinem Vater an der Seite der Separatisten. Er sei begeistert gewesen vom separatistischen Präsidenten Dschochar Dudajew und seinen Parolen über Freiheit und Patriotismus, erklärte Kadyrow jr. in einem Interview. Erst später habe er verstanden, dass das alles nur "Heuchelei und Betrug" gewesen sei.Als der Einfluss der radikalen Wahhabiten in Tschetschenien immer stärker wurde, sagten Ahmed Kadyrow und seine Söhne sich von den Separatisten los. Die Familie Kadyrow unterstützte von nun an das "föderale Zentrum". Dass Russlands Präsident Putin Ahmed Kadyrow als Verwaltungschef für Tschetschenien einsetzte, war damals ein riskantes Manöver, denn in Tschetschenien waren die verschiedenen Teips (Sippen) immer gleichberechtigt. Noch nie in der Geschichte der kleinen Kaukasusrepublik lag die Macht bei einer einzigen Familie.Auch für Putin selbst ist die Förderung Kadyrows riskant. Was ist, wenn der junge Tschetschene die Kontrolle über die Kaukasusrepublik verliert? Wird sich Ramsan Kadyrow auch dem Nachfolger von Putin unterordnen?Ramsan Kadyrow hält 20.000 Mann unter Waffen. Der Großteil dieser Männer sind ehemalige "Bojewiki" (Kämpfer), die in den Bergen für die Unabhängigkeit kämpften und heute in den Reihen der Polizei und Sondereinsatzgruppen ihren Dienst tun. "Ramsan Kadyrow ist der Einzige, der diese Armee an der Kandarre halten kann", schreibt Olga Allenowa, Tschetschenien-Reporterin der Moskauer Zeitung "Kommersant". "Wenn es Kadyrow nicht gäbe, könnte diese Armee ihre Kalaschnikows gegen Russland richten."Putin reduziert unterdessen die russischen Truppen in der Kaukasusrepublik. Bis 2008 sollen 50.000 russische Soldaten aus Tschetschenien abgezogen werden. In der Kaukasusrepublik soll nur noch eine Resttruppe von 25.000 Mann verbleiben. Für alle Fälle.Ungewöhnliche FreiheitenEs ist ein Tauschgeschäft. Ramsan Kadyrow garantiert Loyalität gegenüber Russland und schonungslosen Kampf gegen ein paar Hundert noch kämpfende Separatisten. Der Kreml gibt Kadyrow beim Aufbau der tschetschenischen Nachkriegsordnung freie Hand. Kadyrow tritt offen für die islamische Rechtsordnung, die Scharia ein. Diese sei strenger als die russischen Gesetze, widerspräche ihnen aber nicht, behauptet der Präsidentschaftsanwärter. Kadyrow verbot das Glücksspiel und rief die Frauen dazu auf, einen Schleier zu tragen. Die Männer sollen mehrere Ehefrauen haben dürfen. Vor kurzem erreichte der designierte Präsident in Verhandlungen mit dem Chef der russischen Gefängnisverwaltung, dass Tschetschenen, die keine schweren Verbrechen begangen haben, ihre Haftstrafe in der Kaukasusrepublik absitzen können, ein erstaunliches Zugeständnis. Der ehemalige Yukos-Chef Michail Chodorkowski wurde zur Ableistung seiner siebenjährigen Haftstrafe immerhin in das sibirische Tschita verbannt, 5.000 Kilometer östlich von Moskau.Der Griff nach dem ÖlKadyrow fordert mehr Entscheidungsbefugnisse für die tschetschenische Regierung. Die einheimische Ölfirma Grosneftegas soll unter die Kontrolle der tschetschenischen Regierung gestellt werden. Zurzeit hält der russische Rosneft-Konzern 51 Prozent der Grosneftegas-Aktien. In einem Interview rechnete Kadyrow vor: Am tschetschenischen Öl verdiene der russische Rosneft-Konzern im Jahr 25 Milliarden Rubel (714 Millionen Euro). Der tschetschenische Haushalt habe nur ein Volumen von 19 Milliarden Rubel. Man könne also vom eigenen Öl und unabhängig von Zuwendungen aus Moskau leben.Die russischen Militärs misstrauen dem neuen tschetschenischen Präsidenten. Auch hatten sie während des Krieges gut am illegalen tschetschenischen Ölgeschäft verdient, warum also jetzt mit den Tschetschenen teilen? Die Generäle hätten es lieber gesehen, wenn Alu Alchanow, ein Moskau ergebener Polizeioffizier, den Putin nach dem Mordanschlag auf Kadyrow senior als Übergangspräsident eingesetzt hatte, das Präsidenten-Amt behalten hätte.Das Misstrauen gegen Ramsan Kadyrow reicht bis in den Kreml. Igor Setschin, stellvertretender Präsidialamtsleiter, Chef des Staatskonzerns Rosneft und informeller Kopf der Geheimdienstler im Kreml, hatte sich lange gegen die Ernennung von Ramsan Kadyrow gesträubt. Moskaus Mann in Tschetschenien ist eine unsichere Karte. Doch mehr Verlässlichkeit ist für den Kreml in Tschetschenien zurzeit nicht zu haben.
Als Ramsan Kadyrow im Oktober 2006 seinen 30. Geburtstag feierte, stand das Signal für seinen Amtsantritt endlich auf Grün, das Mindestalter für das Präsidentenamt war erreicht. Zur Feier des Tages weihte Kadyrow, damals noch Ministerpräsident, den wiedererrichteten Flughafen von Grosny ein und tanzte vor den Fernsehkameras ausgelassen vor einer hübschen Tschetschenin, über die ein Regen von Dollar-Scheinen niederging.
Der designierte Präsident liebt den großen Auftritt. Er trägt gerne teure Anzüge, steuert eigenhändig seinen Jeep und treibt sich in Moskauer Nachtclubs herum. Am wohlsten fühlt er sich jedoch auf seinem Landsitz im tschetschenischen Zenteroi. Stolz lässt er Journalisten Tiere aus seinem Privatzoo vorführen, Schwäne, Ziegen, einen jungen Löwen, einen Panter und einen Bären. Kadyrow trägt Vollbart, eigentlich das Markenzeichen der verhassten Wahhabiten. Symbole sind gut, solange sie die Macht stärken. Es kommt auch vor, dass sich Kadyrow in der Wüstenuniform der US-Army zeigt. Die Jugend findet das toll.
Dass der junge Präsident Tschetscheniens von vielen Tschetschenen gehasst wird, weil er seinen Männern völlige Freiheit gibt bei der Verfolgung von "Verdächtigen", übergeht der Kreml mit Schweigen. In einer Mitteilung der staatlichen Nachrichtenagentur Ria Novosti heißt es über Ramsan Kadyrow schönfärberisch: "Seine Lebensweise und sein freier Umgang mit seiner Umgebung stoßen zwar auf Kritik, dennoch genießt Kadyrow hohe Autorität in Tschetschenien - vor allem Dank seiner Sachlichkeit."Ende
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